Bundesliga
Weltweit bestbezahlter Spaziergänger
| Montag, 19. Oktober 2009Tasmania-Vergleiche für die Hertha, bei Werder steht neuerdings die Null, welche in Leverkusen Hyypiä erfolgreich sichert, in Stuttgart könnte schon bald Koller auf Babbel folgen
Nach der erneuten Niederlage der Berliner Hertha kommt Peter Stolterfoht (Stuttgarter Zeitung) am Schreckgespenst aller Fußball-Statistiker nicht vorbei: „Gerade einmal zwei Siege verbuchten die Tasmanen in der Saison 1965/66 und schlossen diese mit der legendären Tordifferenz von 15:108 ab. Die Hertha hat nach neun Spieltagen einen Sieg auf dem Konto, und die große Frage lautet nach der Partie in Nürnberg: Gegen wen soll denn der zweite Erfolg erzielt werden, um wenigstens mit dem SC Tasmania gleichzuziehen?“
Diese Frage stelle sich durchaus, denn Michael Jahn konstatiert in der Berliner Zeitung: „Bei der 0:3-Niederlage in Nürnberg spielte die Mannschaft seelen- und herzlos, sie präsentierte sich wie ein Absteiger, sie zeigte sich willen-und chancenlos. Zwischen dem Tabellenletzten und dem bis dato Vorletzten Nürnberg bestand ein Klassenunterschied. Offenbar hatte auch Funkel vor seiner Verpflichtung aus der Ferne die Qualität des Kaders viel positiver eingeschätzt, als sie tatsächlich ist. Die Mannschaft ist jedenfalls nur noch ein fragiles Gebilde, dem auch die einfachsten Dinge nicht gelingen, das sich in jedem Spiel neu blamiert. Zudem müssen sie bei Hertha nun auch damit leben, dass der Effekt des Trainerwechsels von Favre zu Funkel verpufft ist.“
Frank Hellmann (FR) erinnert sich an jene Vorgänge, die die Hertha ins Wanken brachten: „Mit dem Hoeneß-Rückzug verlor der geschasste Lucien Favre sein entscheidendes Regulativ. Mag der Schweizer ein glänzender Fußballversteher sein, Fußballverstand bei der Spielersuche besitzt er nicht. Und so verwaltet Friedhelm Funkel den puren Mangel, sein konturloses Kollektiv scheint mit der Situation heillos überfordert.“
Verteidiger und Torwart im Mittelpunkt
Enttäuscht zeigt sich Christian Oeynhausen in der FR von der vermeintlichen Spitzenpartie Hamburger SV gegen Bayer Leverkusen, hebt aber einen Spieler heraus: „Die Trainer-Geschichte hatte sich schon vorher im Austausch von Nettigkeiten aufgelöst. Das Topspiel wurde, wie es eben öfter passiert, eine zähe Nummer, von gegenseitigem Respekt geprägt, ein Spiel, in dem nicht die Regisseure, die Torjäger die auffälligsten Spieler waren. Sondern auf der eine Seite der Torwart Frank Rost und auf der anderen ein Verteidiger, Leverkusens famoser Sami Hyypiä. (…) Aber der HSV ist nicht die erste Mannschaft, die gegen Leverkusen kein Tor erzielte. Nur fünf Gegentreffer hat Torhüter René Adler kassiert, im Vorjahr waren es zu diesem Zeitpunkt elf. Für die Werkself war es das vierte zu-null in Folge. Unter Heynckes hat Bayer besser verteidigen gelernt, das Mittelfeld steht kompakter. Die Solidität trägt den Namen Sami Hyypiä.“
Nicht wegzudiskutierende Unzulänglichkeiten
Bezogen auf die siegreichen Bayern ist sich die Presse einig: Das war wieder nichts, zumindest nichts Ansehnliches. So ist Dominik Prantl (Sueddeutsche.de) wenig angetan vom Auftritt der Bayern. Mit Verlauf der Partie „nahm das spielerische Niveau sukzessive ab. Dass sich Freiburg aufs Tore verhindern konzentrierte, überraschte weniger, dass dafür aber einfachste Mittel reichten, dürfte doch manchen verblüfft haben. Selbst mit Fernglas war keinerlei Kreativität zu erkennen.“ Das Entstehen des ersten Tores schildert Prantl süffisant: „Kloses plötzliches Erscheinen reichte, um den Ball in die Mitte zu köpfeln, wo der weltweit bestbezahlte Spaziergänger Toni wenige Meter vor dem Tor mit der Wucht eines Piazza-Kickers gegen den Ball trat.“ Den folgenden Abpraller verwandelte Thomas Müller zum 1:0. „Das Schnäppchen Müller aus Weilheim also, weder Weltmeister noch Nationalstürmer, beendete die Torflaute des Multimillionenangriffs.“
Christoph Ruf schaut trotz des Siegs der Bayern in Freiburg kritisch auf die Substanz des Spiels (Spiegel Online): „Es ist noch nicht lange her, da hätte man sich ungläubig die Augen gerieben hätte, wenn eine Mannschaft des FC Bayern bei einem Aufsteiger zu kaum mehr als zwei echten Torchancen gekommen wäre. Nett anzuschauen ist der Münchner Fußball derzeit sowieso nicht, mehr als die Kontrolle der Partie gelang den Bayern nach der wackligen Anfangsphase kaum. Manche Unzulänglichkeit im Bayern-Kader lässt sich kaum wegdiskutieren.“ Edson Braafheid müsse trotz immer wieder fehlerhaftem Spiel aufgestellt werden, weil die Alternativen fehlten.
