indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Einfach nur cool

Frank Baade | Montag, 12. Oktober 2009 3 Kommentare

Deutsche Fußballer verfügen wieder über ein „Siegergen“, Löw hat ein Näschen für Stärken und Schwächen, es herrschen kaum Zweifel an Adlers Rolle als Stammtorwart bei der kommenden WM in Südafrika

Bei Spiegel Online fühlt sich Peter Ahrens durch das Auftreten der Deutschen in Moskau an eine andere erfolgreiche Zeit im deutschen Fußball erinnert, wofür er Trainer Löw verantwortlich macht: „Solche Spiele wie das am Samstag in Moskau gegen Russland hat man gefühlt schon mindestens hundertmal von der deutschen Nationalelf gesehen. Der Gegner versiebt Torchancen im Dutzend, und auf der anderen Seite schießt Miroslav Klose das Siegtor. Seit gestern Abend hat dieses Phänomen auch einen angemessenen Namen im internationalen Fußball. Russlands Guus Hiddink hat dafür extra in seinem deutschen Wortschatz gekramt: ‚Durchschlagskraft‘. Dieses Team braucht niemals viele Tormöglichkeiten – es generiert auch fast nie viele Chancen, selbst gegen Mannschaften wie Aserbaidschan oder Wales nicht. Aber es verwertet sie. Keinerlei Rauschgefühl, keine Fußballparty, kein Hoppla-Hopp, stattdessen gut abgehangener Ergebnisfußball, als wären die achtziger Jahre zurückgekehrt. (…) Löw ist nie ein Revolutionär gewesen, wie man es seinem Vorgänger Klinsmann angedichtet hat. Moskau ist vielmehr das Gesellenstück eines sanften Reformers. Der ein ausgesprochen gutes Gespür dafür hat, auf welche Stärken und auf welche Spieler er bauen kann.“

Stummer Ausdruck russischer Resignation

Michael Horeni (FAZ) gratuliert zur bestandenen Prüfung: „Die Fußball-Nationalmannschaft zeigt in ihrem schwierigsten Spiel, was in ihr steckt.“ Nicht weniger als die „reifste Vorstellung“ unter Löw sei diese Partie gewesen, das Führungstor der verdiente Lohn für eine „taktische und mentale Meisterleistung“. Die Genialität Arschawins habe man auf diese Weise erstickt. Glück habe man ebenfalls gehabt, aber man habe sich nicht darauf verlassen müssen. Auch nach dem Platzverweis war „die innere Stabilität des Teams so stark, dass die Russen keinen neuen Weg selbst zu einem halben Erfolg mehr fanden. In den letzten Minuten fand die russische Resignation auf dem Platz auch in der Stille des riesigen Luschniki-Stadions auf den Rängen ihren stummen Ausdruck. Die Deutschen indes blieben innerlich so kaltblütig und taktisch so souverän, wie man es sonst nur von italienischen Meistern kennt.“

Sven Goldmann (Tagessspiegel) bringt den Kern des Spiels auf den Punkt: „Das ist die Botschaft dieses Abends von Moskau: Die Deutschen sind wieder da, nie übertrieben euphorisch, immer auf die nächste Aufgabe fixiert, auch wenn sie nur noch statistische Relevanz hat wie das Spiel am Mittwoch gegen Finnland. Diese Deutschen, die einen Gegner gern glänzen lassen, wenn er ihnen im Gegenzug die Punkte lässt. Die aus einer Chance ein Tor machen und manchmal auch aus einer halben. Die sich deshalb einen Status erspielt haben, der irgendwo zwischen Unbeliebtheit und Bewunderung liegt. So stützt der Triumph von Moskau auch die These, dass Fußball zwar mit den Füßen gespielt wird, aber mit dem Kopf gewonnen wird. Kapitän Michael Ballack sprach weniger von Schüssen, Pässen und Kopfbällen denn von Konzentration, Nervenstärke und Disziplin, da hätten sich die Deutschen klare Vorteile erspielt und deswegen auch verdient gewonnen. Ballack spielte eine große Partie, obwohl der nasse, schnelle Kunstrasen seinem körperlich geprägten Stil nicht entgegenkam. Es spricht für seinen Charakter, dass er im wichtigsten Spiel des Jahres so uneigennützig agierte wie sonst kaum in der Nationalmannschaft. Seine Aufgabe war es, gemeinsam mit Simon Rolfes im zentralen Mittelfeld die Räume eng zu machen und dem Ausnahmekönner Andrej Arschawin die Lust am Spiel zu nehmen.“

