indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Ich hab’s doch nicht böse gemeint

Oliver Fritsch | Dienstag, 19. Mai 2009 12 Kommentare

Ein Telefonat mit Jan Christian Müller (FR) über seine Polemik gegen den VfL Wolfsburg und seine Wiedergutmachung mit empörten Lesern

Der VfL Wolfsburg steht vor seiner ersten Meisterschaft, aber nicht alle scheinen es ihm zu gönnen. Wolfsburg eint nicht die ungeteilte Liebe der Fans auf sich. Und auch nicht die der Fußballjournalisten. So hat Jan Christian Müller in der FR von gestern eine Polemik verfasst, die auf Empörung gestoßen ist. „Bundesligaspitzenfußball“, heißt es in dem Kommentar, „oder – brrrrrr, noch schlimmer – Champions League in Wolfsburg ist eine völlig überflüssige Angelegenheit.“

„Wir haben rund fünfzehn E-Mails gezählt“, sagt Müller am Telefon. „So viele erhalten wir normalerweise nur über Eintracht Frankfurt.“ Aber man wolle die Zuschriften nicht veröffentlichen, da die meisten unter die Gürtellinie gehen. Müller hätte nichts dagegen gehabt, er stellt sich der Kritik. „Ich hab’s doch nicht böse gemeint, sondern augenzwinkernd. Was mir wohl nicht gelungen ist. Es sollte eine Reaktion hervorrufen.“ Und die gab es. „Ich musste mir Fragen nach meiner Kindheit stellen lassen.“ Und noch einiges, nicht-zitierbares zudem. Beschimpfungen, Quasi-Drohungen. Sein Konterfei soll in Internet-Foren schon à la Hopp auf Fadenkreuzen gesichtet worden sein. „Muss man als Journalist auf der Hut sein?“

Dass die Wolfsburg-Fans sauer sind, versteht Müller, der die Kritik gerne annimmt. „Ich habe sogar damit gerechnet, weil ich weiß, wie verletzbar eine Fan-Seele ist. Zwei Dinge möchte ich aber klarstellen“, ergänzt er: „Erstens kenne ich Wolfsburg, ich habe zu meinen aktiven Oberliga-Zeiten sogar gegen den VfL gespielt. Zweitens bin ich kein neidischer Eintracht-Fan, wie mir unterstellt wird. Fan kann und darf man als Journalist nicht mehr sein.“

Als Zugeständnis hat Müller mit einem besonders Erbosten, Thomas Neuhäuser, ein Interview geführt und heute gedruckt. „Er hat sich am Ende sogar bedankt“, sagt Müller. Das macht den Fall zu einem Medienthema. Würden deutsche Redaktionen die Chancen des Internet und das Internet als Chance erkennen, verliefe der Dialog mit den Lesern einfacher und gewinnbringender (irgendwann auch im wirtschaftlichen Sinn). Allerdings müsste man dann mit Texten vorsichtig sein, die nicht „so gemeint“ sind und von denen man weiß, dass sie Ärger verursachen. Wäre vielleicht ja nicht die schlimmste Folge.

Liebe paart sich mit Strategie

Hier Auszüge aus dem Gespräch Müllers mit seinem Richter Neuhäuser, seit zwanzig Jahren VfL-Fan: „Uns ärgert es, wenn unsere Stadt und unsere Region als provinziell beschrieben werden. Wir haben inzwischen 152 Fan-Clubs. Wir sind begeistert, was hier entstanden ist, und wir finden, dass wir und der Klub dafür Respekt verdient hat.“

FR: „Ist die Fan-Kultur so gefestigt, dass künftig zu einem Spiel nach Frankfurt nicht wieder nur 51 Fans mitkommen, wie noch in der vorvergangenen Saison?“

Neuhäuser: „Es waren nur 48. Das wird nicht wieder passieren. Warum schreibt eigentlich niemand, dass die Hoffenheimer nur mit elf Fans nach Bielefeld gekommen sind?“

FR: „Aber der VfL ist doch nur erfolgreich, weil er als Marketingvehikel von VV mit Millionensummen gepampert wurde.“

Neuhäuser: „Na und? Werbung ist ja nicht verboten. Und wenn man mal hinter die Kulissen schaut und die Fußballbegeisterung Martin Winterkorns kennt, dann sieht man, dass dort die Liebe zum Fußball und eine schlaue Marketing-Strategie perfekt verbunden werden. Wir haben das Gefühl, dass die Erfolgsgeschichte des VfL auch zu einer Geschichte des Neides wird.“ Neuhäsuer gibt aber auch zu: „Dass Magath geht, missfällt hier vielen. Die Art und Weise noch mehr. Damit müssen wir leben.“

Wie wäre es mit einem Cup der Tradition?

