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Bundesliga

Krachender Zusammensturz des Zukunftsmodells Bayern

Oliver Fritsch | Dienstag, 28. April 2009 6 Kommentare

Jürgen Klinsmanns Entlassung deuten die Journalisten als Ende eines Prozesses, der schon lange gescheitert war

Michael Horeni (FAZ) lässt kein gutes Haar an den Bayern: „Ein Fußball-Frührentner als letzte Hoffnung – krachender hätte das Bayern-Projekt Erneuerung nicht in sich zusammenstürzen können. Ein weiterer Aufbruchversuch des FC Bayern an die europäische Spitze ist zu einem vorzeitigen und arg ernüchternden Ende gekommen.“ Die Maxime des FC Bayern, stets Titel zu sammeln, stehe dem Verein auf lange Sicht im Wege: „Sobald kurzfristige Ziele in Gefahr sind, erschöpft sich bei den Bayern die Geduld. Die Reibungsverluste in dem von operativer Hektik gekennzeichneten Klub machen kontinuierliches Arbeiten für Trainer, die für Erfolg stehen, zu einem fast aussichtslosen Unterfangen.“

Der Klub habe „eine behauptete, aber keine tatsächliche Bereitschaft“ gezeigt, sich Klinsmann radikal auszusetzen, die Führung „ihren Kompass verloren“, sie stehe nun „vor den Trümmern ihrer Wankelmütigkeit“. Der FC Bayern habe angesichts des erneuten Scheiterns eines angesehen Trainers (Hitzfeld, Magath, Hitzfeld) „Seriosität“ eingebüßt.

Markus Lotter (Berliner Zeitung) nimmt die Strategen Hoeneß und Rummenigge unter die Lupe: „Es geht eigentlich nur noch um die beiden, die nicht zulassen können, die mit ihrer Kompetenz eben nicht mehr der sportlichen Entwicklung dienen, sondern vielmehr die Zukunft blockieren. Das scharf hierarchisch geordnete Gute-Freunde-System mit der Doppelspitze Hoeneß/Rummenigge und einem Cheftrainer mit eingeschränkter Macht garantiert jedenfalls schon längst keinen Erfolg mehr. Doch dürfte der beiden Reflex nur ein altbekannter sein: ran ans Festgeldkonto, ran an die Millionen, um die Schwächen in der Personalstruktur des Kaders zu korrigieren.“

Ohne Boden

Rouven Schellenberger (FR) betrachtet Klinsmanns Scheitern in einem größeren Zusammenhang: „Vor allem ist Jürgen Klinsmann gescheitert, weil seinem Konzept, seiner Philosophie, seinen Unternehmensberater-Anweisungen der goldene Boden fehlte: gutes Handwerk. Das verbindet ihn mit all den Investment-Bankern, die glaubten, die alten Kaufmannsregeln seien in der schönen, neuen Finanzwelt außer Kraft gesetzt. Die Wirtschaft hat uns in diesem Jahr gelehrt, dass so etwas nur eine Weile gutgehen kann. Der Fußball hat dies nun auch getan.“

Aufs Sportliche beschränkt sich Thomas Hummel (sueddeutsche.de): „Den Machern hätte von Anfang an klar sein müssen, dass ein Umbruch à la Klinsmann ein Übergangsjahr benötigt. Dass man einem Trainer erst einmal eine Mannschaft nach seinen Vorstellungen zusammenstellen muss. (Kurioserweise sind sie mit den Verpflichtungen Timoschtschuk, Olic und Baumjohann genau auf diesem Weg.) Doch sehr schnell, zu schnell nagte der Zweifel an ihnen, ob sie ihren Verein in die richtigen Hände gegeben hatten.“

Ich bin der, der den Sepp ersetzt hat

Aus dem Leitartikel der FAZ auf Seite 1 heißt es, dass sich Luca Toni und Franck Ribéry „über ihre persönlichen Berater bei Manager Hoeneß wegen der als ungebührlich empfundenen Anforderungen“ beschwert haben sollen. Und Klinsmann auf Bitten Hoeneß‘ das Pensum reduziert. „In diesem Lavieren“, schreibt die FAZ weiter, „konnte sich das Charisma, das der Schwabe in der Nationalmannschaft ausstrahlte, nicht entfalten.“

Auf Seite 3 der SZ liest man über Klinsmanns Appeasement-Politik: „Sogar mit der von ihm verhassten Bild-Zeitung arrangierte er sich, auf höchster Ebene soll er zuletzt bei Springer um hämefreie Berichterstattung nachgesucht haben.“ Zitiert wird Klinsmann mit Äußerungen über Anfeindungen gegen ihn: „Ich bin hier von Tag eins empfangen worden als der, der bei der Nationalelf den Sepp ersetzt hat und der den Oliver vor der WM auf die Bank setzte.“

Hoeneß wollte übrigens, nach Auskunft der SZ, Heynckes, den er 1991 entließ, bereits mehrfach wiedereingestellt haben, doch sei am Veto Beckenbauers gescheitert.

