Am Grünen Tisch
Hört, hört! Martin Kind scheitert gnadenlos
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| Sonntag, 22. November 2009Die 50+1-Regel bleibt auf Wunsch der Erst- und Zweitligisten weiterhin bestehen, Martin Kind erhielt keine Unterstützung, englische Verhältnisse wird es demnach in der Bundesliga nicht geben – zumindest vorerst
Auf Grund der tragischen Ereignisse, die sich kürzlich in Hannover zugetragen haben, geriet die Thematik rund um die 50+1-Regelung etwas ins Abseits. Daher bietet Ihnen der indirekte freistoss im Folgenden eine nachträgliche Presseschau zu dem gescheiterten Vorhaben Martin Kinds, die Bundesliga-Clubs nach englischem Vorbild für Investoren zu öffnen.
Für Axel Kintzinger (Financial Times Deutschland) ist das Thema 50+1 noch längst nicht vom Tisch. Er sieht den Europäischen Gerichtshof (EuGH), vor den Martin Kind nun ziehen will, als möglichen Spielverderber für die deutschen Fußball-Traditionalisten: „Wegen Kinds Klageankündigung wird das Thema weiter schwelen und die Gereiztheit bleiben. Vermutlich wissen die meisten Ligabosse, dass der EuGH gern wettbewerbsfreundlich urteilt – auch in Fußballfragen. 1995 etwa zerschmetterte das Luxemburger Gericht mit dem sogenannten Bosman-Urteil lieb gewonnene Gewohnheiten und stärkte die Rechte der Spieler derart, dass die Vereine noch heute darunter leiden. Jetzt könnte dem Europäischen Gerichtshof zudem auffallen, dass es eine Einschränkung wie die 50+1-Regel nur in Deutschland gibt.“
In England werden Milliardenschulden angehäuft
Der Geschäftsführende Vorsitzende der DFL, Christian Seifert, machte im Vorfeld der Abstimmung klar, dass die vermeintlich bessere Wettbewerbsfähigkeit deutscher Vereine auf internationaler Bühne für ihn kein Argument für eine Auflösung der 50+1-Regel sei. So sei der Erfolg der englischen Teams nicht etwa mit dem vernünftig eingesetzten Kapital der in England ohne Restriktionen zugelassenen Investoren zu erklären, sondern vor allem mit den Milliardenschulden, die dort angehäuft worden seien.
Roland Zorn (FAZ) stimmt dem zu und sieht in der vorsichtigen Haltung der deutschen Vereine gegenüber Investorenübernahmen eine Chance für die Zukunft: „Dieses Missverhältnis in die rechte Balance zu bringen, ist eine Aufgabe, der sich derzeit die Europäische Fußball-Union im Einvernehmen mit dem Internationalen Fußball-Verband unterzieht. Investoren, das zeigt die Erfahrung, gehen mit ihrem – teilweise geborgten – Geld oft genug genauso verschwenderisch um wie früher so manche Bundesliga-Vereine. Deutschland aber hat längst ein europaweit geachtetes Lizenzierungsverfahren und auch in puncto Investoren eine Regelung, die unterm Strich Solidität verspricht. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht die schlechteste Grundlage, um auf Dauer auch sportlich international erfolgreich zu sein.“
Martin Kind hat keine Lobbyarbeit betrieben
Das Scheitern Martin Kinds hat für Jan Christian Müller (FR) einen durchaus nachvollziehbaren Grund. Der Fachmann für Hörgeräte sei in den 90er Jahren als Fußballfremder in die Szene gestoßen und habe sich im Netzwerk aus Ex-Profis und ehemaligen Bekannten nie wohlgefühlt. „Er hat keine Lobbyarbeit betrieben und ist auch deshalb mit seinem Ansinnen, die 50+1-Regel zu kippen, derart kolossal gescheitert. Er hätte sich in intensiven Kamingesprächen mehr Gehör verschaffen müssen“, befindet Müller. Für ihn spielen zudem die Fans eine gewichtige Rolle in dem Entscheidungsprozess für oder wider eine externe Club-Übernahme. Rund 100.000 von ihnen hatten zuvor eine Petition unterschrieben, die ihre ablehnende Haltung gegenüber Kinds Ideen deutlich machen sollte: „Dass die Entscheidung so deutlich gegen die Reformbestrebungen ausfiel, dürfen sich fast 100.000 Fußballfans […] durchaus auch auf ihre Fahne schreiben. Hört, hört: Die Furcht, die Identifikation der eigenen Anhänger zu verlieren war bei den Vereinen am Ende fast größer als die Furcht, zum Spielzeug von reichen, irren Scheichs zu werden.“
Sportliche Traditionen, mit denen wir uns befassen sollten
David Conn (The Guardian) wagt einen fast schon neidvollen Blick auf die Werte der deutsche Fußballkultur, die für ihn eine logische Konsequenz aus der Ablehnung der Kind’schen Idee zu sein scheinen: „Das sind sportliche Traditionen, mit denen wir uns näher befassen sollten. In Deutschland hat man selbst bei den großen Clubs das Prinzip der Gesellschaftsanteile beibehalten, die Eintrittspreise sind akzeptabel, in den Vereinen gibt es Mannschaften für alle möglichen Sportarten […]. Das ist erhellend und ganz anders als in unserem Land, in dem der Sport seine Ursprünge hat […], in dem wir uns aber noch nicht wirklich über Werte einig geworden sind, die der Sport haben soll und über die Frage, wie man diese Werte am besten schützt.“