Internationaler Fußball
Feine Gewächse und große Jahrgänge
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| Mittwoch, 21. Oktober 2009Fabian Ernst wird bei Besiktas Istanbul ob seiner Einsatzhärte verehrt, in Bordeaux ist der Trainer der Star, Yoann Gourcouff erinnert an Zinedine Zidane, der AC Mailand hat einen nötigen Umbruch verschlafen
Frank Hellmann und Timur Tinç (FR) berichten, dass Fabian Ernst bei Besiktas Istanbul bemerkenswert populär sei: „Er kann machen, was er will. Die außergewöhnliche Zuneigung, ja heldenhafte Verehrung wird er so schnell nicht los. Der 24-fache Nationalspieler ist der Liebling beim Meister und Pokalsieger. Aber er gilt weit und breit auch als der einzige Sympathie- und Hoffnungsträger. Denn der Besiktas hechelt in der Süper Lig dem von Christoph Daum trainierten Erzrivalen Fenerbahce fast schon hoffnungslos hinterher. Das Multi-Kulti-Ensemble spielt weitgehend konzept- und konturlos. Trainer, Spieler, darunter selbst die türkische Torhüter-Legende Recber Rüstu, werden Woche für Woche beschimpft und beleidigt – die Ausnahme ist eben allein Ernst.“ Noch spreche Ernst kaum türkisch. „Umso erstaunlicher, dass der bei Hannover 96 geförderte und bei Werder Bremen gereifte Profi sich auf Anhieb zum uneingeschränkten Leader entwickelt hat. Wobei Ernst nicht verhehlt, dass er sich vor einem Jahr nicht vorgestellt hatte, seinen Job in Istanbul zu verrichten. Doch der Mittelfeldallrounder war sozusagen erstes Opfer der katastrophalen königsblauen Finanzlage.“ Auf die Frage ob er Deutschland vermisse, bejaht er: Ihm fehle „die Ordnung“.
Steffen Lüddeke erklärt in der Welt, warum sich Fabian Ernst in Istanbul tatsächlich wohlfühlt: „Die Lieblingsspeise? Döner! Das Getränk? Ayran! Fabian Ernst hat in seinen knapp neun Monaten bei Besiktas Istanbul viel von der türkischen Lebensart übernommen. Auf dem Platz hingegen ist er seiner deutschen Herkunft treu geblieben. Niemals aufgeben, immer Vollgas, Zurückstecken ist seine Sache nicht. Das war schon zu seiner Zeit in Hannover, Hamburg, Bremen und Schalke so. Nicht anders ist es in Istanbul. Für ihn war der Wechsel in die Türkei der richtige Schritt. ‚Hier werden meine Leistungen respektiert‘, sagt Ernst. Anders als in Schalke und bei der Nationalmannschaft, meint er damit.“
Laurent Blanc ist „le Président“
Ralf Itzel (Berliner Zeitung) weiß, wer beim Klub in Bordeaux die größte Beliebtheit erfährt: „Keiner im französischen Fußball genießt höheres Ansehen, weswegen Laurent Blanc ständig als Nachfolger des ungeliebten Raymond Domenech gehandelt wird. Bordeaux führte kürzlich zum ersten Meistertitel seit zehn Jahren. Viele Siege wurden seinem Coaching zugeschrieben, die Branche wählte Blanc zum Trainer des Jahres. Der Mann aus der Gebirgsregion Cevennen im Süden Frankreichs versteht sich als übergeordneter Manager englischer Prägung. (…) Bordeaux ist reserviert und bourgeois, nicht fußballverrückt wie Marseille im Süden oder Lens im Norden. Während Olympique Marseille, Paris Saint-German und mit Abstrichen auch Olympique Lyon polarisieren und geliebt oder gehasst werden, stehen die meisten Franzosen den Girondins neutral gegenüber. Dass sie es waren, die die siebenjährige Meisterserie Lyons beendeten, wurde beifällig aufgenommen. Bordeaux ist der Konsenschampion.“ Yoann Gourcuff sei der neue Hoffnungsträger auf dem Feld. „Aber kein Spieler ist so populär wie Blanc, der eigentliche Star der Bordelais.“
