DFB-Pokal
Prickelnde Momente beim betörenden Volksvergnügen
| Samstag, 26. September 2009Bei Hertha redet man sich seine Leistung schön, der HSV ist dünn besetzt und schwächelt schon, der Wettbewerb DFB-Pokal verbreitet Glanz und verfügt über bestimmte Gesetze oder auch nicht
Friedhard Teuffel empfiehlt Lucien Favre im Tagesspiegel angesichts des anhaltenden Misserfolgs Unterstüzung von außen: „Bei allem Respekt vor dem fußballerischen Verstand des Trainers, erweckt er nicht den Eindruck, der größte Mutmacher und Motivator zu sein. Der Mannschaft Selbstbewusstsein zu vermitteln, ist aber derzeit die wichtigste Aufgabe, und entweder entwickelt Favre dabei noch ungeahnte Fähigkeiten, oder er holt sich professionelle Unterstützung von außen mit einem psychologischen Krisenmanager, ohne dabei jedoch seine eigene Autorität zu untergraben. Was das Beschäftigungsverhältnis des Trainers insgesamt betrifft: Ein Ultimatum zu setzen, ist nicht sinnvoll, Druck ist schon ausreichend vorhanden auf die Spieler, auf den Trainer. Kein Ultimatum zu setzen, wäre dann letztlich aber auch eins. Denn das käme einem Entlanghangeln von Spiel zu Spiel gleich, in der Woche vor und nach jedem Spiel würden die immerselben Fragen nach der Zukunft des Trainers gestellt. Warum also nicht ein klares Bekenntnis, mit dem Trainer einfach weiterzuarbeiten, bis mindestens zur Rückrunde?“
Thomas Becker findet in der taz jene Deutlichkeit im Ausdruck, die den Berlinern zu ihrer Leistung nicht gelang: „Durchhalteparolen vom Plattesten sonderte Preetz ab. Selten hat sich eine Mannschaft, die vor vier Monaten noch um die Meisterschaft spielte, eine Niederlage gegen den Tabellendreizehnten der zweiten Liga so schöngeredet. Bei der Analyse blendeten die Herthaner die ersten fünf Sechstel der regulären Spielzeit erfolgreich aus und krallten sich mit Macht an der letzten Viertelstunde und der Verlängerung fest. Die Gastgeber hatten sich mit sehr viel Einsatz und Biss die 2:0-Führung hoch verdient. (…) Lucien Favre hatte zumindest gut gewechselt. Dass seine Stürmer in der Folgezeit mal wieder nicht ihre Chancen nutzten und im Elfmeterschießen die Nerven versagten, kann man dem Trainer kaum vorwerfen. Maximilian Nicu fasste das Dilemma bündig zusammen: Was fehle, sei die Qualität des letzten Jahres. Mit diesen wenigen, aber klaren Worten unterschied er sich wohltuend von den übrigen Berliner Kommentargebern. Bedenklich stimmten dagegen die sehr dünnen Einlassungen des sonst selten um eine Erklärung verlegenen Hertha-Trainers.“
In der NZZ verrät Stefan Osterhaus, was Favre denn zur Krise vorzubringen habe: „Gerne spricht er über die Ursache für die Misere. Aus seiner Sicht ist es die Transferpolitik. Hertha BSC ist klamm, Geld für hochklassige Zukäufe ist kaum vorhanden. Die Angreifer Pantelic und Woronin verliessen den Klub, der Abwehrspieler Simunic spielt nun in Hoffenheim. Es waren drei Schlüssel-Transfers, die der Hertha ihre Stärken aus der Vorsaison nahmen. Und es gibt nicht wenige, die bereits im Finish der letzten Meisterschaftsrunde erste Anzeichen der Krise erkennen, die den Klub nun plagt: Favre demontierte den Captain Arne Friedrich, der ein kongeniales Duo in der Innenverteidigung mit Simunic gebildet hatte. Und er machte keine Anstalten, Pantelic, den besten Torschützen, zu halten. Favre kam mit dessen exzentrischer Art nicht zurecht. Heute steht die Mannschaft ohne einen Klassestürmer da, weshalb die Lösung der Misere weniger in einer Entlassung Favres als in einer teuren Nachbesserung des Kaders bestehen könnte.“