„Nicht überzeugt und Glück gehabt“ lässt dagegen Stefan Osterhaus in der NZZ titeln und ist damit eine der wenigen Stimmen, die sich nicht an der kühlen Effizienz der deutschen Mannschaft begeistert. „Ab der 50. Minute gaben die Russen das Tempo vor, und es war vor allem einer erstklassigen Leistung von René Adler zu verdanken, dass es den Russen nicht gelang, auszugleichen. Als Boateng zwanzig Minuten vor dem Abpfiff nach einer zweiten Verwarnung für ein Foul des Feldes verwiesen wurde, schien die Wende nur noch eine Frage von Minuten zu sein. Doch das deutsche Team gewann mit der Einwechslung des Berliners Arne Friedrich in Unterzahl wieder an Spielkontrolle, ehe Russland in den letzten Minuten noch zwei Mal vor dem deutschen Tor auftauchte.“

Auch Carlos Ubina (Stuttgarter Zeitung) will in die Lobeshymnen nicht einstimmen: „Die DFB-Elf hat einmal mehr bewiesen, dass sie konzentriert und konsequent spielen kann, wenn es darauf ankommt. Doch führt dies zur eher schlechten Nachricht dieser Qualifikationsbegegnungen: Die deutsche Mannschaft hat sich seit dem verlorenen EM-Finale 2008 nicht weiterentwickelt. Das liegt zum einen daran, dass die vom Bundestrainer protegierte zweite Leistungsebene mit Spielern wie Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski bestenfalls stagniert. Zum anderen zeigt sich auch, dass die DFB-Elf den von Löw geforderten dominant-aggressiven Offensivstil immer nur phasenweise, aber nie über 90 Minuten gegen gute Gegner umsetzen kann.“

Bizarre Unterschätzung

Benjamin Bidder (Spiegel Online) hört russischen Stimmen zu, die ein vernichtendes Urteil über die Leistung der eigenen Mannschaft fällen, welches er selbst für ganz und gar nicht zutreffend hält: „Auch die Medien verweigern dem Team am Tag nach der bitteren Heimschlappe den eigentlich verdienten Beifall. Unter der Überschrift ‚Der Rasen war künstlich, die Deutschen aber echt‘, geht das Fachblatt ‚Sport-Express‘ hart mit den eigenen Spielern ins Gericht. Viel zu berechenbar, zu einfallslos sei das russische Spiel angelegt gewesen. Stets sei der Ball bei der ersten Gelegenheit an Arschawin weitergeleitet worden – auf dessen Künste habe sich aber auch Deutschland lange vorbereiten können. Verdrossen stellt das Blatt fest, in seiner Qualität habe das russische Spiel in keinster Weise ‚dem Status – und der Klasse – des Gegners entsprochen.‘ Eine etwas bizarre Unterschätzung der fulminanten Dynamik, mit der die Russen Angriff um Angriff vor das Tor des überragenden René Adler trugen. Tatsächlich zeigte das Team von Trainer Hiddink sowohl beim Hinspiel in Dortmund als auch am Samstag in Moskau eine Leistung, die ohne Zweifel zum Besten gehört, was russische Fußballer in den vergangenen 20 Jahren auf dem Rasen zu Stande gebracht haben. Schon jetzt ist das Team spielerisch viel weiter, als während der Qualifikation zur Europameisterschaft 2008. Damals sicherten sie sich nur dank kroatischer Schützenhilfe und einem knappen 1:0 gegen Andorra die Turnierteilnahme.“