Im Tagesspiegel spricht Bixente Lizarazu, der 12 Jahre in Bordeaux und 8 Jahre beim FC Bayern spielte, über die Verfassung des deutschen Klubs: „Die Bayern haben derzeit echte Probleme. Gomez, Klose und andere Leistungsträger wirken verunsichert.“ Auf van Gaal angesprochen, antwortet Lizarazu: „Ich weiß nur, dass er Ärger hat mit einigen Spielern, mit Gomez, mit Toni und mit Ribéry. Für die Zukunft muss Bayern München einen Weg finden, diese Topspieler in Topform zu bringen. Ob es am Trainer lag, dass das bisher nicht richtig geklappt hat, kann ich nicht sagen. Ich sehe aber, Ribéry ist wirklich oft verletzt. Manchmal entstehen solche Verletzungen auch, weil man nicht total entspannt und zufrieden mit der eigenen Situation ist.“
Christian Eichler (FAZ) widmet sich dem angesprochenen Yoann Gourcuff ausführlicher als seinem Trainer: „Nicht nur im Weinkeller, auch auf dem Fußballplatz hat Bordeaux feine Gewächse und große Jahrgänge hervorgebracht. Sie stehen für Finesse und Raffinesse: wie Tigana und Giresse, das große Mittelfeld der achtziger Jahre; wie Johan Micoud; wie Zinédine Zidane, der in Bordeaux in vier Jahren zum Jahrhundertgewächs reifte. Nun haben die Girondins einen neuen ‚meneur du jeu‘, einen Spielmacher, der die Tradition fortsetzt.“ Herausragendes Spiel Gourcuffs hatte Bordeaux in der letzten Saison zum Meistertitel geführt. In der aktuellen Saison stellte man mit 14 Siegen in Folgen einen neuen Rekord auf. „Anders als Talente wie Nasri oder Benzema, die auch wegen ihrer nordafrikanischen Wurzeln für den Vergleich mit ‚Zizou‘ herhalten mussten, ähnelt Gourcuff dem weltberühmten Vorbild nicht von der Herkunft her, aber in Statur und Spielweise – vor allem in seiner Fähigkeit, den Ball auf kleinstem Raum zu kontrollieren.“
Wie ein Rolls Royce in der Formel 1
In der Welt gibt es dank Oliver Birkner Neues von Silvio Berlusconi und seinem AC Mailand: „Das Geschäftsjahr 2008 schloss der Verein mit einem Minus von 66,8 Millionen Euro ab, die Schuldensumme beträgt nun 392 Millionen Euro. Das Budget für die laufende Saison wurde um ein Drittel reduziert. Kaká verriet kürzlich, dass er aus finanziellen Gründen verkauft worden sei. Vielleicht besäße man ungeachtet der Bilanzsorgen heute trotzdem ein funktionierendes Team, wenn die Verantwortlichen nicht den nötigen Umbruch 2007 verschlafen hätten, als der letzte Kraftakt einer Elf über dem Zenit die Champions League sicherte. In der Folge sonnte sich Berlusconi in Eitelkeiten. (…) Die Präsente [in Form von Neueinkäufen] blieben aus, der Patron lässt sein Spielzeug fallen. Auch wenn David Beckham nun auf Leihbasis zurückkehrt, ist das eine Ergänzung, keine Verstärkung. Tatsächlich kursieren immer hartnäckigere Verkaufs-Gerüchte. Angeblich klassifizieren Berlusconis Kinder den Verein als Prasserei. Der albanische Oligarch Rezart Taci bot kürzlich 700 Millionen Euro für den AC, Berlusconi lehnte aber umgehend ab. Das wird er auch in Zukunft.“
Tom Mustroph (taz) vergleicht mit Blick auf den Verkauf Kakás an Real Madrid die Mailänder Spielweise : „Eine Mannschaft kann solch einen Aderlass sicher kompensieren. Doch dazu muss ein Haufen Spieler erst eine Mannschaft sein. Dem AC Mailand ist dieser Zusammenhalt abhanden gekommen. Statt Kombinationsfußball nur Stückwerk. Wer über Qualität redet, hebt die Torhüter und das Innenverteidiger-Duo hervor. Den Rest trifft Schweigen. (…) Die Charakteristika des gepflegt verzögerten Passspiels, die Milan einst die Erfolge brachten, wirken in Zeiten des technisch hochklassigen Blitzpassfußballs der Marke Barcelona so antiquiert wie ein Rolls Royce auf einem Formel-1-Kurs.“
In der NZZ beschreibt derselbe Tom Mustroph, dass der AC Florenz nach dem Rücktritt seines Präsidenten „die Mannschaft des Moments“ in Italien sei.