Champions League
Auf dem Weg zum deutschen Real Madrid
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| Donnerstag, 5. November 2009In Istanbul erhält der VfL Wolfsburg jenen Applaus, der ihm in Deutschland verwehrt bleibt, bei Bayern schweigen die Granden, der Respekt der Gegner ist verloren, eine Weiterentwicklung unverzichtbar
Der VfL Wolfsburg gewinnt überzeugend beim türkischen Meister Besiktas Istanbul. Lars Wallrodt (Welt) erlebt dabei eine seltene Reaktion der Fans von Besiktas auf ihren Frust: „Was die heißblütigen Anhänger noch mehr [als das sichere Ausscheiden] wurmte, war die Chancenlosigkeit ihrer ehemaligen Lieblinge an dem nasskalten Mittwochabend. Als Gentner und Edin Dzeko das Ergebnis spielgerecht erhöht hatten, tat sich Erstaunliches. Nicht nur, dass die Zuschauer die Schuld an der Niederlage mitnichten an Mannschaft oder Trainer festmachten, sondern an der Vereinsführung. Es kam auch zu einer wohl nie dagewesenen Verbrüderung mit dem Gegner. Plötzlich hallten ‚Wolfsbürg, Wolfsbürg‘-Sprechchöre durch das Stadion. Als die VfL-Akteure sich nach dem Abpfiff in die Gästekurve begaben, um ihren rund 80 Anhängern zu danken, wandten die Besiktas-Fans endgültig ihre Aufmerksamkeit dem Spielfeld zu und überschütteten die verdutzten Wolfsburger mit warmem Applaus. Die bedankten sich, indem sie ihre Trikots an die türkischen Fans verschenkten. Ein bizarres Schauspiel.“
Tobias Schächter (FR) erinnert an die Wichtigkeit dieses Sieges für die Position des Wolfsburger Trainers: „Zuletzt hatten die Profis und Armin Veh zu spüren bekommen, dass die Erwartungshaltung in Wolfsburg durch den Meistertitel enorm gestiegen ist. Nach dem 3:3 gegen Mainz hatte Veh Kritik von den Fans einstecken müssen. Er ist ein Trainer, der gelassen mit Kritik umgeht. Doch die Meldung, der ehemalige Hertha-Macher Dieter Hoeneß sei als neuer VfL-Manager im Gespräch, ärgerte Veh sehr. Die ‚beste Saisonleistung‘ (Gentner) würgte das zuletzt lauter werdende Gegrummel in Umfeld und Gerüchteküche erst einmal ab.“
Nervös sind nur noch die Bayern selbst
Der FC Bayern steht vor dem Aus in der Champions-League-Vorrunde, das von van Gaal zum „Endspiel“ erkorene Spiel gegen Bordeaux ging verloren, mit einer „erschreckenden“ Leistung noch dazu.
In der taz spricht Thomas Becker darob vom „kreativen Nichts“ und nimmt eine Metapher Louis van Gaals aus dessen ersten Tagen in München auf: „Herbstdepression. Wer derzeit zum FC Bayern geht, braucht einen warmen Mantel. (…) Wenn sich in den nächsten Wochen nicht noch sehr viel zum Guten fügt, dann hat der FC Bayern am Dienstagabend schon die komplette Saison verbockt. Und das Anfang November, nach dem vierten Champions-League-Spiel. Nach Transferausgaben in bislang nicht gekannten Höhen. Nach der Verpflichtung eines Trainers, dessen Selbstbewusstsein und Fachverstand scheinbar automatisch in höchste Königsklassenhöhen führen würden. Wenn Gästetrainer wie Laurent Blanc sagen können, er habe einen wunderschönen Abend verbracht, dann weiß man, wie es um das Ansehen und den Respekt gegenüber den Bayern bestellt ist: alles weg. Die Zeiten, als die Gegner den FC Bayern fürchteten, sind längst vorbei. Verunsichert und nervös sind nur die Bayern selbst.“
Selbst der treue Giovane Elber kann nicht anders, als im Interview mit der Stuttgarter Zeitung zu bekennen: „In Louis van Gaal ist im Sommer ein neuer Trainer gekommen, der neue Methoden eingeführt hat. Aber leider muss man sagen, das alles passt nicht zum FC Bayern – zumindest momentan noch nicht. Wenn ich mir den FC Bayern in dieser Saison angucke, denke ich oft: das ist unmöglich, das ist gar nicht der FC Bayern. Die Trikots sind zwar noch die gleichen wie früher, aber sonst hat man den Eindruck, da spielt eine andere Mannschaft, und es ist ein anderer Club.“
