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Saint Gus

Frank Baade | Freitag, 9. Oktober 2009 Kommentare deaktiviert für Saint Gus

Der nicht zu übersehende Aufschwung im russischen Fußball seit der EM 2008 wird vor allem an zwei Männern festgemacht: an Guus Hiddink, der wiederum einen anderen zum Weltstar machen könnte: Andrej Arschawin

Frank Hellmann (FR) berichtet Wissenswertes vom Weitgereisten: Guus Hiddink habe den Russen vor allem Vertrauen in die eigene Stärke gebracht. „Der Hiddink-Faktor ist neben der Kunstrasen-Komponente der größte Angstmacher für das Team von Bundestrainer Joachim Löw. Der polyglotte Reisende in Sachen Fußball, der PSV Eindhoven und Fenerbahce Istanbul, den FC Valencia, Real Madrid und zuletzt zeitgleich mit Russlands Nationalteam auch den FC Chelsea anleitete, die Niederlande und Südkorea ins WM-Halbfinale (1998 und 2002), Australien ins WM-Achtelfinale (2006) und Russland ins EM-Halbfinale (2008) führte, gilt als weltbester Kopf für Projekte dieser Art. Hiddink führte das Spezialistentum ein, noch bevor es Trainer wie Jürgen Klinsmann entdeckten. Der Niederländer wurde in der Nachkriegszeit in der Provinz Geldern, ganz in der Nähe der deutschen Grenze geboren, wuchs mit fünf Brüdern in einer Familie auf, die sich anfangs mit Tomaten pflücken und Kühe melken den Lebensunterhalt verdiente. Darüber, dass sein Vater einst abgeschossene Piloten der Alliierten im Hause versteckte, die von deutschen Soldaten gesucht wurden, spricht Hiddink nur ungern – gerade jetzt. Deutschland sei für ihn ein ausgesprochen angenehmes Land, 2006 habe er das noch einmal erlebt. Vielleicht führen die ‚Erfahrungen einer anderen Generation‘, wie Hiddink die Familienhistorie nennt, auch tatsächlich zu weit weg vom Trainer mit Weltruf, der unterschiedliche Nationalitäten und Denkweisen, Kulturen und Spielphilosophien in sich vereint. In seiner Biografie ‚Saint Gus‘ (Der heilige Gus) hat er sich selbst als ‚Anarchisten innerhalb akzeptabler Werte.‘ beschrieben. Hiddink möchte etwas aus dem freien Willen heraus schaffen und nicht in einem Korsett aus starren Vorschriften ersticken. Er gibt dem russischen Fußball genau jenes Stück Freiheit, das so lange gefehlt hat; er lässt hochbegabte Freigeister wie Andrej Arschawin die Dinge tun, die den Unterschied ausmachen.“

No Guus, no team

Die SZ titelt von der „niederländischen Revolution“ und Frank Nienhuysen präzisiert: „Russlands Trainer Guus Hiddink hat seine Spieler überzeugt und seine Gegner zum Schweigen gebracht. Nun ist er Alleinherrscher – und ziemlich beliebt.“ Zur Frage nach Hiddinks weiterem Verbleib in Russland beteiligten sich die Spieler selbst an dieser Debatte mit einer Deutlichkeit, die viel aussage über den hohen Stellenwert des Trainer ins Russland. Neben anderen Fürsprechern sei auch der prominente Andrej Arschawin – „im Gespräch ähnlich prägnant wie Lukas Podolski – mit den Worten zitiert worden: ‚No Guus, no team.‘ Hiddink habe die Sbornaja geformt wie vorher kaum ein anderer seiner russischen Vorgänger, und längst ist die Botschaft angekommen im Volke: Alle Macht geht von Hiddink aus.“ Es sei die Mischung aus Disziplin, Lässigkeit und Sachverstand, die das Team zu seinem Erweckungserlebnis geführt habe. Er sei unkompliziert und offen im Umgang. Wenn er, was durchaus vorkäme, aufgrund von fehlerhaftem Spiel sauer werde, würde er aber auch leicht wieder verzeihen. Früher habe es meist ein geschlossenes, strenges Regime gegeben. Jetzt sei es wie ein Feiertag, wenn sich die Sbornaja trifft.

Symbol des Aufbruchs

Ronny Blaschke (Berliner Zeitung) begreift Arschawin als Sinnbild der Veränderungen unter Hiddink: „Wie kein Zweiter symbolisiert Andrej Arschawin, 28, den Aufbruch des russischen Fußballs. Während der EM im vergangenen Jahr führte er die Sbornaja überraschend ins Halbfinale. Mit Arschawin [der ins Ausland zu Arsenal gewechselt ist, fb] hat sich der gesamte russische Fußball geöffnet. Von den EM-Teilnehmern 2008 war nur ein Spieler im Ausland aktiv, Ivan Sajenko, damals beim 1. FC Nürnberg. Der niederländische Trainer Guus Hiddink, der die Russen seit 2006 betreut, forderte seine Kicker auf, es sich in der Heimat nicht zu bequem zu machen. Die Oligarchen von Zenit St. Petersburg und ZSKA Moskau können zwar Millionengagen finanzieren, dauerhaft gefordert werden die Spitzenspieler selten, ein großes sportliches Gefälle prägt die Premjer-Liga. (…) Es ist ein Anfang, nicht mehr. Während der WM 1994 waren es zwölf Russen, die ihren Horizont im Ausland erweiterten. Doch schon damals stand kein Spieler in den Reihen, der mit einem Talent gesegnet war wie Andrej Arschawin. Er läuft nicht über das Spielfeld, er gleitet, den Ball als Tanzpartner, die Gegner als Komparsen. Wenn er denn will. Es gibt Spielabschnitte, da scheint sich Andrej Arschawin hinter der Eckfahne zu verstecken, um Minuten später wie eine Raubkatze aufs Tor zu stürzen. Auch deshalb gewährt Guus Hiddink ihm Freiraum. Seine Landsleute trauen ihm zu, ein Weltstar zu werden. Viele hat es davon im russischen Fußball nicht gegeben. Es war genau einer: der legendäre Torwart Lew Jaschin.“

Weil er mich immer versteht

Zu Hiddinks Wirken äußert sich – der offensichtlich sehr zurückhaltende – Pawel Pobgrebnijak im Interview mit Welt Online:

„Welt Online: Unter dem holländischen Trainer Guus Hiddink hat sich die Sbornaja permanent gesteigert. Was macht Hiddink anders als andere?

Pogrebnijak: Er ist ein hervorragender Psychologe. Er gehört zu den Leuten, mit denen ich mich jeden Tag unterhalten möchte, weil er mich immer versteht.

Welt Online: Können Sie dem Trainer schon Tipps über Stärken und Schwächen der Bundesliga-Kollegen geben?

Pogrebnijak: Bestätigt hat sich für mich, dass die deutschen Spieler sehr diszipliniert sind. Über ihre sonstigen Qualitäten weiß Guus Hiddink sicher besser Bescheid.“

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