Bundesliga
Lebemänner, Freigeister, Fliegenfänger
| Mittwoch, 19. August 2009Claudio Pizarro ist zurück beim gar nicht so reichen Werder Bremen, Jörn Andersen war vielleicht doch nicht so schlecht, Luca Toni steht vorerst hintenan
Frank Hellmann (Tagesspiegel) schaut bei der Abwicklung des Transfers von Claudio Pizarro auf die Bremer Finanzen: „Die zweite Rückkehr aus London – im Vorjahr war der bald 31-Jährige nur ausgeliehen – lässt sich Werder einiges kosten. Sieben Million Ablöse, die Werder an den FC Chelsea abstottern kann, und kolportierte vier Millionen Gehalt. Damit ist der Mann neben Torsten Frings neuer Rekordverdiener an der Weser. Der Deal zog sich auch deshalb so lange hin, ‚weil wir mit einem spitzen Bleistift rechnen müssen‘ (Allofs). Auch nach der wirtschaftlich erfolgreichsten Saison der Vereinsgeschichte, die allein an Brutto-Einnahmen aus Champions League, Uefa-Cup und DFB-Pokal sowie der ersten Tranche des Diego-Verkaufs summa summarum 50 Millionen Euro einbrachte, können die Hanseaten nicht so, wie sie eigentlich wollen.“
Bremer Sehnsucht nach Glanz und Glamour
Christian Otto (Berliner Zeitung) beschreibt die Außenwirkung der Kleidung der Bremer Spieler: „Mit der Rückkehr eines Mannes, der als Schlitzohr, Lebemann und Torjäger zugleich bezeichnet werden darf, geht eine lange Leidenszeit vorbei. Denn Klaus Allofs hat ganz offensichtlich keinen großen Spaß daran gehabt, sich als Sparfuchs der Bundesliga bezeichnen zu lassen, der nach dem Abschied von Diego keine großen Beträge mehr für große Namen bewilligt. (…) Schaaf muss, obwohl Pizarro nach eigenem Bekunden in Bremen Gehaltseinbußen akzeptiert, als Gegengeschäft mit Boubacar Sanogo offensichtlich einen Angreifer aus seinem Kader gleich wieder abgeben. Es liegt auf der Hand, dass sich deshalb beim Nachmittags-Training neben dem Weserstadion nicht jeder über Pizarros strahlende Rückkehr gefreut hat. Sie alle in Bremen, die Fans, die Spieler und die Verantwortlichen, wollen wieder am ganz großen Glanz und Glamour des Profifußballs teilhaben, der ihnen seit dem Abschied aus der Champions League verwehrt ist. Schon das schicke weiße Oberhemd, in dem Pizarro gestern seinen Dienst als bezahlter Sportler antrat, gab deutlich mehr fürs Auge her als die üblichen Trainings-Sweatshirts, in denen etwa Tim Borowski meistens bei der Arbeit anzutreffen ist.“
Entmystifizierung des Sankrosankten
In der NZZ bricht Stefan Osterhaus eine kleine Lanze für den in Mainz geschassten Jörn Andersen: „Der Wiederaufstieg durch Andersen wirkte für manche wie eine partielle Entmystifizierung des sakrosankten Fussball-Ausbildners Klopp. Denn Andersen hatte weder mehr Geld noch bessere Spieler zur Verfügung. Im Gegenteil: Der Parforceritt gegen stärker eingeschätzte Gegner im Kampf um den Aufstieg hat bei manchen den Verdacht keimen lassen, dass er als Trainer mehr zu bieten hat, als er während nicht immer durch Erfolg geprägter Engagements in Deutschland und in der Schweiz gezeigt hatte.