Heribert Bruchhagen gibt sich indessen erleichtert: „Wenn Klinsmann Erfolg gehabt hätte, dann hätten wir anderen Vereine alle nach diesem neuen Konzept leben müssen.“ Die FR hat leider vergessen zu fragen, was Bruchhagen zu Heynckes sagt, dem die Eintracht-Fans ja lebenslanges Einreiseverbot nach Hessen erteilt haben. Es ist ohnehin erstaunlich: In der FR, die heute wieder mächtig gegen Klinsmann austeilt, ist so gut wie nichts über Don Jupp zu lesen.

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Kommentare

6 Kommentare zu “Krachender Zusammensturz des Zukunftsmodells Bayern”

  1. Ingrid
    Dienstag, 28. April 2009 um 19:33

    Ich habe mir die Pressekonferenz zur Vorstellung von Heynckes im DSF angesehen.
    Was mir auffiel war, wie oft Heynckes seine Erfahrung als Trainer und sein Knowhow betonte. Als Ziel erwähnte er aber nicht, Deutscher Meister werden zu wollen sondern einen CL-Platz zu erreichen, ob das den FCB-Bossen gefallen hat?

  2. Joseph
    Mittwoch, 29. April 2009 um 08:30

    Oh doch, denn ich denke, dass auch Hoeneß und Rumennigge die Ziele (zumindest in der Öffentlichkeit) niedrig stecken. Auch für sie ist der CL-Platz momentan an erster Stelle. Ich denke, dass die Meisterschaft mittlerweile (leider) nur noch sozusagen „das Zuckerl“ oben drauf wäre. Es gehört nun auch sehr Glück dazu. Klinsmann wurde ja auch entlassen, weil die Vereinsführung die CL-Plätze gefährdet sah.

  3. Brian Laudrup
    Mittwoch, 29. April 2009 um 10:53

    Es ist einfach unerträglich, wie die Presse zunächst solange am Stuhl von JK sägt, bis Rummelfliege und Hoeneß dem öffentlichen Druck nachgeben (auch die Fan-Meinung ist ja nicht unwesentlich durch die Berichterstattung geprägt), und dann auf die beiden einschlägt, nachdem sie die Reißleine gezogen haben.

    In der Sache ist Klinsmann-Freund Horeni mit Sicherheit zu widersprechen. Die Gründe für die Demission Klinsmanns sind vermutlich weniger im ausbleibenden Erfolg zu suchen. Vielmehr gibt die Mannschaft zu of ein desolates Bild ab, sind eklatante Fehler Klinsmanns (insbes. taktischer Natur, aber auch in der Führung der Mannschaft) selbst für Außenstehende deutlich sichtbar. Wichtigstes Argument gegen Klinsmann dürfte jedoch sein, dass von einem neuen Konzept auf dem grünen Rasen auch nach 10 Monaten, immerhin bald der Hälfte der „Projektdauer“, nichts aber auch gar nichts zu sehen ist. Insofern ist der Vorwurf mangelnder Geduld in keinster Weise gerechtfertigt.

  4. Oliver Fritsch
    Mittwoch, 29. April 2009 um 14:20

    @Brian Laudrup: Ich würde mal sagen: nichts mehr zu sehen. Die Bayern-Spiele gegen Hoffenheim, Dortmund, in Stuttgart (Pokal), in Leverkusen, in Hamburg (auch wenns verloren ging) waren schon stark.

  5. zola
    Mittwoch, 29. April 2009 um 15:37

    klinsmann hat sich als blender herausgestellt, als den, den viele hinter seiner pr-fassade vermutet haben. herumfloskeln, lächeln und dennoch die absolute kontrolle über die eigene karriere, die öffentlichkeit, die medien und letztendlich die eigene mannschaft haben zu wollen, ist dann doch etwas zu vermessen. irgend jemanden schafft man sich so immer zum feind. und klinsmann hatte am ende viele feinde, sehr viele.

  6. ruppI1
    Donnerstag, 30. April 2009 um 08:37

    Ja, aber starke Spiele hat Bayern doch immer geliefert, auch ohne Klinsmann. Insofern hat Brian Laudrup schon recht, wenn er sagt, daß von einem neuen Konzept nichts zu sehen war.

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