Bundesliga
Die Kunst des Abgangs ist Magath nicht gegeben
| Mittwoch, 6. Mai 2009Felix Magath enttäuscht die Wolfsburg-Fans so wie die Stuttgart-Fans vor fünf Jahren / Die Liebe zwischen Franck Ribéry und Bayern München erkaltet / Michael Rensing über seine Ausbootung / Hans Meyer lästert über Spieler und Reporter
Folgender Artikel wurde vor der Bestätigung des Magath-Wechsels nach Schalke verfasst. Aber da er im aktuellen Leitmedium des Transfermarkts erscheint, ist er so aktuell, dass er die Ereignisse und Deutungen vorwegnimmt. Oskar Beck (Stuttgarter Zeitung) empfindet die Enttäuschung der Wolfsburg-Fans nach und fühlt sich an Felix Magaths von Verschleierungen begleiteten Abgang in Stuttgart 2004 erinnert: „Wie sie ihn in Wolfsburg verabschieden werden? Vermutlich wie in Stuttgart. Die Gefühle der Fans sind Magath aus dem Ruder gelaufen wie damals beim VfB, wo er – O-Ton Reinhold Beckmann – mit seinem ‚rhetorischen Versteckspiel‘ zäh bis zuletzt seinen Abgang zu den Bayern verschleierte. ‚Verpiss dich!‘ – mit diesem finalen Gruß haben sich viele VfB-Fans von dem Mann verabschiedet, der ihnen den Klassenverbleib geschenkt und ihnen zu wundersamen Höhepunkten verholfen hatte. Felix Magath ist als Trainer eine Kanone – aber die Kunst des gefühlsstarken Abgangs ist ihm offenbar nicht gegeben.“
Michael Ashelm (FAS) erörtert mit einem Sportpsychologen die gegensätzlichen Trends in der Frage, wie viel Macht und Bedeutung Vereine ihren Trainern überantworten: „sportliche Strukturen schaffen, die unabhängig funktionieren“ oder der extreme Ansatz des VfL Wolfsburg? „Vereinheitlichung“ oder „kreative Freiheit“ für den „Dirigenten am Spielfeldrand“?
Ich kann Klinsmanns Gründe bis heute nicht verstehen
Nachgereicht ein Interview mit Michael Rensing im SZ-Magazin, auf das mich Michael Bärsch aufmerksam macht. Rensing spricht über seine Traurigkeit darüber, dass Jürgen Klinsmann ihn auf die Bank setzte – und das nicht nur in Barcelona, sondern auch gegen Frankfurt in den Spielen danach: „Ich kann Klinsmanns Gründe bis heute nicht nachvollziehen, ich bin unglaublich enttäuscht. In Barcelona hatte ich mir gesagt: Das steckst du weg, es ist ja nur für ein Spiel. Und dann das. Er hatte mir seine Zusage gegeben. Ich habe es wieder erst am Spieltag erfahren, von da an war klar, dass er die Saison mit Jörg Butt durchziehen will.“
Mit seiner Saisonleistung gibt er sich zufrieden: „Ich habe schon ein paar wichtige gehalten und mir keine Patzer erlaubt, vielleicht ein paar Unsicherheiten. Aber das ist meine erste Saison im Tor, da kann man keine überirdischen Dinge verlangen. Dazu kommt, dass sich Fußball dramatisch verändert: Die neuen Bälle kommen noch schneller und unberechenbarer – die flattern.“
Über seine Zukunft sagt Rensing: „Ich gehe davon aus, dass ich in München spiele. Ich bin hier die Nummer 1. Momentan vielleicht nicht, aber ich werde es wieder.“ (Das Interview wurde vor Klinsmanns Entlassung geführt.)