Magische Souveränität

Einige Male geprüft wurde Torwart René Adler in Moskau und war dabei wie auch schon beim Hinspiel in Dortmund erfolgreich: Adler bestand. In der FR macht ihn Jan Christian Müller daraufhin bereits zum Stammtorwart: „Im Grunde kann nur ein erheblicher Leistungsabfall oder eine Verletzung Adler jetzt noch zurück ins zweite oder dritte Glied versetzen, zumal Robert Enke bis kommenden März keine Gelegenheit mehr erhalten kann, sich in der Nationalmannschaft anzubieten. Es sei denn, die Trainer überlegen es sich noch einmal anders und setzen am Mittwoch gegen Finnland in Hamburg bereits Tim Wiese ein, um Enke noch eine Chance im November zu geben. Adler kann sich das alles in aller Seelenruhe anschauen, nachdem er seine Arbeit in Moskau mit enormer Ruhe und Abgeklärtheit und überragendem Reaktionsvermögen verrichtet hatte. Seine Fußabwehr nach einer halben Stunde gegen den durchgebrochenen Wladimir Bystrow war das Zeichen, dass seine Mannschaft sich auf die letzte Instanz verlassen konnte. Sowohl Freund wie Feind konnten sich fortan darauf verlassen, dass auf dieser Position ein Meister seines Fachs agiert. Das schafft Eindruck auf beiden Seiten. Einen Eindruck, den Adler mit fortschreitender Spielzeit fest zementierte.“

„Das Zeug zum Kahn“ attestiert Christof Kneer (SZ) dem Jungvogel: Seine Konzentrationsfähigkeit sei so weit entwickelt, dass er „dem Spiel seinen Willen aufzwingt“. Er vermöge es, sich in einen Tunnel zu versetzen, wo es keinen Anlass mehr zu Nervosität gebe. Dort existierten nur noch er, der Ball und das Spiel. „Adler war der Mann, der das deutsche Tor in den entscheidenden Russland-Spielen mit einer geradezu magischen Souveränität beschützte. René Adler hat das Zeug zum Kahn. An guten Tagen kann er dem Team etwas geben, was übers reine Handwerk hinausreicht.“ Zwar sei Robert Enke nicht unbedingt schlechter, und dann gebe es auch noch Manuel Neuer, dem mancher eine noch komplettere Begabung attestiere. „Aber Adler hat etwas, was man nicht lernen kann: Er kann Paraden, die den Gegner einschüchtern – sei es, weil sie so spektakulär aussehen oder weil sie zu einem Zeitpunkt kommen, der das ganze Spiel beeinflusst.“

Dabei sollte man vielleicht nicht vergessen, wie kurz Kahns Nationaltorwartkarriere als Stammtorwart tatsächlich war: im Grunde dauerte sie nur von 1999 bis 2004.

freistoss des tages

Kommentare

3 Kommentare zu “Einfach nur cool”

  1. Lena
    Montag, 12. Oktober 2009 um 14:36

    Klasse Zusammenfassung und Ergaenzungen, vielen Dank.

    Was mir noch so aufgefallen ist, auf der Tribuene. Da sass doch der Schroeder neben Putin und Medvedev und es sah aus, als haetten die beiden ihr Spielzeug mitgebracht. Als eine Art Beutebraut, oder neudeutsch Model/Actress/Whatsoever. Hat dann doch gut getan, dass der Exkanzler sich fuer die deutsche Manschaft begeistern konnte trotz der eisigen Blicke seiner russischen Chefs.

  2. juwie
    Dienstag, 13. Oktober 2009 um 21:41

    Überzeugende Leistung, Trainer! Man vermisst of kaum. … und das ist ein Kompliment!

  3. Frank Baade
    Dienstag, 13. Oktober 2009 um 21:56

    Herzlichen Dank, Lena und juwie. Ich senke mein Haupt.

    Der Altmeister wirkt übrigens durchaus noch manches Mal als solcher im Hintergrund, was ich sehr zu schätzen weiß.

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