“ Doch auch Andersens Nachfolger Thomas Tuchel bescheinigt er, bislang gute Arbeit zu leisten: „Sein junger Nachfolger tut den Job bis anhin tadellos. Thomas Tuchels Team ist ein kompaktes Kollektiv, das ohne wirklichen Spitzenkönner auskommen muss. In der Defensive stützt es sich auf einen frischen Mann. Dimo Wache, durch seine anderthalb Jahrzehnte Klubzugehörigkeit die Mainzer Identifikationsfigur Nummer eins, hat sich schwer verletzt. Er wird durch den Goalie Müller ersetzt. Müller heisst mit Vornamen Heinz und hat zuvor im FC Barnsley gespielt. Er begeisterte im Land der ‚Fliegenfänger‘ die Fussballfans der zweiten Liga. (…) Der Trainer geniesst auch das Vertrauen des Vorstandes. Perspektivische Arbeit wird für Mainz die einzige Chance sein, sich dauerhaft zu etablieren. Das Budget des Aufsteigers entspricht dem eines prädestinierten Absteigers.“
Schöpferische Momente gesucht
Moritz Kielbassa (SZ) kommen Zweifel, ob Luca Toni in den Systemfußball von Louis van Gaal passe. Wie schon bei Franck Ribéry wird auch von Luca Toni vermutet, dass er sich nicht gerne einordnet, sich andererseits aber auch nicht gerne hinten anstellt: „Hackordnungen auf dem Fußballplatz sind eine sehr deutsche Sache, den Systemtrainer van Gaal interessieren keine Namen und Hierarchien, ihn interessieren nur taktische Abmachungen und Positionsaufgaben, die genau zu befolgen sind. Jeder Spieler hat dem System zu dienen, auch Ribérys und Tonis, die bisher Freigeister waren.“ Weder sei Toni ein kompletter Spieler wie Mario Gomez, noch ein Vorarbeiter wie Miroslav Klose, noch eine Arbeitsbiene wie Ivica Olic. Da Luca Toni gerne zur WM 2010 möchte, seien Gerüchte über eine Ausleihe zum AS Rom im Umlauf. Aber: „Van Gaal schreibt ihn nicht ab, er weiß, dass er bei all seiner Vorliebe für Taktik, Kalkül und Spielkontrolle auch schöpferische Momente herausragender Solisten benötigt, um mit Bayern die angepeilten großen Herausforderungen zu bestehen. Und ein topfitter Brecher Toni könnte solche zündenden Momente vielleicht wieder liefern. Sonderrechte aber könne der Charmeur künftig ‚vergessen‘, sagt van Gaal streng, er meint: selbständig dosiertes Training und eine Stammplatzgarantie für Toni.“ Gesetzt sei dagegen Mario Gomez, der das leiste, was man sich von ihm erwartet habe. Ivica Olic sei dabei, seine Position ständig zu verbessern, überhaupt habe der FC Bayern keine Probleme mit seiner Besetzung im Sturm. Das Mittelfeld dagegen liefere noch zu wenig Verwertbares nach vorne, was dem bislang fehlenden nötigen Feintuning für Fußball van Gaal’scher Prägung geschuldet sein dürfte.
Kommentare
9 Kommentare zu “Lebemänner, Freigeister, Fliegenfänger”
Mittwoch, 19. August 2009 um 14:07
„Van Gaal schreibt ihn nicht ab, er weiß, dass er bei all seiner Vorliebe für Taktik, Kalkül und Spielkontrolle auch schöpferische Momente herausragender Solisten benötigt, um mit Bayern die angepeilten großen Herausforderungen zu bestehen.“
Schöpferische Momente? Herausragende Solisten? Was haben die mit Luca Toni über die Sommerpause gemacht?
Mittwoch, 19. August 2009 um 14:45
Vielleicht noch ein kleiner Kommentar zur NZZ und Jörn Andersen:
Welche Mannschaften wurden in der letzten Zweitligasaison denn so viel stärker eingeschätzt als Mainz05? Der Glubb aus Nürnberg. Und danach?