Konzepttrainer Koller
In der Stuttgarter Zeitung hat Thomas Haid einen Nachfolger für VfB-Trainer Markus Babbel schon parat. Die Ablösung Babbels, dem zwei Hauptvorwürfe gemacht werden, könnte kurz bevor stehen: „Babbel habe nach den anfänglichen Misserfolgen die Zeichen zu spät erkannt und zu spät reagiert, heißt es. Dadurch habe er der Selbstzufriedenheit in der Mannschaft die Tür geöffnet. Der andere interne Knackpunkt ist die pausenlose Rotation von Babbel. Der Vertrauensbeweis [Heldts] schließt jedenfalls nicht aus, dass der VfB den Markt sondiert. Nach StZ-Informationen gibt es auch bereits einen eindeutigen Favoriten, falls Babbel kippt: Marcel Koller. Mit Koller wurden wohl bereits konkrete Gespräche geführt. Der Schweizer gilt als ein Konzepttrainer, der Heldt schon länger positiv aufgefallen ist. Allerdings würde Koller in Stuttgart ein schweres Amt übernehmen. Nach neun Spieltagen wies der VfB zuletzt in der Saison 1974/75 eine so schlechte Startbilanz auf wie jetzt. Damals stieg der Verein übrigens in die zweite Liga ab.“
Elke Rutschmann ergänzt in der Financial Times Deutschland: „Nach neun Spielen und mageren acht Pünktchen steht der Vorjahresdritte nur wegen des Torverhältnisses nicht auf einem Abstiegsplatz. Teamchef Markus Babbel ist wieder da angekommen, wo er vor fast einem Jahr den Job von Armin Veh übernommen hatte. Die Leidenschaft, die Laufbereitschaft und die Aggressivität stimmten. Es fehlten jedoch die kreativen Ideen. Und wieder einmal war Alexander Hleb mit seinem Auftrag völlig überfordert. Da wirkte die Anzeige im Stadionheft fast schon wie ein Anachronismus, in der Hleb mit dem Spruch ‚Das Treffen der Edeltechniker‘ für eine Nobelkarosse warb. Hleb fehlt immer noch die Bindung zu den Angreifern Cacau und Pogrebnjak.“ Schließlich kommt Rutschmann zu einer anderen Einschätzung als Haid: „Stuttgart hält an Markus Babbel als Trainer fest. Noch genießt Babbel den notwendigen Rückhalt seines Sportdirektors.“
Oliver Trust (FAZ) wundert sich sowohl über die Atmosphäre im Stadion als auch über ein vermeintlich typisches Stuttgarter Problem: „In der Mercedes-Benz-Arena macht sich derweil eine seltsame Stimmung breit. Niemand ruft ‚Babbel raus‘, es wird kaum einmal gepfiffen. Der VfB-Teamchef genießt einen hohen Sympathiebonus, hat aber ein grundsätzliches Stuttgarter Problem bisher nicht in den Griff bekommen. Demnach folgt auf Erfolge verlässlich der Absturz. Als Babbel im November 2008 antrat, war es Armin Veh nach der Meisterschaft so ergangen. Jetzt setzt sich Babbel nach Platz drei mit dem ‚Phänomen‘ auseinander.“
Kraft und Fähigkeit zur Veränderung
Ein dort bislang unbekanntes Phänomen tritt zur Zeit bei Werder Bremen auf: Die Defensive steht sicher. So sicher, dass alte Rekorde übertroffen werden könnten. Dies sei Resultat eines Umdenkens in Bremen, berichtet Frank Hellmann (taz): „Mit Ergebnis- statt Erlebnisfußball will Werder an die Spitze. Die Balance zwischen defensiver Absicherung und offensiver Ausrichtung passe jetzt viel besser, sagt Allofs. Schaaf und Allofs wollen noch nicht von einem Paradigmenwechsel sprechen. Das wäre noch zu früh. Denn bisher war es so, dass der Vorwärtsstil den Gegnern zwangsläufig die Bälle ins Netz blies, doch hinten kam es zu sintflutartigen Erscheinungen. Die Bremer Abwehr war oft brüchiger als ein durchweichter Weserdeich.“
Matti Lieske lobt in der Berliner Zeitung ebenfalls das Umdenken bezüglich der Strategie, weist aber auch auf weitere Bremer Verdienste. Erstaunlich sei es, „wie schnell sich Werder wieder einmal vom Abgang einer zentralen Spielfigur erholt hat. Wie sich der Bundesligist innerhalb von wenigen Wochen neuorganisiert, aber auch neuerfunden hat. Werder Bremen ist der Meister der Sommerpause, der Verein, der den größten Lernerfolg für die kurze Phase zwischen den Spielzeiten vorzuweisen hat. Die Bremer haben nicht nur die Absicht, sondern auch die Kraft und die Fähigkeit zur Veränderung. Auf die Fehleranalyse, die nach der verkorksten Saison 2008/09 durchgeführt wurde, folgte wirkungsvolle Trainingsarbeit.“ Dieser Stilwechsel selbst sei aber gerade in Bremen noch bemerkenswerter als das Auffangen des Verlusts von Diego.
