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Champions League

Totalschaden, Desaster, Offenbarungseid

Frank Baade | Freitag, 23. Oktober 2009 Kommentare deaktiviert für Totalschaden, Desaster, Offenbarungseid

Der FC Bayern verliert nicht einfach ein Spiel, sondern van Gaal inzwischen auch den Vergleich mit seinem Vorgänger Klinsmann, die Bundesliga bleibt international harmlos, Altenheim AC Mailand

Einen eigentlich eher zum VfL Wolfsburg passenden Vergleich findet Sebastian Gierke in der Berliner Zeitung für das Treiben des immer noch neuen Bayern-Trainers: „Van Gaal wirkt plötzlich wie einer, der sich ein bisschen wie Gott fühlt, weil er ein neues Auto hat. Doch das hält nicht, was es versprach: Der Motor stottert, die Kiste zieht nicht richtig und die besten Komponenten gehen kaputt. Und auf der Autobahn, auf welcher der Fahrer eigentlich zeigen will, was er kann, bleibt es sogar ganz stehen. Van Gaal öffnet die Motorhaube – und weiß nicht, was er tun soll. Totalschaden, danach hat das Spiel des FC Bayern am Mittwoch in der ersten Hälfte ausgesehen. In der Mannschaft steckt viel Unsicherheit. Van Gaal überrascht fast in jedem Spiel mit einer veränderten Aufstellung – er scheint damit auch zusehends die Spieler zu überraschen. Franz Beckenbauer jedenfalls sagte, van Gaal ‚fehle noch ein Bild‘. Ein Bild der Mannschaft. Das macht die Bayern-Bosse offenbar nervös.“

In der FAZ ist Christian Eichler schockiert und malt ein bedrohliches Minuszeichen vor van Gaals Leistung: „Die erste Halbzeit war ein Desaster, ein spielerischer Offenbarungseid. Nach knapp drei Saisonmonaten naht das Ende der Schonzeit. Nach dieser Zeit sollte die kostbare Bayern-Maschine allmählich rollen, sollte der selbsternannte ‚Prozesstrainer‘ van Gaal eine Entwicklung in Gang gebracht haben. Doch stattdessen tun sich mit fast jedem Spiel neue Problemzonen auf, ohne dass die alten behoben wären. Der Abend in Bordeaux wurde ein ganzes Schlachtengemälde voller Schwächen.“ Nach einer schier endlosen Liste solcher Schwächen kommt Eichler auf den größten der bayrischen Schwachpunkte: Es fehle an Kreativität, an Kombinatorik, an Geschwindigkeit, wenn Franck Ribéry nicht auflaufen kann. Van Gaal beginne, in einem für ihn gefährlichen Wettbewerb zu stehen: „dem Vergleich mit seinem Vorgänger. Nach der Niederlage in Bordeaux fällt er erstmals negativ aus.“

In der Welt legt Florian Haupt dar, wer die schwachen Leistungen eigentlich zu verantworten hat: „Die Krise des FC Bayern hat eine neue Stufe erreicht. Die Münchner spielten weder feurig noch abgeklärt, sie foulten viel und wirkten doch wenig aggressiv. Von Spielkontrolle, van Gaals Lieblingscredo, war nichts zu erkennen, die Bayern ließen die Dinge so passieren, es war ein Auftritt ohne Identität. Immer mehr verläuft sich van Gaal im Labyrinth der Systeme. Fast in jeder Partie probiert er etwas Neues aus, es gibt kaum noch Spieler, denen er wirklich etwas zuzutrauen scheint. Es ist lange her, dass den Bayern mal etwas wirklich gelungen ist. Ein Transfer wie Ribery, ein wichtiges Spiel, eine Trainerwahl. Rummenigge und Hoeneß müssen hoffen, dass van Gaal möglichst bald mit irgendetwas Recht hat. Damit sie nicht ihr Schutzschild verlieren.“

