Bundesliga
Keins der vielen Katastrophenspiele
| Dienstag, 8. Dezember 2009Schalke schlägt Hertha, deren Leistung unterschiedlich bewertet wird, Köln schießt wie immer zu Hause kein Tor, da auch Bremen nicht trifft, bleibt Leverkusen alleine oben, Wolfsburg vermisst Magath
Abhängig vom Spielwitz eines Phlegmatikers
Für Hertha nicht ganz so düstre Nachrichten wie zu befürchten war hat Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) aus Gelsenkirchen: „Der Besuch im Westen der Republik bot auch Anlass zur Hoffnung. Zwar hatte die Hertha weniger Spielanteile als die Schalker, aber sie hielt in vielen Phasen gut mit und wirkte auch ohne den gesperrten Kapitän Arne Friedrich in den meisten Situationen ganz gut sortiert. Ganz frei von den gefürchteten Momenten, in denen das Berliner Abstiegschaos aufblitzt, blieb das Spiel trotzdem nicht. Insgesamt war es aber ein Spiel auf schwachem Niveau, das zur tristen Novemberstimmung rund um die Arena passte. Und das lag nicht allein am abgeschlagenen Tabellenletzten aus Berlin. Der vermeintliche Spitzenklub Schalke mühte sich, verstand es aber 90 Minuten lang nur mit hohen Bällen Torgefahr zu erzeugen. In manchen Phasen des Spiels war das wütende Gefuchtel von Funkel und Preetz am Spielfeldrand unterhaltsamer als das Geschehen auf dem Rasen. (…) Eines der vielen Katastrophenspiele der Berliner war es also nicht, aber das ist ein schwacher Trost.“
„Hertha verliert vollends die Fassung“, befindet dagegen Stefan Hermanns im Tagesspiegel: „In der Arena trafen zwei Teams aufeinander, deren Stärken nicht gerade in der Gestaltung eines Spiels liegen. Den Berlinern als Tabellenletztem ist es nicht vorzuwerfen, dass sie wenig wollten: Sie beschränkten sich auf die Organisation der Defensive und machten das ordentlich. Weil die Schalker nicht konnten, wie sie wollten, passierte fast 20 Minuten gar nichts. Herthas Trainer Funkel hatte vor dem Spiel gesagt, dass seine Mannschaft im Kampf gegen den Abstieg auch einmal einen Sensationssieg brauche. Doch dafür taten die Berliner in der ersten Halbzeit zu wenig. Vielleicht fehlte ihnen auch das Selbstvertrauen, um den Weg in die Spitze zu suchen.“ Und nach dem Gegentreffer zum 0:1 sei dann schließlich „alles zusammengebrochen“, wie Maximilian Nicu nach dem Spiel sagte. „Mit der Niederlage hat Hertha eine bemerkenswerte Serie fortgeschrieben. 14 Bundesligaspiele warten die Berliner jetzt auf einen Sieg. Bis Weihnachten trifft die Mannschaft noch auf Leverkusen und Bayern München. Doch selbst wenn Hertha beide Spiele gewinnt – der Vierte der Vorsaison überwintert auf jeden Fall auf dem letzten Platz.“
Schon vor der Partie auf Schalke benannte Sven Goldmann ebenfalls im Tagesspiegel die Mängel der Berliner. „Gelegentliche Geistesblitze“ gebe es zwar zu verzeichnen. Diese träten aber nur zufällig und viel zu selten auf. „Raffael ist in diesen tristen Herbsttagen der Einzige, der so etwas wie Glanz in das Berliner Spiel bringt. Jedenfalls in Nuancen. Im Skonto-Stadion zu Riga war im Kleinen zu sehen, was im Großen Herthas Problem ist. Die Mannschaft ist abhängig von den Launen eines Einzelnen, vom Spielwitz eines fußballerischen Phlegmatikers. Raffael war der Wunschspieler von Lucien Favre, mit dem Hertha nur noch über Anwälte redet. Als Favre im Sommer 2007 nach Berlin wechselte, kämpfte er lange und verbissen um seinen Schlüsselspieler. Gemeinsam wären sie in der vergangenen Saison beinahe Deutscher Meister geworden. Im Jahr danach hat es den Trainer vielleicht den Job gekostet, dass sein Lieblingsspieler sich schon im dritten Saisonspiel einen komplizierten Armbruch zuzog. Ohne Raffaels gelegentliche Geistesblitze ging gar nichts mehr bei Hertha BSC. An diesem entscheidenden Wochenende stürzte die Mannschaft so tief, wie es tiefer nicht mehr geht.“
Pantelic und Funkel im Interview
Marko Pantelic spricht kurz mit dem Tagesspiegel und lässt keinen Zweifel, wen er für den Schuldigen an Herthas Misere hält.