Klinsmann ist auch an Ribéry gescheitert
Stefan Hermanns (Tagesspiegel) nimmt bejahend Franck Ribérys Abgang vorweg: „Jürgen Klinsmann ist bei den Bayern auch an Franck Ribéry gescheitert. Im besten Fall hätte der begnadete Franzose ein Element der Anarchie im System der Bayern sein sollen; am Ende aber war Bayern Ribéry und Anarchie das System. Bayerns Taktik? Alle Bälle auf Ribéry und dann warten, was passiert. Welche Chance hätte ein Trainer wie van Gaal, ein fanatischer Verfechter des Teamgedankens, Ribéry in die Disziplin seines Systems einzugliedern? So gut wie keine. Allein den Versuch müsste Ribéry als Zurückstufung, als Eingriff in seine angestammte Freiheit empfinden. Ohne Ribéry aber könnte van Gaal – oder wer immer Trainer der Bayern wird – bei null anfangen. Jürgen Klinsmann konnte das nicht.“
Die Berliner Zeitung fügt an: „Franck Ribéry und der FC Bayern, das war einmal eine große Liebe – doch so langsam droht die Liebe zu erlöschen.“ Über dessen Extrawürste heißt es: „Bei Klinsmann, so ist zu hören, soll Ribéry etwa den aus sportwissenschaftlicher Sicht sinnvollen Gang ins Eisbad nach den Spielen schlicht verweigert haben – ohne Konsequenzen.“
Ja, es geht nur um Fußball, nein, es geht um alles
Nachgereicht ein Seite-1-Leitartikel von Moritz Müller-Wirth (Die Zeit) zu Klinsmanns Abschied – und was er darüberhinausgehend bedeutet: „Was geht uns Jürgen Klinsmann an, ein entlassener Visionär und Millionär? Nichts? Doch! Zunächst ist da ein Gefühl für Anstand. Was an Spott und Häme über ihn ausgegossen wurde, geht viel weiter, als es die Fehler des ehemaligen Bayern-Trainers rechtfertigen würden. Zum zweiten geht uns der Fall Klinsmann etwas an, weil er im Kleinen etwas demonstriert, was sich im Großen wiederholen könnte. Diesmal stellt sich die Frage: Wie geht man mit Krisen um, setzt man auf Erneuerer, gibt man ihnen Zeit, oder zieht man sich lieber zurück auf altbewährte Kräfte? Aufbruch oder Angst? Ja, es geht nur um Fußball. Aber auch um alles.“
Ich arbeite in der Sportredaktion von Zeit Online.
Das interessiert Wilhelm halt nicht so
Hans Meyer hat am Samstag der SZ ein Interview gegeben, in dem er Klinsmanns ganzheitliches Konzept gutheißt, aber als unpraktikabel verwirft: „Jürgen Klinsmann hat versucht, ein paar Gedanken umzusetzen, die absolut lobenswert sind, aber wenn er zehn Jahre älter wäre, hätte er es gelassen. Es macht keinen Sinn, Fußballer auf eine höhere Ebene zu heben, damit sie es auf dem Platz wiedergeben.“
Weiter lässt sich Meyer über Fußballprofis aus:„Du sprichst mit einem Spieler und fragst ihn: Du, ihr habt jetzt zwei Tage frei, was machst du, Wilhelm? Der heißt nicht Wilhelm, aber wir nennen ihn jetzt mal so. Wilhelm antwortet: ‚Meine Frau ist nicht da, ich werde mal essen gehen.‘ Du wohnst doch in Düsseldorf, du kannst mal ins Theater gehen, ins Kino oder ins Kabarett. Dann sagt Wilhelm: ‚Och, nöö.‘ Das interessiert ihn halt nicht so.“
Auf allesaussersport wird das Interview gefeiert. Ich weiß nicht, ob ich es schön oder bildungsbürgerlich miefig finden soll … und wende mich wieder meinem Gedichtzyklus „Fragen eines lesenden Fußballspielers“ zu. In dogfoods Post wird Meyer ein weiteres Lob ausgesprochen, der im Doppelpass die anwesenden Journalisten schlecht aussehen lässt. Weil die nicht wissen, wie viele Spiele Marko Marin gemacht hat. Leider sind Holzschuh und Konsorten auch nicht in der Lage zu bewerten, wie sch… Meyer verteidigen lässt.
