Bundesliga
Slomka wird Nachfolger des gefühlvollen Bergmanns
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| Mittwoch, 20. Januar 2010Andreas Bergmann ist geschasst, bleibt aber wohl als Jugendtrainer bei Hannover 96, Mirko Slomka wird sein Nachfolger, bei einem Team, das eventuell traumatisiert ist; da helfen keine Pillen
In harschen Worten in die Pflicht genommen
Frank Hellmann fühlt mit dem Entlassenen mit (FR): „Bergmann, das übermitteln sogar die Agenturen, sei ‚zu weich und zu verständnisvoll‘ gewesen. Ob irgendwer im Klub oder in dessen Umfeld mal darüber nachgedacht hat, sich der Sache anders zu nähern? Offenkundig ist, dass die sportliche Talfahrt der auch wirtschaftlich angeschlagenen Niedersachsen nach Enkes Tod begann. Die 96-Offiziellen redeten danach oft von Psychologen und Seelsorgern, die bei Bedarf zur Verfügung stünden. Doch wer hatte denn wirklich Bedarf?“ Wahrscheinlich alle. Auch Kind, auch Schmadtke. Oder? „Und wirkt vielleicht das Drama als Trauma fort? Die Verantwortlichen – allen voran Schmadtke – insistierten alsbald, man könne Enkes Suizid nicht mehr als Ausrede gelten lassen. Die Mannschaft wurde in harschen Worten in die Pflicht genommen. Spätestens von da an war der mitfühlende Vorgesetzte Bergmann die ärmste Sau. Hannover 96 hat durch den behutsamen Umgang mit Enkes Tod viele Sympathien gesammelt. Man glaubte kurzzeitig wohl tatsächlich an mehr Menschlichkeit, Sensibilität und Verständnis im Profifußball. Der Bundesliga-Alltag sieht leider anders aus. Auch in Hannover.“
Einfache wie schwache Entscheidung
Trotzdem findet Sven Flohr (Welt): „Andreas Bergmann aber, der darf einem ruhig leid tun. Dass er von Hannover 96 entlassen wurde, ist die denkbar einfachste wie schwächste Entscheidung, die seine Vorgesetzten treffen konnten. Einen solchen Mann dann in der ersten Krise zu entlassen, ist mehr als fragwürdig. Zumal die Umstände besondere sind.“ Seit Enkes Tod hat Hannover 96 nicht mehr gewonnen, auch vor der Winterpause schon. „Eine Entlassung aber hätte zu diesem Zeitpunkt noch pietätloser gewirkt als heute. Ehrlicher aber wäre sie in jedem Fall gewesen.“ Natürlich habe man reagieren müssen auf die sportliche Talfahrt des Klubs. „Für den Neubeginn den Trainer zu entlassen, ist dabei aber ungefähr so unkreativ wie Hannovers Angriffsspiel der vergangenen Wochen. Und als ob das nicht reichte, wurde Bergmann auch noch ein gemeines Abschlusszeugnis ausgestellt – in hübsche Worte verpackt natürlich. Bergmann habe gute Arbeit geleistet, sagte Schmadtke: ‚Er hat die Mannschaft gerade auch in der Phase nach der furchtbaren Tragödie um Robert Enke gefühlvoll geleitet.‘“
Markus Lotter (Berliner Zeitung) urteilt ähnlich: „In Anbetracht einer Winterpause ohne Wirkung, einer Serie von sieben Spielen ohne Sieg sowie der gesteigerten Rat- und Hilflosigkeit von Bergmann musste Jörg Schmadtke Einfluss auf den Lauf der Dinge nehmen. Er, der die Mannschaft nach einem verloren gegangenen Vorbereitungsspiel gegen den Zweitligisten Union Berlin scharf, aber nicht bösartig kritisiert hatte (‚Das ist Betriebssport‘), ist nämlich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr in erster Linie für das angemessene Verhalten in einer Ausnahmesituation, sondern für die Zukunft des Vereins verantwortlich. Und diese Zukunft braucht offensichtlich einen Impuls von außen, von einem unbefangenen Gestalter, der mit einer gewissen Distanz zur Tragödie Enke nach Hannover kommt. Letztlich geht es in Hannover um das Wohl eines kleinen Wirtschaftsunternehmens, um zahlreiche Arbeitsplätze, die im Falle eines Abstiegs gefährdet wären. Das klingt etwas kalt, ist aber eine einfache und realistische Rechnung.“
Der logische Kandidat
In der SZ lässt Jörg Marwedel titeln: „Gefühlsmensch geht, Verkäufer kommt“. Den Neuen begrüßt er als „der logische, fast perfekte Kandidat“. Denn: „Er ist Hannoveraner, war schon Assistent des damaligen 96-Aufstiegstrainers Ralf Rangnick und gilt als prächtiger Verkäufer, den die gebeutelten Fans gerne empfangen.“ Dass es aber nicht zwangsläufig auf Slomka hinauslaufen musste, weiß Marwedel auch: „Als erstes hatte man gar beim 67-jährigen Rentner Hans Meyer angefragt, der Borussia Mönchengladbach, den 1. FC Nürnberg und Hertha BSC Berlin schon vor dem Abstieg bewahrte. Meyers Auskunft: ‚Ich bin Trainer außer Dienst.‘“ Verantwortlich für die Malaise ist aber nicht Bergmann: „Martin Kind hat zwar aus Hannover 96 mit relativ bescheidenen Mitteln eine funktionierende Fußballfirma gemacht, aber er hat immer wieder auf falsche Leute gesetzt. Er brachte Rangnick und den Manager Ricardo Moar zusammen, die sich mindestens so hassten wie das spätere Trainer-Manager-Duo Ewald Lienen und Ilja Kaenzig. Dann glaubte er in den beiden Freunden Dieter Hecking und Sportdirektor Christian Hochstätter ein Team gefunden zu haben, das dem des erfolgreichen Werder-Duetts Thomas Schaaf und Klaus Allofs nahe komme, und musste feststellen, dass diese Besetzung mit vergleichsweise viel Geld bald eine verheerende Spieler-Einkaufsbilanz hatte.“
Erfahrungsgemäß am schwersten
Frank Heike resümiert für die FAZ im selben Tenor: „In den letzten Wochen hatte Bergmann hilflos gewirkt, auch darin, eine Mannschaft zu führen, deren bester und bekanntester Spieler Suizid begangen hat. Vielleicht kann man daran als Trainer nur scheitern.“ Diese Lage zu bewältigen sei aber quasi unmöglich: „Bergmann dürfte auch an einer Situation gescheitert sein, für die er selbst gar nicht verantwortlich gemacht werden kann – in den Tagen nach Enkes Freitod auf den Bahngleisen war der eher ruhige und zurückhaltende Trainer noch für seine menschliche und kommunikative Art gelobt worden; Eigenschaften, die ihm neben der Bundesliga-Unerfahrenheit nun zum Nachteil ausgelegt werden.“ Wie weit der Nachfolger kommen wird, bleibt strittig: „Slomka übernimmt nun eine Mannschaft, die als Anwärter für einen Mittelfeldplatz unvorbereitet in größte Not geraten ist. Erfahrungsgemäß sind solche Teams am schwersten vor dem Abstieg zu retten.“