Ebenfalls vor der Partie sprach Friedhelm Funkel in der FAZ mit Michael Horeni: „Wir dachten immer, Sie wären Realist – aus der Lage der Hertha hat sich noch kein Verein gerettet.
Ich bin Realist. Ich verlange von den Spielern nichts Unmögliches. Wir werden gegen Schalke oder Leverkusen auch mal gewinnen. Aber wir sind als Letzter mit großem Rückstand auch darauf angewiesen, wie die anderen spielen. Die anderen Mannschaften dürfen nicht wegziehen. Drei, vier oder fünf Punkte zu holen – das wäre sehr wichtig bis zur Winterpause. Im Januar fangen wir in Hannover an und haben dann Gladbach und Bochum zu Hause. Bis Februar sind die Monate der Wahrheit. Da müssen wir an die Mannschaft vor uns herankommen. Wenn wir gut aus den Startlöchern kommen, können wir aus dem Negativlauf der Hinrunde einen positiven Lauf machen. Mit dem Rückenwind können wir dann auch Spiele wie gegen Hoffenheim oder den HSV gewinnen – das ist es, was ich der Mannschaft sage.“
Mit der Leistung der Schalker befasst sich Richard Leipold in der FAZ: „Die Partie bestätigte zunächst einen Trend dieses Spieltages. Beide Parteien gaben dem Publikum Grund zu der Befürchtung, die vierte Nullnummer dieser Runde mit ansehen zu müssen. Schalke zeigte sich zwar dominant, aber zunächst nicht durchschlagskräftig. Auch nach dem Seitenwechsel fiel es Schalke schwer, die Berliner Mauer zu überwinden. Diesmal dauerte es knapp eine Stunde, bis das nicht sonderlich einfallsreiche Rezept aufging.“ Auch für Leipold stand Kuranyi bei seinem Tor im Abseits, Daniel Theweleit ist in seinem Beitrag anderer Meinung.
Köln zum 9. Mal ohne Tor
Köln bleibt zu Hause harmlos, holt aber einen Punkt gegen die ihre Serie fortschreibenden Bremer. Jörg Strohschein (Tagesspiegel) vermisst auf beiden Seiten viel: „Zumindest in diesem Heimspiel hatten die Kölner die Hinweise ihres Trainers offenbar ernst genommen. Zunächst einmal solle der Kampf im Vordergrund der Bemühungen stehen, hatte Zvonimir Soldo als Devise ausgegeben. Nach den desaströsen Heimauftritten gegen Hannover 96 und 1899 Hoffenheim in den Vorwochen sollte dies das einzige der ohnehin beschränkten Mittel der Rheinländer sein, die bemerkenswerten spielerischen Qualitäten der Hanseaten in den Griff zu bekommen. Die Kölner verpassten es allerdings, die [anfängliche] Verunsicherung ihres Gegners zu nutzen. (…) Doch trotz aller spielerischer Vorteile fehlte den Bremern die Überzeugung, einen Treffer zu erzielen. Vor allem Marko Marin brachte viel Schwung ins Bremer Spiel und stellte die Kölner Verteidigung mit seinen Sololäufen vor enorme Probleme. Doch seine Kollegen wirkten zu unkonzentriert im Torabschluss oder scheiterten an Thomas Kessler, der für den verletzten Torhüter Faryd Mondragon im Tor stand. Zumindest in Sachen Leidenschaft waren die Gastgeber den Hanseaten an diesem Nachmittag überlegen.“
Thomas Klemm ergänzt in der FAZ knapp: „Die 50.000 Zuschauern sahen eine mäßige Partie, bei dem der regennasse Rasen meistens das einzige war, was glatt ging. Während vom Bremer 31-Tore-Sturm mehr zu erwarten war, wurden die Kölner ihrem schlechten Ruf gerecht – zum neunten Mal erzielten sie in dieser Saison keinen Treffer.“
Klinsmann musste sich bei Gross entschuldigen