Wie mit Kumpels an der Copacabana

Einen „König von der traurigen Gestalt“ nennt Lars Wallrodt in der Welt den vom Platz verwiesenen Grafite: „Die Tätlichkeit war nur der Endpunkt einer langen Entwicklung. Grafites Frust verhält sich proportional zu seinen Leistungen: Je schlechter er spielt, desto größer die Wut. Und weil das Drama vor dem Hintergrund der vergangenen Saison spielt, in der Grafite in 25 Bundesligaspielen 28 Treffer schoss und Torschützenkönig wurde, hebt es sich besonders klar ab. Jetzt quält sich der einst brillante Angreifer als Schatten seiner selbst über den Rasen, ist stets den Schritt zu spät, den er früher Vorsprung hatte. Das frustriert den sensiblen Angreifer zunehmend, zumal er beim neuen Trainer mittlerweile nicht den Rückhalt spürt, den Meistermacher Felix Magath ihm gab.“

Frank Hellmann (FR) klärt auf, warum Grafite zu solchen Frustreaktionen wie gegen Besiktas Istanbul greift: „Das Problem hat viel damit zu tun, dass Grafite großes Selbstvertrauen, viel Raum und einen kongenialen Partner für sein Spiel braucht, um technische Unzulänglichkeiten, eklatante Zweikampfschwächen zu übertünchen.“ Das sei auch früher schon so gewesen, „nur fiel das nicht ins Gewicht, weil Felix Magath alles auf Grafite abgestellt hatte. (…) Exakt 20-mal spielten Mitspieler Grafite hoch oder flach an, gefühlte 40-mal sprang ihm die Kugel vom Fuß, als habe er vergessen, die Schuhspanner zu entfernen. Oder er ging dem Zuspiel erst gar nicht entgegen. Von Sprints und Spurts ganz zu schweigen. Dafür versuchte der Mann aus Campo Limpo mitunter so naive Dribblings, als kicke er gerade mit Kumpels an der Copacabana. Grafite sei auch nur ein Mensch, ergänzte der starke Verteidiger Sascha Riether. Will heißen: einer mit Stärken und Schwächen. Dumm nur, dass Grafites schwache Seite den deutschen Meister das Überwintern in der Königsklasse kosten kann.“

Verlässliche Anspruchslosigkeit

Nach den aus deutscher Sicht bescheidenen Resultaten der letzten Champions-League-Runde blickt Klaus Hoeltzenbein in der SZ aufs große Ganze: „Die gute deutsche Bundesliga bringt niemanden durcheinander. Sie steht stabil und verlässlich in ihrer internationalen Anspruchslosigkeit. Organisatorisch hat sich die Bundesliga längst zum Vorbild gemausert, Wochenende auf Wochenende wundert sich der Rest von Europa über dieses bunte, meist friedliche Familienfest in rappelvollen, wunderschönen Stadien. Dieser Rest von Europa ist dann aber auch froh, dass die Welle der Begeisterung spätestens an den Landesgrenzen abebbt. Geht die Liga auf Reisen, empfängt sie ihre Gäste, so bleibt sie galant in ihrer Rolle: Bitte nach Ihnen, liebe Spanier, Engländer, Italiener, Türken und Franzosen! Wir sind genügsam, wir feiern uns doch schon am Samstag wieder selbst.“