Ach ja, Meyers Aussagen sollen mich zu diesem Geplauder Telefonat mit Philipp Lahm inspiriert haben: „Ich will nicht in Bayern-Klamotten Unterricht nehmen.“
Kommentare
14 Kommentare zu “Die Kunst des Abgangs ist Magath nicht gegeben”
Mittwoch, 6. Mai 2009 um 14:42
Ich finde die Ausführungen von Meyer im Doppelpass auch lobenswert. Schließlich zeigt er mal die Fehler vieler Journalisten auf, die Meyer andauernd vorhalten, er würde Marin keine Chance geben. Das Holzschuh und Co. die oben angesprochene Abwehrschwäche von Meyer nicht verargumentieren können, zeigt für mich, dass die Herren gar nicht in der Lage sind, eigene Schlüsse zu ziehen.
Mittwoch, 6. Mai 2009 um 15:16
Magath – seit Stuttgart der Lüppertz des Trainer-Abgangs.Klar, daß die chronisch nachtragenden Petzen der schwäbischen Journallie nicht zugestehen können das Magath nur die inkarnation des Profiprinzips und seine Perfektion auf dem Trainerstuhl darstellt:Gehen, bevor man gegangen wird.
Mittwoch, 6. Mai 2009 um 15:43
Aber langsam sollte es den Journalisten schon mal klingeln: Vielleicht folgt Magath einfach immer nur dem Geld? Vielleicht gibt es ja, vorsichtig ausgedrückt, auch Trainer, die überall so viele Spieler kaufen und verkaufen, weil bei jedem Transfer etwas mitzuverdienen ist?
Mittwoch, 6. Mai 2009 um 17:03
@Deutscher Meister wird nur: Ball flachhalten.
Magath mit sowas, ohne auch nur den leisesten Verdacht zu haben, in Verbindung zu bringen, ist töricht. Den treibt anderes um. Ruhm und Ehre. Sich beweisen. Es allen zeigen. Teilweise ist er ja skuril, aber mit Sicherheit kein Steuersünder oder Transfer-Mit-Verdien-Lutscher wie mancher Bremer o.a. Der hat doch wirklich genial umgebaut in Wolfsburg. Penner raus, Renner rein. War da nicht vorher der Strunz am Werk gewesen?
Und jetzt mal ehrlich: Wann hätte sich denn wieder so ein Opening ergeben? Schalke darnieder aber mit solch tollem Potential. Ein Stadion von feinsten, Fans vom feinsten (ich kann mich da noch an 2.Liga Spiele gegen die Kickers erinnern, da waren doppelt soviel Schalkefans in Stuttgart…), Sponsor vom feinsten und eine Machtfülle, die Magath einfach reizt und liegt. Hier kann er einen Bayernkiller züchten.
Wüsste zu gern, was Ex-Nutella-Kevin grad so denkt…
Mittwoch, 6. Mai 2009 um 18:21
Einerseits sehe ich ja die Motivation eines Herrn Magath, nun sich auf das Abenteuer Schalke einzulassen. Doch es wundert mich dennoch, da er eigentlich jemand ist, der sich sämtliche Einmischung in seine Arbeit verbittet. Das könnte auf Schalke äußerst schwierig werden, wo auch ein jeder irgendwas zu irgendwem zu sagen hat. Mag sein, dass sich die Vereinsbosse jetzt zurücknehmen, doch bis dahin gehe ich vom Gegenteil aus.
Mittwoch, 6. Mai 2009 um 21:07
[…] gebe zu, die Überschrift ist eine Replik auf den Titel beim Indirekten Freistoß „Die Kunst des Abgangs ist Magath nicht gegeben“. Dort zitiert Oliver u.a. die […]
Donnerstag, 7. Mai 2009 um 09:00
Für mich ist Magath eine sehr gute Wahl für Schalke. So eine „große Lösung“ haben wohl die wenigsten Tönnies und dem Schalker Vorstand zugetraut. Bis auf das Treffen mit Kahn, das zudem – wie jetzt klar wurde – von Kahn und nicht von Tönnies öffentlich gemacht wurde, kann man Tönnies aus meiner Sicht ohnehin nichts vorwerfen.
Trotzdem: Vier Jahre Vertrag und sportlicher Manager und Trainer in Personalunion ist für mich als Schalker etwas gewöhnungsbedürftig, wahrscheinlich weil das in Deutschland (keineswegs in anderen Ländern wie u.a. England erfolgreich praktiziert) immer noch sehr ungewöhnlich ist. Wenn man aber so etwas macht, dann ist es auch konsequent und folgerichtig, wenn man längerfristig plant und kontrahiert.