Spiegel Online kann sich nicht verkneifen, Stuttgarts neuen Trainer als „Alpen-Magath“ zu titulieren. So schreibt Peter Ahrens: „An dem neuen Trainer des VfB Stuttgart prallen die gängigen Schweiz-Klischees ab. Behäbigkeit, Langsamkeit, Gemütlichkeit – daran würde man bei Gross wohl als allerletztes denken. Nach dem netten Herrn Babbel bekommt der Verein nun das Gegenteil. Solche Trainertypen wie Gross werden in der Branche gemeinhin als harte Hunde bezeichnet. Eine Art Schweizer Ausgabe von Felix ‚Quälix‘ Magath.“ Nach seinen schlechten Erfahrungen bei den Tottenham Hotspurs sei er trotz stetiger Anfragen internationaler Klubs dann aber nicht ganz so hart zu sich selbst gewesen und im beschaulichen Basel geblieben. „Gross schaffte es zwar, die Spurs in der Premier League zu halten, rieb sich jedoch in Scharmützeln mit den Spielern auf. Vor allem einer machte dem Schweizer damals das Leben schwer. Jürgen Klinsmann in der Endrotation seiner Spielerkarriere konnte mit dem autoritären Führungsstil des Schweizers überhaupt nichts anfangen. Nach heftigen Disputen fand sich Klinsmann bei Tottenham auf der Ersatzbank wieder und musste sich offiziell beim Trainer entschuldigen.“ In der folgenden Saison sei „der Draht zwischen dem Disziplinfanatiker Gross und dem Team abgerissen. Nach nur drei Spieltagen in der neuen Saison durfte Gross die Koffer packen, begleitet von den höhnischen Kommentaren der britischen Presse, die sich über sein schlechtes Englisch belustigte. Danach hat er sich beruflich aus der Schweiz nicht mehr hinausgetraut.“ Dennoch sei Gross meist mit schwierigen Spielertypen zurechtgekommen. „Ihn lediglich als sturen Schleifer abzutun, würde denn auch Gross‘ Qualitäten als Fußballlehrer überhaupt nicht gerecht.“
Schwer zu verstehen, schwer zu fühlen
Peter Unfried bemerkt in der taz Ungewöhnliches im immer noch gärenden Konflikt des Wolfsburger Umfelds mit der Tatsache, dass der Trainer des VfL nicht mehr Magath heißt, sondern Veh, der noch dazu einen ganz anderen Fußball spielen lasse: „Dass die Stimmung in Stadt und Stadion dem All-Time High [mit einer Partie gegen Manchester United] nicht entspricht, liegt nicht nur an dem üblichen Ge- und Missbrauch von Fußballtrainern als Medien- und Gesellschaftszeitvertreib. Es offenbart auch Orientierungsprobleme wegen einer ungeklärten Identitätsverschiebung: Wer sind wir denn nun? Gerade noch ein Fußball-No-Name. Dann nahm der damals neue VW-Chef Martin Winterkorn die geschaffenen Strukturen als Grundlage, um Ernst zu machen: Felix Magath bekam die Lizenz und das Scheckbuch, um durchzustarten. Das erklärt, warum die verhalten geführte Trainerdiskussion übliche Elemente enthält, etwa das angeblich ‚lasche‘ Training Vehs, grundsätzlich aber eine unübliche, weil rückwärtsgewandte ist. Eine, in der sich Sehnsucht nach Magath ausdrückt.“ Teils seien bereits Rauswurf-Forderungen in Richtung Veh aus dem Publikum zu vernehmen gewesen. „Das geduldige Kombinieren und Lauern auf die Lücke hat das Team jetzt drauf – das Publikum noch nicht. Das ist nicht wie in Barcelona, wo man diese Fußballkultur mit der Muttermilch eingesogen hat. Offizielle Saisonziele waren und sind Platz 5 und eine dauerhafte Etablierung als deutsches Spitzenteam. Acht oder neun Klubs streiten darum, zu den neuen nationalen Top Five zu gehören. Aber nach dem größten Triumph und der maximalen Werbewirkung für VW ist die Etablierung auf hohem Niveau schwer als Erfolg zu verstehen. Und vor allem auch schwer zu fühlen. Sich in dieser Situation durchzusetzen, das ist einer von Vehs Standards, das sei die Herausforderung.“
Kommentare
3 Kommentare zu “Keins der vielen Katastrophenspiele”
Dienstag, 8. Dezember 2009 um 18:59
Dank an den Trainer wg. des wieder mal dollen freistoss des tages.