Noch Kraft für zwei, drei Treffer

Den ersten Sieg des AC Mailand bei Real Madrid überhaupt empfindet Ralf Itzel (Berliner Zeitung) aufgrund der Anlage des Spiels der Madrilenen als zwangsläufig: „Das aktuelle Milan ist eine vergilbte Kopie seiner selbst. Der Klub hatte nur drei Akteure unter 30 in der Startelf, darunter den 29-jährigen Ronaldinho, der bis zu zwei Antritten kurz vor Schluss den Eindruck vermittelte, nicht mal einen Stuhl ausdribbeln zu können. Allein sein junger Landsmann Pato ist ein Sportler mit Zukunft in dieser Ansammlung der Auslaufmodelle. Real war zu überheblich, zu faul oder schlicht zu dumm, um die Entscheidung früh zu erwirken. Die Madrilenen ließen sich ins Mailänder Spinnennetz einweben, bis es zur Befreiung zu spät war. Real hat einige tolle Fußballer, lebt aber ausschließlich von deren Laune und Inspiration, nicht von der Kollektivleistung, von einer Spielidee. Und das genügt noch nicht mal gegen dieses schlaue Mailänder Altenheim. Lieblingsfeind Barcelona würde diesen Gegner überrollen. Die Katalanen spielen immer gleich, egal wer aufläuft, sind gefestigt in ihrem Stil. Ihre jüngste Niederlage gegen Rubin Kazan war ein Betriebsunfall, die Reals gegen Milan folgerichtig.“

Javier Cáceres (SZ) lässt den AC Mailand zwar aus dem „Seniorenheim“ grüßen, dessen Spieler hätte aber „nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrung die Dimension des Triumphs rasch eingeordnet.“ Nach dem Führungstreffer, bei dem Torwart Dida der Ball „wie einer tattrigen Greisin“ aus den Händen gerutscht war, und dem Ausgleich für Reald Madrid durch Raul, „dimmten die Mailänder Veteranen den Rhythmus der Partie geschickt herunter und wogen Real in falscher Sicherheit. Wie alte Boxer, die wissen, dass ihre Kraft noch für ein, zwei, drei gute Treffer reicht, konzentrierten sie all ihre Macht und Kunst auf die entscheidenden Szenen der Partie.“ Mailand und der FC Sevilla, der Madrid ebenfalls geschlagen hatte, hätten die beiden Schwachstellen Real Madrids aufgezeigt, erstens: „die Außenbahnen. Selbst Ronaldinho konnte in der zweiten Hälfte mit ein paar Aktionen für Aufsehen sorgen, nachdem er in der ersten Halbzeit phasenweise wie ein Ahne seiner selbst gewirkt hatte.“ Und zweitens: „Umgekehrt haben die Angriffsbemühungen der Madrilenen nur ein eingeschränktes Panorama, zu viele Spieler drängen aus Instinkt zur Mitte.“ Angesichts der allzu schnell wieder aufkeimenden Nervosität in Madrid und der Ansichtsweisen des Präsidenten Perez, bei dem immer der Trainer schuld habe, ganz gleich, was passiert, schließt Cáceres: „Es dürfte allmählich ungemütlich werden für Reals Trainer Manuel Pellegrini.“

Gleiche Ware, unterschiedliche Konditionen

Sportlich steckt der FC Liverpool nach vier Niederlagen in Folge in einer großen Krise, die Fans buhten Trainer Benítez nach der Heimniederlage gegen Lyon aus. Doch selbst im Falle weiterer Niederlagen wäre Benítez´ Schicksal noch nicht besiegelt, weiß Raphael Honigstein (FR): „Für den lange unter den Machtkämpfen im Vereinsvorstand und einem vergleichsweise engen finanziellen Spielraum leidenden Trainer könnten sich die beiden strukturellen Probleme nun in Arbeitsplatz sichernde Faktoren umkehren: George Gillett und Tom Hicks, die beiden miteinander zerstrittenen Eigentümer des Klubs, können es sich buchstäblich nicht leisten, den FC Liverpool momentan sportlich neu auszurichten. Sie suchen gerade verzweifelt nach Investoren, die einen Verein mit einem veralteten Stadion und 310 Millionen Euro Schulden übernehmen wollen. Das Unterfangen gestaltet sich schwierig, auch deshalb, weil Hicks und Gillett unabhängig voneinander den gleichen Öl-Milliardären aus Saudi Arabien die gleiche Ware zu völlig unterschiedlichen Preisen und Konditionen anbieten. Ohne Trainer im Amt wäre der FC Liverpool noch ein bisschen schwerer an den Scheich zu bringen.“

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