Weit entfernt von Bundesliganiveau
Bei Spiegel Online wundert sich Frieder Schilling über die Personalpolitik im Angriff des HSV: „Obwohl der Weg zu Titeln oft über die vielzitierte Abwehr führt, wird beim HSV die kommenden Wochen die Offensive im Mittelpunkt stehen. In Osnabrück bot der Schwede Marcus Berg erneut eine enttäuschende Leistung, bekam von der ‚Bild‘-Zeitung als einziger der ‚Elfer-Trottel von der Elbe‘ die Note sechs verpasst. Berg, mit zehn Millionen teuerster Einkauf der Vereinsgeschichte, soll Ivica Olic ersetzen. Der Club ging mit seiner Verpflichtung ein hohes Risiko ein. Aus Groningen kommend und damit weit entfernt von hohem Bundesliganiveau hatte er bei der U21-EM hatte groß aufgespielt, wurde dort Torschützenkönig. Zweifellos ein Talent. Aber noch nicht in der deutschen Eliteklasse angekommen. Er trifft das Tor nicht. Bergs Problem – und das des HSV – ist der Kreuzbandriss des Paolo Guerrero. Mit dem Peruaner als Partner im Sturm, hätte Berg möglicherweise mehr Zeit gehabt, sich einzuspielen. Auch wenn der Verein aktuell die erfolgreichste Offensive der Liga stellt, die Schlagzahl wird höher, die englischen Wochen stehen vor der Tür. Einzig mit Mladen Petric, der kein klassischer Mittelstürmer ist, einem Berg ohne Selbstvertrauen und einem 19-Jährigen Tolgay Arslan, wird man schwerlich die gesetzten Ziele erreichen können, das in erster Linie Champions League lautet. Warum aber hat der HSV dann in Änis Ben-Hatira und Maxim Choupo-Moting gleich zwei Nachwuchsstürmer kurz vor Ende der Transferperiode verliehen?“
Lars Wallrodt und Matthias Linnenbrügger (Welt) machen die Niederlage in Osnabrück auch an jenem Marcus Berg fest, der eine frühe Chance nicht genutzt hatte: „Die Hamburger sind abhängig von frühen Toren, weil diese den Gegner zu mehr Offensive zwingen. Gegen eine gut gestaffelte Defensive hingegen wirkt der Tabellenführer hilflos – das Spiel zu machen gehört nicht zur Stärke des HSV. In Wien und Osnabrück wurde das offenkundig. Ein weiterer Grund für die Hamburger Schwächephase: Viele Spieler scheinen mit dem Drei-Tage-Rhythmus nicht klarzukommen. Besonders bei Eljero Elia, der vor der Saison von Twente Enschede kam, ist der Substanzverlust sichtbar. Der Niederländer startete stark, blieb zuletzt aber wirkungslos.“
Der DFB-Pokal glänzt
Jürgen Ahäuser (FR) zählt durch und erinnert sich an den früheren 10DM-Schein: „Nur acht Erstligisten haben die zweite Runde überstanden – so wenige wie seit neun Jahren nicht mehr. Die Gründe dafür liegen in diesem ganz speziellen Falle nicht auf dem Sportfeld, sondern im Kopf der Akteure. Der K.o.-Modus hat eben seinen eigenen Charakter. Die da unten gegen die da oben. Die Chance für eine Nacht und die Zeit bis zur nächsten Runde berühmt zu werden und die Großkopferten der Lächerlichkeit preiszugeben, setzt vor allem im Oberstübchen der Kicker aus der Unterschicht Kräfte frei, die bis in Mark und Bein strahlen.“ Ahäuser schließt dennoch erfrischend unaufgeregt: „Der aktuelle, ja tatsächlich geballte Aufstand der Mittelschicht war auch diesmal keine Revolution. Er war dem Pokal-Momentum und einem kleinen Ausreißer in der großen Gauß’schen Theorie geschuldet.“