Wer hätte so einen britischen Humor von einem so deutschen Schiedsrichter erwartet?
Ich nie im Leben.
Dienstag, 8. Dezember 2009 um 19:27
Da darf ich mich nicht mit fremden Federn schmücken: Zu diesem Link bekam ich einen Hinweis eines Lesers. Wie auch jeder andere gerne eingeladen ist, interessante Kandidaten für den freistoss des tages einzusenden.
Aber mir gefällt er genauso wie Ihnen.
Dienstag, 8. Dezember 2009 um 20:02
Dass BVB-Fan Richard Leipold in der FAZ – wahrscheinlich wie Friedhelm Funkel – Kuranyi im „klaren“ (OT Funkel) Abseits sah wundert auf Schalke schon lange keinen mehr.
Sicher, es war eine ganz knappe Situation, bei der es um Zentimeter ging und die man mit bloßem Auge nicht wirklich beurteilen konnte (nicht einmal in Zeitlupe im TV!). Aber gerade in solchen Situationen lautet die Regel ja: im Zweifel für den Angreifer.
Mich wundert ein bisschen, dass Funkels Äußerungen nicht einmal bei der Berliner Presse die Alarmglocken läuten lässt. Neben dem „klaren Abseits“ behauptete Funkel z.B. auch noch, dass Schalke nie und nimmer gegen seine Mannschaft ein Tor geschossen hätte. Wie kommt Funkel eigentlich zu so einer Aussage? Glaubt Funkel etwa wirklich seine Mannschaft sei so gut gewesen, hat Funkel in dieser Saison noch nie ein Schalker Spiel gesehen (immer wieder schießt Schalkes Mannschaft aufgrund ihrer herausragenden Kondition und Fitness späte Tore) oder gar verpasst, dass Schalke in dem Spiel noch ein Tor geschossen hat?
Wie auch immer, Funkel (ebenso Preetz mit ähnlichen Äußerungen) hat sich in dem Spiel als extrem schlechter Verlierer gegeben, da zeigt einer Nerven im Kampf um den Klassenerhalt. Die Schuld wird überall gesucht, nur nicht bei sich selbst. Das erinnert alles sehr an die Absteiger der letzten Jahre (Cottbus, Rostock uvm.) und sollte – zumindest in der Berliner Presse – die Arlarmglocken läuten lassen und die Frage aufwerfen, ob Funkel (und Preetz) wirklich die Richtigen sind in Herthas Kampf um den Klassenerhalt.
Zu Schalke: Völlig richtig erkannt haben die Journalisten, dass das, was Schalke gezeigt hat, auch alles andere als das Gelbe vom Ei war. Die Journalisten sollten aber nicht so tun als ob man von Schalkes (z.T. sehr jungen, insbes. im Mittelfeld) Mannschaft mehr erwarten muss. Das tun derzeit nicht einmal die anspruchsvollen Fans der Schalker mit den traditionell hohen Erwartungen, und die Fans zeigen damit, dass sie mehr Ahnung haben als die meisten Sportjournalisten.