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WM 2010

Verhängnisvolles Eigentor

Frank Baade | Montag, 11. Januar 2010 Kommentare deaktiviert für Verhängnisvolles Eigentor

Nach dem Anschlag vor dem Afrika-Cup in Angola rückt das Thema Sicherheit in Afrika wieder ganz nach oben auf die Agenda, doch die Spiele selbst gehen weiter

23 von 53 Ländern mit Bürgerkriegen

Bereits vor den tragischen Vorfällen in Cabinda legte Daniel Theweleit dar, was der Afrika-Cup für den gesamten Kontinent bedeute, sowie, dass es schon lange im Vorfeld Zweifel an der Tauglichkeit Angolas für dieses Projekt gegeben habe (taz): „Es ist die alte Geschichte von Herrschaft und Unterdrückung, von Wohlstand und Ausbeutung. In den Industrienationen, wo sich große Teile der Bevölkerungen für liberal und tolerant halten, wird leicht vergessen, dass dieses Prinzip das Leben in Afrika immer noch bestimmt. Vielleicht sogar stärker als je zuvor. Europäische Politiker vermitteln gerne den Eindruck, es werde langsam besser mit Afrika, doch in Wahrheit ist – zumindest in den allermeisten Ländern – das Gegenteil der Fall. Hunger und Aids raffen die Menschen dahin, seit 1990 waren 23 von 53 afrikanischen Staaten an Bürgerkriegen beteiligt, und der Klimawandel wird die Gefahr von solchen Konflikten wohl drastisch erhöhen. Die Lebenserwartung in Angola, einem Land, das aufgrund seiner Ölvorkommen eigentlich vergleichsweise wohlhabend sein könnte, liegt bei 38,2 Jahren. Damit rangiert der Gastgeber des Africa Cups weltweit an vorletzter Stelle dieses Statistik. Nicht nur deshalb ist Angola ein schwieriger Ort für den Beginn des großen afrikanischen Fußballjahres.“

Christian Henkel ergänzt ebenfalls noch vor den Anschlägen in der Financial Times Deutschland: „Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Entscheidung für Angola als Austragungsland des Afrika Cups 2010 wenig Begeisterung bei den anderen afrikanischen Staaten ausgelöst hat. Segun Odegbami, ehemaliger Kapitän der nigerianischen Nationalmannschaft, gibt unumwunden zu, dass er den Afrika-Cup in Angola schon vor seinem offiziellen Beginn nicht mag. ‚Die Bedingungen sind in keiner Form günstig zu nennen. Die Hotels in Angola sind einfach viel zu teuer. Und das Reisen ist eine Katastrophe. Für die meisten unserer Fans bedeutet dies, dass sie uns vor Ort nicht unterstützen können.‘ Auch Calvin Jordan, der für das WM-Komitee Südafrikas in Angola hospitiert, sieht hinsichtlich der kommenden Wochen schwarz. ‚Die Ticketpreise sind zwar überaus günstig aber es gibt in ganz Angola weder ein System für lizenzierte und damit sichere Taxis noch für den öffentlichen Nahverkehr.‘ Das Verkehrschaos sei damit programmiert. Jordan hofft nun, dass die berühmte afrikanische Improvisationskunst auch in Angola funktioniert. Denn ‚ein chaotischer Afrika Cup würde auch die Zweifel in die Organisation unserer WM erneuern‘.“

Welch Geschwindigkeit, welch Routine

Nicht einmal bis zum Beginn des Turniers hat es gedauert, bis diese Diskussion tatsächlich Nahrung erhielt. Die Welt debattiere über die Frage der Absage dieses Turniers und auch der Konsequenzen für die WM 2010, nicht aber die Ausrichter in Angola. Immer noch „erschütternd“ findet es Johannes Aumüller (sueddeutsche.de), dass die Spiele auch in diesem Fall einfach weiter gingen, vor allem „mit welcher Geschwindigkeit und mit welcher Routine, mit wie wenig Gedanken und mit wie wenig Sensibilität die Fußball-Funktionäre diesen Fall abwickeln.“ Neben den üblichen und teils nachvollziehbaren Gründen komme im Falle des Afrika-Cups 2010 ein gewichtiger Grund hinzu: „die Fußball-Weltmeisterschaft 2010, die in gut fünf Monaten in Angolas Fast-Nachbarland Südafrika startet, denn da geht es um noch mehr Image, um noch mehr Geld und um noch mehr Politik.“ Jenem Argument, dass Vergleiche zwischen Südafrika und Angola unzulässig seien, hält Aumüller entgegen: „Richtig, aber das ändert nichts daran, dass die Sicherheitslage in Südafrika prekär ist“, denn „über die mangelnde Infrastruktur und die unzureichende Sicherheit, über die hohe Gewaltrate und die vielen Übergriffe hingegen wurde lange geschwiegen. Nun muss sich die Organisation wieder auf kritischere Fragen gefasst machen.“