Jürgen Schmieder räumt in der SZ mit der stetig zitierten Legende im Pokal auf: „Schuld an der [Berliner] Niederlage waren freilich die eigenen Gesetze des Pokals und nicht die Tatsache, dass die Berliner 75 Minuten lang keinen vernünftigen Angriff inszenieren konnten. Vielleicht hat dieser DFB-Pokal gar keine eigenen Gesetze – oder vielleicht sind diese eigenen Gesetze nur eine Fortführung dessen, was auch in der Bundesliga und in jedem anderen Wettbewerb gilt: Wer schlecht spielt, darf sich nicht wundern, wenn er verliert – egal, in welcher Liga der Gegner spielt.“
Ewiges Geheimnis des verrückten Spiels
Bestnoten verteilt Andreas Lesch in der Berliner Zeitung für diese Runde: „Es ist an der Zeit, ein Plädoyer für den DFB-Pokal zu halten. Er ist zu oft zerredet, verspottet, vergessen worden. Der Pokal hat in dieser Runde gestrahlt. Er hat eine perfekte Leistung abgeliefert. Selbst das strengste Fachmagazin hätte ihm die Note 1 gegönnt, mit Sternchen. Der Pokal hat gezeigt, was er kann: Er hat beim 6:4 von Frankfurt gegen Aachen bewiesen, dass Fußball auch ohne Abwehrreihen funktioniert. Er hat beim 4:2 von Trier gegen Bielefeld mit der Nachricht überrascht, dass Mario Basler es mit seiner Trainerkarriere ernst meinen könnte. Er hat Markus Babbel zur kürzesten Kabinenansprache seiner Karriere getrieben (‚Bleibt liegen oder steht auf‘). Und übrigens: Der Pokal hat bewiesen, dass er nicht nur seine eigenen Gesetze hat, sondern dass er sie auch flexibel anwenden kann.“ So wünsche sich nun Heribert Bruchhagen nicht wie ansonsten üblich Bayern München als nächsten Gegner, sondern: Eintracht Trier.
In der FAZ legt Roland Zorn dar, was im Pokal in den Köpfen der Favoriten vorgeht: „Die Angst vor der Blamage wird gerade in den Augenblicken immer größer, da es kein Entrinnen, kein Ausweichen mehr gibt. Nicht zufälligerweise war der VfL Osnabrück dem Bundesliga-Primus aus Hamburg im Elfmeterschießen deutlich überlegen. In dieser ultimativen Phase liegen die Vorteile oft bei der Mannschaft, die schon fast alles gewonnen und sowieso nichts zu verlieren hat. Der Pokalwettbewerb erweckt jedenfalls in seinen prickelnden Momenten den Eindruck, dass der Fußball für eineinhalb Stunden oder mehr auf eine klassenlose Gesellschaft zurolle. Das ist zwar letztlich eine Illusion, doch auf dem Weg zum Ziel winkt der Triumph der Basis an vielen Etappenorten. Staunen über die Kleinen, Schadenfreude über die Großen: Wer noch nicht wusste, warum der Fußball ein betörendes, unschlagbares Volksvergnügen bleibt, ist am Dienstag und Mittwoch schlauer geworden, ohne dem ewigen Geheimnis dieses oft verrückten, unlogischen Spiels auf den Grund kommen zu können.“
Kommentare
2 Kommentare zu “Prickelnde Momente beim betörenden Volksvergnügen”
Samstag, 26. September 2009 um 11:55
SpOn:
„Warum aber hat der HSV dann in Änis Ben-Hatira und Maxim Choupo-Moting gleich zwei Nachwuchsstürmer kurz vor Ende der Transferperiode verliehen?“
Weil zu dem Zeitpunkt kein Platz im Kader für die beiden Spieler war und beide unbedingt Spielpraxis sammeln wollten/sollten.
Hinterher draufzuhauen, Gott wie einfach.
Sonntag, 27. September 2009 um 18:12
Schade, kein Ausschnitt über das grandiose Spiel meines FCs gegen Wolfsburg 🙁 .