Deutsche Elf
Podolskis Vereinselend und Nationalmannschaftsglorie
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| Freitag, 20. November 2009Gomez ist der große Verlierer des Länderspieljahres, Podolski und Özil heißen die Gewinner, für Özil, der „das ganze Land verzaubert“, wurde sogar extra das Spielsystem geändert
Matti Lieske erklärt den schwachen Besuch des Testspiels gegen die Elfenbeinküste und ist insgesamt angetan von der deutschen Leistung (Berliner Zeitung): „Weil der Mannschaft nach wie vor die absolute fußballerische Klasse fehlt, um einen Gegner rein spielerisch zu dominieren, funktioniert sie nur mit vollem Einsatz und hundertprozentiger Konzentration. Sobald sie diese Dinge schleifen lässt, sackt die Leistung ab. An den Fans ist diese Tendenz nicht vorübergegangen, weshalb das Match in der mit 33 015 Zuschauern nicht einmal zu zwei Dritteln gefüllte Schalker Arena vor der trostlosesten Heimkulisse stattfand, die es seit langer Zeit gegeben hat. Dies hatte das Spiel nicht verdient, denn es war die meiste Zeit ansehnlich, den Testspiel-Blues hatte das deutsche Team diesmal nicht.“ Den Slapstick-artigen Gegentreffer von Manuel Neuer nennt Lieske „ein Tor, wie es sonst eigentlich nur Hertha BSC hinbekommt.“
Michael Horeni (FAZ) weiß schon, wer in Südafrika auflaufen wird: „Diese Partie machte zum Jahresabschluss noch einmal deutlich, dass die Bedeutung von Podolski und Gomez für die Nationalmannschaft unterschiedlicher kaum sein könnte. Mit einer erstaunlichen Konstanz schafft es Podolski immer wieder, bei der Nationalmannschaft seine in der Bundesliga nun schon seit Jahren stagnierende Entwicklung vergessen zu machen. Auch nach dem 69. Länderspiel und seinen insgesamt 37 Toren musste sich der Kölner Stürmer fragen lassen, wie diese Verwandlung immer wieder möglich sei. Mehr als den Wohlfühlfaktor und eine eigentümliche Nationalmannschafts-Motivation fallen aber auch Podolski und Löw nach Jahren zu diesem ständig wiederkehrenden Phänomen nicht ein.“ Und obwohl weder er noch Löw noch Podolski die Gründe für diese Verwandlungen kennen, ist sich Horeni sicher: „Der Stammplatz in Südafrika ist Podolski schon jetzt kaum mehr zu nehmen.“
Verlierer Gomez, leichtfüßiger Gewinner Özil
Matti Lieske stimmt in der Berliner Zeitung rundum zu: „Der Bundestrainer weiß schließlich aus erster Hand: Der Nationalspieler Podolski hat mit dem Vereinsspieler nichts zu tun.“ Im Verein gelänge ihm nicht annähernd so viel wie in der Nationalmannschaft, in der er fast immer überzeuge. Die Handgreiflichkeiten gegen Ballack als Ausnahme wertend, begründet Lieske diese damit, dass Podolski wohl seine schlechte Laune aus München mit zum Nationalteam genommen habe. „Vielleicht wäre es das Beste, für Lukas Podolski einfach einen weiteren Job im hochspezialisierten DFB-Funktionsteam zu schaffen: Designierter Nationalspieler. Von allen Vereinsaufgaben entbunden könnte er sich voll und ganz auf die Auswahlmannschaft konzentrieren und bei Löw lernen, endlich sein Potenzial auszuschöpfen. Aber vielleicht braucht er auch einfach die Dualität von Vereinselend und Nationalmannschaftsglorie, um eines nicht fernen Tages Gerd Müller und seine 68 Treffer von der Spitze der Torjägerliste zu verdrängen.“
Auch Marko Schumacher bilanziert für die Stuttgarter Zeitung das Nationalmannschaftsjahr. Großer Verlier ist ein Stürmer: „Seit seiner missratenen Europameisterschaft 2008 kommt Mario Gomez in der Nationalmannschaft nicht mehr richtig auf die Beine. „as noch bitterer ist: für den eigenen Anhang scheint Gomez mittlerweile ein rotes Tuch zu sein. Schon im März gegen Liechtenstein wurde er in Leipzig ausgepfiffen, und auch am Mittwoch auf Schalke dürften dem Bayern-Stürmer bei seiner Einwechslung die Ohren gedröhnt haben.“ Einer der Gewinner ist hingegen ein Debütant: „Der ganz große Hoffnungsträger des deutschen Fußballs kommt aus Bremen und heißt Mesut Özil. Gegen Südafrika stand der Mittelfeldspieler im September erstmals in der deutschen Startformation und verzückt seither mit seinem Spielwitz, seiner Leichtfüßigkeit und seiner Eleganz das ganze Land. Maßgeblich war er auch am Sieg in Russland beteiligt und steht inzwischen auf den Wunschlisten der großen europäischen Clubs. Vor allem wegen Özil hat Löw auch sein Spielsystem geändert. Meist steht nur noch ein Stürmer auf dem Platz, und dahinter hat der Bremer alle Freiheiten. Der 21-Jährige ist der Spieler, so scheint es, der der deutschen Mannschaft gefehlt hat.“
Albtraumtor
Richard Leipold (FAZ) beschäftigt sich mit der Torhüterfrage in der Nationalmannschaft und dem kuriosen Gegentor für Manuel Neuer: „Wenn so etwas schon passieren muss, dann ist es vielleicht besser, es geschieht in vertrauter Umgebung, aber höchst unangenehm ist so ein Albtraumtor, wie es Manuel Neuer in Gelsenkirchen hinnehmen musste, natürlich trotzdem. Das Missgeschick, das Neuer unterlief, belastet seine Ambitionen, die deutsche Nummer eins zu werden, rein sportlich betrachtet.“ Während Neuer patzte, holt ein anderer deutlich auf: „Wieses Standing in der Nationalelf scheint besser geworden zu sein. Wiese hat nie aufgegeben, auch nicht, als er wegen allzu forscher Protestnoten schon so gut wie raus war aus dem Kreis der Auserwählten.“ Nach dem Spiel wies Wiese dezent daraufhin, dass er auch noch im UEFA-Pokal antrete. „Die europäische Bühnenpräsenz ist in nächster Zeit Wieses größter, vielleicht einziger, aber nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber Adler und Neuer.“ Auch in Wieses Kopf ist die neue Bezeichnung „Europa-Liga“ also noch nicht angekommen.