Auch mich, der ich gestern Müller prominent zitiert habe, hat eine Mail eines langjährigen freistoss-Lesers erreicht. Jörg Stielau aus Wolsdorf mailt (für mich nicht unerwartet):

Ich bin seit zehn Jahren Fan des VfL Wolfsburg. Ich bin stolz darauf, Teil der Fan-Kultur zu sein, die sich hier nach und nach aufbaut. Dies vor allem dank der guten (ok, die zwei schlechten Spielzeiten waren hart) Leistungen des Teams, der Verantwortlichen und der vielen und zum Teil namenlosen Helfern. All dies wird nicht anerkannt von den ‚Meistern der schreibenden Zunft‘, die einzig ihrer verbohrten Tradition verhaftet sind. Es darf nicht sein, was nicht sein kann. Ein Emporkömmling kann doch nicht Meister sein. Mitspielen schon, aber nicht anfassen.

Tief enttäuscht bin ich von zwei miesen Berichten. Erst habe ich mich ordentlich über den unsäglichen Kommentar von Hajo Schumacher in der Berliner Morgenpost geärgert. Nun setzt auch noch Jan Christian Müller in der Frankfurter Rundschau seinen alten Sabber wieder in der Weltgeschichte ab und wärmt die ollen Kamellen auf.

Nach dem Bosman-Urteil noch immer von „Söldnern“ zu sprechen, ist doch ein Hammer. Dzeko und Grafite wurden geholt, verbessert und stellen das beste Angreiferduo seit Jahrzehnten. Dazu die ehemaligen Zweitligaspieler Riether und Schäfer, die es unter Magath in den Blickpunkt der Nationalmannschaft gebracht haben. Und auf Premiere faselte der von Thurn und Taxis: „Hannover gegen Braunschweig wäre ein Derby, nicht aber dieses Spiel.“ Wenn, dann ja wohl Arminia Hannover gegen Hannover 96. Und Eintracht Braunschweig? Einmal Meister und der Geist der Tradition spukt bis ins Jahr 3000 durch die Reporterschar. Unglaublich!

Wäre doch toll, wenn sich die ganzen Traditionsvereine, Traditionsfans und auch Traditionsreporter mal sammeln würden und dann den Traditions-Cup ausspielen. Ohne Geld, ohne Gewinnerzielungsabsicht, ohne Punkte und ohne Aufstieg. Nur die Traditionalisten bestimmen, wer Meister werden darf. Quasi Traditionsmeister. Wie würde es mich doch diebisch freuen, wenn es am Samstag wirklich klappt mit der ersten Meisterschaft für den VFL nach 64 Jahren Vereinsgeschichte! Dann noch ein reagenzglasartiger Champions-League-Sieg, und die Kritiker platzen vor Wut. Das hätte schon fast was von Tradition.

Kommentare

12 Kommentare zu “Ich hab’s doch nicht böse gemeint”

  1. dogfood
    Dienstag, 19. Mai 2009 um 16:49

    Um auf einen komplett anderes Aspekt einzugehen:

    Ein Medienangebot mit einer Auflage von über 150.000 Exemplaren und einem Internetauftritt von 76.000 Visits pro Tag, bekommt für eine polemisch gemeinte Kolumne, gerade mal 15 eMails? Von denen die meisten derart unter die Gürtellinie gehen, das man sie nicht veröffentlicht?

    Hmm.

  2. gecko1893
    Dienstag, 19. Mai 2009 um 17:39

    15 emails aus wob – ich bin schokiert!!!!!

    upps muß mich verbessern „„Wir haben rund fünfzehn E-Mails gezählt“ heißt es…
    also 12, 13, 14, 16 oder 17 oder 13,5, 14,7 oder 12,2?

  3. Jan
    Dienstag, 19. Mai 2009 um 20:58

    Weiß auf Schwarz? Nichts gegen Abwechslung, nur die Darstellung des Stielauschen Textes hat was von einer Traueranzeige. Dabei ist der Text ja eher ein „J‘accuse!“ Nur komme jetzt bitte niemand auf die Idee, ich wolle Vergleiche mit der Dreyfus-Affäre anstellen.