Magaths schwerste Aufgabe wird sein die zum Teil über Jahre verhätschelten Schalker Spieler zu disziplinieren und einen echten und fairen Konkurrenzkampf innerhalb der Mannschaft zu gewährleisten. Wenn einer dafür der richtige Mann ist, dann Magath!
Wie auch immer, da Schalke die Champions League und wohl auch den UEFA-Cup verpasst, wird es Einschnitte im Etat für den Spielerkader geben müssen. Es muss deshalb jedem – bei aller Emotionalität – auf Schalke klar sein, dass sich vorerst nicht so schnell große sportliche Erfolge einstellen werden.
Auch deshalb halte ich Magath mit seinem Realismus, Understatement und seiner Bescheidenheit gerade im emotionalen und irrationalen Umfeld auf Schalke für eine gute Wahl: Magath wird sich – wie er es immer gemacht hat – gegen zu hohe und unrealistische Ansprüche und Erwartungen, die dann wieder zwangsläufig nur enttäuscht werden können, wehren. Auch das tut Schalke gut!
Donnerstag, 7. Mai 2009 um 09:17
Wer sagt denn, dass ich keinen Verdacht habe? Wenn man sich täglich mit Leuten aus der Branche unterhält, mit Leuten, die unter ihm gespielt, mit ihm gearbeitet haben, hört man nichts anderes als diesen Verdacht.
Donnerstag, 7. Mai 2009 um 10:44
der zeit-artikel ist m.e. der größte krampf. warum? weil klinsmann umstandslos mit der völlig schwammigen vorstellung eines „erneuerers“ gleichgesetzt wird. das führt dann dazu, dass alle, die an ihm kritik üben, die gute gründe für seine entlassung anführen können als restaurative oder ewiggestrige abqualifiziert werden können. der ewig unverstandene reformator kämpft gegen die verkrustungen eines ganzen landes an…
diese großen vereinfachungen, die von einer komplizierten welt nur noch 2 alternativen übrig lassen wie „Erneuerer“ versus „altbewährte Kräfte“ oder „Aufbruch oder Angst?“ sind im großen & ganzen intellektuell unredlich und sehr peinlich.
ich habs ja schon mal an anderer stelle erfolglos versucht, aber sollte man sich angesichts der umstände nicht gerade auch darüber unterhalten, ob neben spekulationsblasen nicht endlich auch sprechblasen geplatzt sind, die uns mit ihrem ausgiebigen managerialen vokabular das blaue vom himmel versprechen wollten?
Donnerstag, 7. Mai 2009 um 11:48
Franzferdl, mein voller und aufrichtiger Applaus! Besser kann man es nicht sagen, also schweige ich.
Donnerstag, 7. Mai 2009 um 12:36
ja, franzpferdl liegt goldrichtig. Fand bzgl. „neuer Methoden“ ein Interview mit Dieter Hoeneß gut, der L.Favre lobte u. dabei sinngem. sagte, dass viele Trainer wissen wie es geht und es auch auf die Tafel bringen können – ABER den meisten die Methoden fehlen dieses den Spielern im Training beizubringen.
Donnerstag, 7. Mai 2009 um 12:38
Ich finde ja, dass Klinsmann als Bayern-Trainer eher devot aufgetreten ist. Von Reformen hat er doch kaum geredet. Nach Spielen waren es doch meist nichtssagende Worte.
Freitag, 8. Mai 2009 um 23:13
Gerade wurde im DSF erwähnt, das lt. Bild angeblich Thomas Schaaf Gespräche mit Wolfsburg führt. Wird mittlerweile auch in anderen Medien erwähnt. Dabei bin ich auf „Magaths Erklärung im Wortlaut“ gestoßen:
http://www.rp-online.de/public/bildershowinline/aktuelles/sport/fussball/bundesliga/vfl_wolfsburg/44198
Auf Seite 6 sagt er u.a.:
…Aber in der Vergangenheit wurde mir schon öfter nach einem erfolgreichen Start später der Stuhl vor die Tür gesetzt. ….
Freitag, 28. Mai 2010 um 00:40
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