Mainz05 galt doch von Anfang an zusammen mit Freiburg und eben den Nürnbergen als der Aufstiegsfavorit schlechthin. Kein Mensch hat Rostock den direkten Wiederaufstieg zugetraut. Selbiges wäre im Falle des MSV Duisburg eine ähnliche Überraschung gewesen, wie ein Aufstieg der Aachener. Wo also waren die stärkeren Mannschaften, die Andersen angeblich hinter sich gelassen hat? Vielmehr hat die Mannschaft doch ungewöhnlich oft geschwächelt und hätte zwischenzeitlich den Aufstieg sogar völlig aus den Augen verlieren können, wäre bspw. der 1. FC Kaiserslautern vor allem Auswärts nicht regelmäßig vom Pech (und später zugegebenermaßen vom eigenen Unvermögen) verfolgt gewesen.
Im Übrigen grenzt diese Glorifizierung Klopps mittlerweile endgültig an Unerträglichkeit, angesichts der aktuellen Berichterstattung über „den neuen Klopp“ Tuchel tendiert sie gar stark Richtung Brechreiz. Klopp mag ein moderner Trainer und Taktiker sein, letztlich hat er Aufstiege mit aufstiegsreifen Mainzer Mannschaften jedoch reihenweise verpasst und eine wirklich unterirdische und unsägliche letzte Bundesligasaison gespielt. Jedem anderen, der seine dreitagebärtige Nase nicht so oft in die Kamera streckt und sein Lieblingswort – „überragend“ – gepaart mit „geil“ aufsagt, hätte man solche Reinfälle wohl nicht einfach vergessen und verziehen.
Mittwoch, 19. August 2009 um 15:23
Tja, ist hier der Name Programm? Mich überrascht es nicht, dass jemand, der sich „Klaus-Peter“ nennt, derartige Tiraden loslässt (hier und einen Beitrag tiefer) – steht doch dieser Name für Mittelmäßigkeit, Langeweile und Harmlosigkeit. Da ist es doch nur konsequent, wenn sein Träger eifersüchtig auf alle diejenigen losgeht, die für Individualität, Phantasie, Eleganz und „Modernität“ stehen.
Der arrogante Franzose Ribery, der unfähige Italiener Toni, der „geil“-sagende Dreitagebartträger Klopp – mehr braucht es scheinbar nicht, um unseren Klausi zu überfordern.
Mittwoch, 19. August 2009 um 15:41
Donnerwetter. Als augenscheinlich unkritischer Geist plötzlich doch so „kritisch“, Lasse? Womöglich bewahrst du das nächste Mal einen kühleren Kopf und stellst fest, dass ich zumindest im vorliegenden Fall, wie auch in der Causa Ribery, zuvorderst die Berichterstattung kritisiere.
Allerdings bedarf es dazu zunächst einer Meinung. Hast du sowas?
Mittwoch, 19. August 2009 um 15:54
Schon Karl Kraus sagte, dass eine „Meinung“ oder ein „Standpunkt“ zum Miesesten gehört, was ein Mensch haben kann.
Und meiner Meinung nach hat er damit völlig recht. 😀
Mittwoch, 19. August 2009 um 16:11
Nun, wem lag es jemals ferner als Karl Kraus, Medien zu kritisieren? 😉
Donnerstag, 20. August 2009 um 08:26
@Lasse & @Klaus-Peter:
Oooch, Schade. Da freut man sich auf eine möglichst sumpfige und richtig gemeine Schlägerei auf der Wiese hinter dem indirekten Freistoß, mit Finger in die Augen stechen und so Sachen. Und dann das. Nach kaum zwei nicht mal ordentlichen Tiefgriffen endet schon alles in öffentlichem Rumgeknutsche. Diese Bierdosenrand-Abwischer-Mentalität der heutigen Jugend gibt einfach nichts mehr her.
Donnerstag, 20. August 2009 um 10:31
@Frank Baade:
Danke Trainer, Danke, Danke, Danke und nochmals Danke für diesen phänomenalen freistoss des Tages.
Wer sich da nicht wegschmeißt vor Lachen, der gehört – frei nach Hans Meyer – erschossen.
Freitag, 21. August 2009 um 12:57
Danke Trainer und Danke tafelrunde fuers anmerken, haette sonst glatt den Freistoss uebersehen… waere ja schade gewesen.