  4. bunki
    Dienstag, 19. Mai 2009 um 21:02

    Selten so provinzelle Reaktionen gesehen. War aber wohl nicht anders zu erwarten aus einer Stadt, in der zu meinen Studienzeiten nur alle zwei Stunden ein Interregio nach Hannover fuhr …

    In seinem selbstgerechten Zorn übersieht Jörg Stielau auch die anderen schönen Spitzen in der Morgenpost-Kolumne. Denke mal bei Hertha waren sie „not amused“ über den Seitenhieb.

    Ich hoffe nur, dass Kollege Christian Müller nicht nochmal einknickt vor diesen reinen Onlinelesern. Allein schon ein Interview zu veröffentlichen mit einem einzigen Leser. Reden sollte man mit ihm. Muss man sogar. Telefonisch. Per Mail. Wie beliebt. Aber das dann noch publizieren?

    Polemik tut Not, Ironie ebenfalls. Journalismus kann, darf und soll auch unterhalten. Meinungsfreiheit ist ebenfalls zulässig. Und Wolfsburg braucht kein Mensch. Außer um sich dadurch ein noch besseres Angebot einzuholen und flugs („Ich brauche eine neue Herausforderung, mit Geld hat das rein nichts zu tun“) das Weite zu suchen. Ob das nun auf Schalke oder der Insel oder sonstwo sei. Da helfen auch keine schönen grünen Krawatten.

    Ich hör schon das Gejammer in der nächsten Saison, dass die Werkself mit der Doppelbelastung nicht zurecht kommt.Und unser Kampf in der Uefa-Fünfjahreswertung vorbei ist, bevor er eigentlich begonnen hat.

  5. Hesse
    Mittwoch, 20. Mai 2009 um 06:53

    Es ist bezeichnend wie Wolfsburger (Mode- und Erfolgs-)Fans reagieren. Wie heißt es so schön und zutreffend: Die getroffenen Hunde bellen am lautesten.

    Bezeichnend ist aber leider auch wie die Frankfurter Rundschau, bzw. der FR-Journalist J C Müller einknickt und das Fähnchen in den Wind dreht. Das Gleiche macht die FR ja auch im Fall Funkel, wenn sie jetzt – da der Mob Stimmung macht und Bruchhagen dem Mob ebenfalls nachgibt – auch in Funkel-Bashing verfällt.

  6. Deutscher Meister wird nur die SGE
    Mittwoch, 20. Mai 2009 um 08:36

    Die FR verfällt ins Funkel-Bashing, schreibt Hesse?!? Schön wäre es!!! Den Wolfsburg-Kommentar der FR hier finde ich ganz unterhaltsam, eigentlich auch nicht sehr scharf, kein Grund zur Wolfsburger Aufregung. Und dass die FR „eingeknickt“ sein soll, kapiere ich auch nicht. Ist doch eine originelle Art, mit einem Fan-Interview die Kritik aufzufangen.

    Bodenlos ist allerdings die Eintracht-Berichterstattung der FR (und auch der FAZ): Da wird einfach nacherzählt, was Bruchhagen und Funkel den ganzen Tag lang vom Stapel lassen. Kein Analysieren, kein Beschreiben, Werten, wie Funkel eigentlich die ganze Woche arbeitet, warum kein Transfer die Elf weiterbringt; nichts. Und weißt Du was, Hesse: Wenn die FR oder FAZ mal dieses Analysieren beginnen würden – dann hätten sie allen Grund zum Funkel-Bashing!

  7. Ratze
    Mittwoch, 20. Mai 2009 um 09:34

    @ Hesse: Mode und Erfolgsfans … wird man denn sonst gleich als FAN geboren, bekommt man es durch die Gene der Mutter und des Vaters und ist quasi vorprogrammiert? Oder darf man sich im Laufe seines Lebens einen Club aussuchen, der einem gefällt, der einem Spaß am Fußball bietet (oder manchmal eben auch nicht). Wolfsburg (und auch alle anderen neben den Traditionsclubs) dürfen nicht sein. Erfolg … wird ihnen abgesprochen. Professionalität = Söldnertum. Ewig die alten Quatschereien. Aber hier in WOB-Town baut sich was auf und sollte am Samstag der Meistertitel in „die niedersächsische Steppe“ kommen, dann springt der Funke über.

    Gegen Erfolgs- und Modefans kann sich im übrigen kein Club wehren … auch nicht die vermeintlich traditionellen Vereine.