Auf dem Weg zur Artistentruppe Real Madrids
Michael Neudecker (Stuttgarter Zeitung) beschreibt die Hoffnungslosigkeit, die Einzug gehalten hat: Louis van Gaal sei der Auffassung, „Umstände wie Verletzungen, pfeifende Zuschauer, nervöse Vorstandsmitglieder dürfen das Team, das er trainiert, nicht verunsichern. Dass es doch passiert, ärgert ihn nicht – es lässt ihn verzweifeln. Es hat bislang bei jedem seiner Clubs gedauert, bis die Spieler das von ihm aufgedrängte Wissen umgesetzt, verinnerlicht haben. Louis van Gaal ist kein Trainer für den kurzfristigen Erfolg, beim FC Bayern wussten sie das, als sie ihn holten. Aber Misserfolg, wie er nun droht, dieser Misserfolg bringt sie an der Säbener Straße doch ins Grübeln. ‚Das Leben geht weiter‘, diesen Satz hat Louis van Gaal gleich nach dem Spiel gegen Bordeaux gesagt – und er klang seltsam ratlos dabei.“
Michael Rosentritt wundert sich im Tagesspiegel, warum der scheidende Manager trotz neuerdings erhöhter Position so schlechte Sicht besitze: „Früher war es so: Die Bayern konnten gut spielen, zeigten es zwar selten, waren aber trotzdem meist erfolgreich. Zahlreiche Titel zeugen davon. Das ist längst Geschichte. Nun müssen sie einmal anerkennen, dass eine Mannschaft wie Bordeaux ein eingespieltes Team ist und in zwei Duellen wirklich das bessere war. Der FC Bayern, der die Tuchfühlung zur internationalen Spitze verloren hat, ist auf dem Weg, zum deutschen Real Madrid zu werden. Also zu einem Verein mit gewaltiger Reputation und Strahlkraft, aber eben auch einer, der von anderen in Europa überholt worden ist.“ In München mache man sich gerne lustig über die verfehlte Transferpolitik Real Madrids, die in „Artistentruppen“ ende. „Die Bayern sind doch nicht anders, wenngleich eine Nummer kleiner. Sieht das Uli Hoeneß nicht?“
In der Berliner Zeitung empfiehlt Michael Neudecker das Festhalten am neuen Trainer, weil es keine Alternative zum Weg der Veränderung gebe: „Wenn der FC Bayern langfristig mithalten will mit den Barcelonas und Madrids dieser Welt, daran besteht kein Zweifel, dann muss er sich neu ordnen. Muss seine Bequemlichkeit ablegen, immer feiern zu wollen, muss seine Arroganz ablegen, die ihn glauben lässt, per se einen Anspruch auf Titel zu haben. Louis van Gaal ist nicht zu vergleichen mit Jürgen Klinsmann. Er spricht nicht über Umstrukturierungen, er zieht sie durch. Wenn der FC Bayern nun wieder einen angestoßenen Prozess mit einer Trainerentlassung unterbricht, und mag dieser Prozess für den Moment noch so sonderbar aussehen, dann beraubt er sich der Chance, nach einem Schritt zurück doch noch zwei nach vorn zu machen.“
Die Champions League als Entwicklungsprozess
Flurin Clalüna bilanziert noch einmal die vernichtende Niederlage des FC Zürich bei Olympique Marseille (NZZ) und nimmt auch den Auswärtssieg der Züricher beim AC Mailand in die Bewertung: „So funktioniert der Fussball, schwarz und weiss, im Guten wie im Schlechten – zwischen ‚Sensation‘ in Mailand und ‚Trauma‘ in Marseille. Die Gefahr für den FCZ liegt weniger in der Aussen- als in der Tiefenwirkung einer solchen Niederlage – vor allem, wenn es stimmt, dass sich die Spieler in der Kabine nach dem Matchschluss gegenseitig Vorwürfe an den Kopf geworfen haben. Selbstzerfleischung kann ein schleichender Prozess sein. Und vielleicht ist es dann besonders wichtig, sich zu erinnern, woher man kommt: Der FC Zürich betritt in der Champions League Neuland. (…) Der FC Zürich ist nicht ambitionslos, wenn er die Champions League für sich primär als Entwicklungsprozess betrachtet. Dazu gehört auch die jüngste Niederlage. Wenn der FCZ den richtigen Umgang mit dem findet, was über ihn hereinbricht, hat er für die Zukunft mehr gewonnen als ein Fussballspiel.“