In der FR staunt Frank Hellmann mit Tim Wiese über einen bemerkenswerten Wert des Bremer Torwarts: „In den wenigen Momenten, in denen die Abwehr wackelte, war – wenn nicht der überragende Per Mertesacker schon geklärt hatte – eben Wiese da, der auf der Baustelle Weserstadion auch den entscheidenden Weckruf aussandte. Erst verursachte er einen Elfmeter an Maicosuel, dann hielt er den schwachen Schuss von Carlos Eduardo. Der kapriziöse Keeper hat von den letzten 14 Strafstößen – Elfmeterschießen inklusive – sage und schreibe 10 gehalten.“
Magie einer Fußball-WM
Beim 1. FC Köln ist man dem Siegtorschützen dankbar, obwohl es doch vor der Partie Unstimmigkeiten wegen dessen Länderspielreisen gegeben hatte. Daniel Theweleit klärt in der Berliner Zeitung auf: „In Köln war in den zurückliegenden Wochen eifrig über Novakovic diskutiert worden. Seit einer Leistenoperation in der Sommerpause war der Kapitän immer wieder verletzt gewesen, und wenn er mal spielte, wirkte er müde. In regelmäßigen Abständen kursierten neue Gerüchte, Novakovic gehe nicht professionell mit seinem Körper um, die Klubchefs wollten deshalb, dass der wichtige Spieler auf die Länderspiele verzichtet und am Rhein bleibt.“ Lokale Zeitungen hatten zudem argwöhnisch kommentiert. „Sie alle hatten die Magie einer Fußball-WM unterschätzt. Denn die Slowenen wahrten ihre Chance auf die WM, Novakovic kam wie verzaubert zurück aus der Heimat. Es war eine Aufführung, die alle Diskussionen aus der Welt geschafft haben dürfte.“
Kommentare
3 Kommentare zu “Weltweit bestbezahlter Spaziergänger”
Montag, 19. Oktober 2009 um 21:59
Es verfestigt sich immer mehr die Erkenntnis, dass es zu einem Paradigmen-Wechsel nicht eines neuen Trainers bedarf, sondern eines Trainers mit der Fähigkeit zu einem Paradigmen-Wechsel (die alten Hüte: Ferguson, Wenger, Schaaf).
Und dies in München nicht erkannt zu haben nach dem Fußtritt für Magath, daran werden sie wohl noch geraume Zeit zu knabbern haben.
Bremen macht es (wieder mal) ganz anders. Sie vertrauen in den Lernwillen des sportlichen Leiters, lassen ihn machen und ernten nun die Früchte. In München hingegen wollen sie das Unmögliche erzwingen: Weg vom langweiligen Erfolg, hin zum Spektakel. Und das will einfach nicht gelingen. Trotz revolutionären Trainerwechseln, zum-Teufel-auch!
Sind die in München verantwortlichen eigentlich schon seit Jahren zu nahe an der Sonne, dass sie, geblendet von Erfolgen der Vergangenheit, nicht mehr sehen können, wohin die Reise eigentlich gehen soll? Ob sie je mit vanGaal wirklich glücklich werden? Einem Mann der in München einen auf radikale Kontrolle berechneten Hinten-rum-Fußball predigt? Oder vorher, mit Klinsmann, das andere Extrem beschwörend?
Bei Bremen ist da mehr Klarheit und Konsequenz. Sympathisch;-)
Dienstag, 20. Oktober 2009 um 13:47
Was? Zwei Freistoss des Tages? Einer fuer morgens, der andere fuer abends? Muesste ich mich entscheiden, fiele die Wahl auf II… Wegen der abgrundtiefen Kommentaren von Albrecht.
Ansonsten plaediere ich fuer einen Freistoss. Bitte fuer mich auswaehlen.
Dienstag, 20. Oktober 2009 um 19:31
Danke Trainer für diesen famosen freistoss-des-tages II. Da stimmt der blöde Spruch vom „Kunst-muss-leiden“-Prinzip vortrefflich. Alle hohlen Sprüche in einem Text. Genial!