  8. Thor
    Mittwoch, 20. Mai 2009 um 10:44

    Ach Gottchen, das Geheule der Traditionalisten, gähn. Als Fan (naja, nach 30 Jahren Fahrstuhl eher: erschöpfter Sympathisant) des 1. FC Nürnbergs weiß ich was Tradition ist: 9 Meistertitel und 4 Pokalsiege in 109 Jahre. Wunderbar, und einen Titel habe ich sogar selber erlebt.
    Aber bedeutet Traditionsverein nicht eher: Als Stehaufmännchen auftauchende Idioten aus der Vereinsvergangenheit, die glauben, dass sie auch zum Manager (wahlweise Trainer, Präsidenten, Sportdirektor, Aufsichtsrat) taugen, nur weil sie einen Ball geradeaus spielen konnten? Also liebe SGE-Fans: Prügelt ruhig auf den Bruchhagen ein, verjagt Fraport und die Banken, scheiß Kommerz. Und am Ende übernehmen wieder Höltzenbein (Manager) und Grabowski (Präsident) das Ruder. Trainer wird dann sicherlich Charly Körbel. Oder Andi Möller. Viel Vergnügen.

    Wie gerne hätte ich statt eines Teppichhändlers einen Winterkorn, einen Hopp sowie professionelle Strukturen, das Leistungsprinzip etc. Nur zur Info und bevor hier wieder alle heulen, dass Hoffe-SAP und WOB-VW auch viiiiiel mehr Kohle haben: Kohle haben manche Traditionsvereine auch. Was man daraus dann machen kann, hat z. B. Schalke ja eindrucksvoll gezeigt. Oder Köln. Oder die Hertha. Oder der Club nach seinem Pokalsieg…

    Insofern ist die Polemik der FR einfach nur doof und öde, aber wie ich hier sehe, scheint es ja ein Publikum für sowas zu geben.

  9. Arnon
    Mittwoch, 20. Mai 2009 um 12:23

    Tatsächlich treibt das WOB-Bashing schon tolle Blüten. Dazu auch hier:
    http://jungle-world.com/morgenblog/508/

    Alles schön „polemisch“ und „witzig“. Im Endeffekt der übliche Traditionalistenschmuß, den im letzten Herbst schon Hoffenheim über sich ergehen lassen musste. Und – wenn mal kein anderer aufmuckt – Leverkusen trifft. Widerlegt man das eine oder andere „Argument“, wird man als humorloser Provinzler bezeichnet.
    Absoluter Höhepunkt ist für mich die Verwendung des Begriffs „Söldner“. Ich geb einen aus, wenn mir jemand einen Fußballprofi zeigt, der diese Bezeichnung nicht verdient. Oder wie siehts denn so im Privaten aus? Arbeitet hier jemand für lau und schlägt bessere Offerten aus?

  10. reinhold
    Mittwoch, 20. Mai 2009 um 14:41

    über den VfL Wolfsburg kann jeder denken was er
    will.
    Aber, über den Verein eine Stadt, und mit umliegenden Orten sogar ein Region in den dreck zu ziehen ist Schmierfinkerei.
    Diese Region arbeitet hart, damit die Geldverbrennungstürme über Steuergelder
    am Leben erhalten bleiben.

  11. Sebastian
    Mittwoch, 20. Mai 2009 um 17:11

    @5 und 6:
    Heidewitzka. Jetzt bin ich selbst hier nicht mehr vor Funkel-Bashing sicher. Herrschaftszeiten! Kann man als Eintracht-Fan denn NIRGENDS mal seine Ruhe haben vor diesem Scheiß-Thema? Hoffentlich kommt ein neuer Übungsleiter und hoffentlich fährt er den Karren mal schöööön in den Dreck. Nach ein paar Jährchen ins Risiko gehen und Offensivfußball ist es dann wieder Zeit für einen Retter. Vielleicht Funkel?

    @ Thema:
    War neulich bei Wolfsburg gegen Hoffenheim. Habe nix vermisst! Und das als Fan eines – tatatataaaaa – Traditionsklubs.
    Das schöne ist: der Zahn der Zeit wird auch aus den unliebsamsten, weil retortigsten, Klubs Traditionsklubs machen. Und: mir persönlich wäre ganz lieb, wenn mein Klub statt Tradition auch mal wieder Erfolg auf der Habenseite zu verbuchen hätte. Anderen Fans ihre Traditionslosigkeit zum Vorwurf machen, müssen doch nur jene Fans, deren Klubs seit 50 Jahren nix mehr geholt haben…

  12. links for 2009-05-22 | Du Gehst Niemals Allein
    Freitag, 22. Mai 2009 um 13:34

    […] Ich hab’s doch nicht böse gemeint | indirekter freistoss "Fan kann und darf man als Journalist nicht mehr sein." (tags: medien wolfsburg journalismus fans) […]

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

106 queries. 0,927 seconds.