Katastrophenkontinent

Johannes Dieterich warnt vor voreiligen Vergleichen (Berliner Zeitung): „Die angolanische Regierung hat ein verhängnisvolles Eigentor geschossen. Tragischerweise hat diesen Übermut aber nicht der westafrikanische Staat alleine auszubaden. Schon werden wieder Rufe laut, die bereits seit Jahr und Tag vor der Austragung der ersten Fußball-WM auf afrikanischem Boden ab Juni dieses Jahres warnen: Afrika sei eben doch ein Katastrophenkontinent, der mit der Organisation großer Sportevents überfordert sei, heißt es. Dieses Urteil ist jedoch vor allem von Unkenntnis geprägt. Angola hat mit Südafrika etwa soviel gemein wie Albanien mit Norwegen. Wer würde die Absage der Olympischen Spiele in London fordern, wenn im Baskenland mal wieder eine Bombe explodiert?“

Keine doppelten Standards

In die selbe Kerbe schlägt der Chef des WM-Organisationskommitees, Danny Jordaan, im Interview mit Christian Henkel (Berliner Zeitung): „Wir werden keine doppelten Standards akzeptieren – auf gar keinen Fall. Dieser Vorfall ereignete sich weit weg von Südafrika. Als dieser Mann in den Niederlanden das Flugzeug in die Luft jagen wollte, diskutierten Sie da ob die Niederlande sicher seien? Ob dort Fußballspiele stattfinden können? Nein, das taten Sie nicht. (…) Wir sollten nach unseren eigenen Fähigkeiten beurteilt werden, und ich betone, wir haben in letzter Zeit 140 Großveranstaltungen ausgerichtet ohne einen einzigen Vorfall. Wir erlauben aber keine Ignoranz. Unterschätzen Sie nicht die Fähigkeiten unseres Landes.“

Todesmutig, hasenfüßig

Auch Roland Zorn (FAZ) bestreitet nicht, dass derartige Vergleiche eigentlich unzulässig seien. Die mangelnde Sicherheit in Südafrika habe praktisch nichts mit den aktuellen Anschlägen der Unabhängigkeitskämpfer von Cabinda zu tun, doch:“ Die Welt ist vernetzt, das Denken auch, und die Phantasie der Menschen schert sich nicht um objektive Tatbestände.“ Deshalb sei ein Schaden für die WM 2010 in Südafrika äußerst wahrscheinlich. „Objektiv fragen lassen müssen sich fürs Erste nur die Veranstalter des Afrika-Cups. Als einen der vier angolanischen Spielorte Cabinda bestimmt zu haben, ist todesmutig. Die Delegation Togos nicht entschlossen genug an ihrer lebensgefährlichen Einreise per Bus gehindert zu haben, wirkt dagegen hasenfüßig.“

Am Rande der totalen Überforderung

Warum weder der Afrika-Cup insgesamt noch zumindest das Eröffnungsspiel abgesagt oder verlegt wurde, diskutiert wiederum Daniel Theweleit (taz): „Es geht um Geld und viel Prestige. Der Afrika-Cup ist die bedeutendste Einnahmequelle für die CAF. Das Ausfallen von Spielen würde Fernsehverträge ins Wanken bringen, eine Absage des Turniers wäre eine Katastrophe für die CAF. Denn der Verband ist eine Organisation, die nicht auf Unvorhergesehenes vorbereitet ist. Schon im weitgehend reibungslosen Turnierablauf in Ghana vor zwei Jahren agierten die Funktionäre permanent am Rande der totalen Überforderung. Zur Not werden da auch mal einfach die Telefone ausgestöpselt, weil Anfragen sowieso nicht bearbeitet werden. Das setzt sich nun fort: Die in Cabinda angesetzten Spiele der Gruppe B nach Luanda zu verlegen wäre sicher möglich gewesen. Zwei Gruppen in der angolanischen Hauptstadt spielen zu lassen galt in den Jahren der Vorbereitung immer als Notlösung. Doch dazu sah sich der Verband nun nicht mehr in der Lage.“

Dem Kontinent eine Chance geben

Thomas Klemm spricht mit Joachim Schubert, dem deutschen Mannschaftsarzt der Algerier, welche schon im Herbst Opfer von Gewalt bei ihrem WM-Qualifikationsspiel in Ägypten wurden (FAZ): „Wie in Südamerika ist auch der afrikanische Fußball sehr emotional. Bruderkriege werden stellvertretend im Fußball ausgetragen, und auch die Medien heizen die Stimmung an und missbrauchen den Sport. Es ist traurig, dass der Fußball von Interessengruppen ausgesucht wird, um Spieler zu schädigen, die mit den Konflikten überhaupt nichts zu tun haben. Auf der anderen Seite muss man dem Kontinent eine Chance geben. So lenkt der Afrika-Cup die Aufmerksamkeit auf Angola, auf die hier herrschende Armut und die anderen Probleme. Man sollte den Afrikanern darum nicht die Turniere wegnehmen, aber in puncto Sicherheit mehr Vorsorge treffen.“

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