Bundesliga
Bayer vor einem bitter-ironischen Kapitel?
| Montag, 8. Februar 2010Bayern voller Selbstvertrauen, Leverkusen verliert gefühlt, der Stuttgarter Lauf hält an, der HSV mit Konzentrationsmängeln, Hannover weiterhin vor dem Abgrund, Hertha spielt nicht wie ein Absteiger
Köstner wie Jopie Heesters als künstlerischer Leiter
Van Gaal zu loben, daran kommt man derzeit nicht vorbei. Auch Peter Unfried in der taz nicht: „Die van Gaal-Bayern sind, das ist die Erkenntnis des bisherigen Rückrundenverlaufs, ein sehr ernsthafter Anwärter für die Nachfolge der Wolfsburger. Van Gaal hat nach einigem Holpern zu Beginn seiner Münchner Zeit seinen Positionsfußball erfolgreich modifiziert. Derzeit kann das Team auf Grundlage der nötigen defensiven Kompaktheit und mit Hilfe individueller Extraklasse seinen Kombinationsfußball durchsetzen – gegen unterlegene Gegner wie Wolfsburg sogar relativ problemlos.“ Was beim Verlierer inzwischen anders gemacht wird, weiß Unfried ebenfalls: „Was den VfL Wolfsburg angeht, so hat Interimstrainer Lorenz-Günther Köstner Armin Vehs Ballbesitzfußball entschärft. Er ließ das Team gegen die Bayern tief stehen und mit einer ganzen Menge Flugbällen arbeiten. Ergebnis: Zwanzig konkurrenzfähige Minuten. Doch häufig artete der schnelle Ball in Aktionismus aus – und in zusätzliche Arbeit, um ihn mühsam zurückzugewinnen.“
Nie war der Sieg der Bayern gefährdet, findet Frank Heike (FAZ): „Die Bayern ließen das Spiel gemütlich austrudeln. Ein gutes Spiel. Mit Bayern, die vor Selbstvertrauen strotzten.“ Wolfsburg hat bekanntlich einen neuen Trainer, der vieles ändert und somit auch in Vielem zu früheren Methoden beim VfL zurückkehrt. „Dass die Spieler ihren Trainer für eine Art wiedergeborenen Magath halten, ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Dem grün-weißen Künstler-Ensemble, das seit der Meisterschaft im Sommer noch in der alten Besetzung spielt, scheint der kauzige Köstner eher wie ein antiquierter Sprücheklopfer (‚Gras fressen‘) vorzukommen. Als hätte man den Stars der Deutschen Oper Jopie Heesters als neuen künstlerischen Leiter präsentiert. Das so zu empfinden ist das eine. Dass es ziemlich genau so aus der Kabine heraus an die Öffentlichkeit getragen wird, zeigt, dass die Auflösungserscheinungen noch nicht gestoppt sind.“
Christian Eichler spricht in der FAZ mit Louis van Gaal.
Rekord eingestellt, trotzdem gefühlt verloren
Dem Leitbild entsprechend ausdauernd kämpfende Bochumer sah Richard Leipold (Tagesspiegel) beim Remis gegen Leverkusen, für die das eine der viel zitierten „gefühlten Niederlagen“ ist: „Die Bochumer erwiesen sich von Beginn an als unbequemer Widersacher. Sie hinderten die technisch starken Leverkusener mit Eifer und Geschick daran, ihre Stärken gewinnbringend auszuspielen – bis zur 45. Minute. Unmittelbar vor der Pause ging Bayer in Führung. So musste die Heimelf wieder einmal im eigenen Stadion, wo erst ein VfL-Sieg zu Buche steht, einem Rückstand hinterherlaufen. Bayer spielte in der ersten Halbzeit zwar nicht überragend, ließ sich nicht verunsichern. Beflügelt durch den Führungstreffer zeigte Leverkusen sich bestrebt, den Vorsprung auszubauen. Kießling mit dem Kopf und Tranquillo Barnetta mit dem Fuß verfehlten aber das Tor. Auf der Gegenseite steckten die Bochumer, die unter dem neuen Trainer an Stabilität gewonnen haben, nicht auf.“
Rekord ja, überzeugendes Spiel nein, meint Christian Oeynhausen (FR) zur Leistung der Leverkusener in Bochum: „Mit dem 1:1 blieb Trainer Heynckes saisonübergreifend im 27. Liga-Spiel in Folge ungeschlagen und stellte seinen persönlichen Rekord ein. Es war aber eine gefühlte Niederlage der fußballerisch klar überlegenen Mannschaft. Gegen das geschlossen und engagiert verteidigende Team von Heiko Herrlich spielte Leverkusen zu wenig klare Gelegenheiten heraus, um dem 1:0 durch Derdiyok ein zweites Tor folgen zu lassen. Sie rannten an, und dann rannten sie in einen Konter. – Es wäre in der Klubgeschichte ein bitter-ironisches Kapitel, würde am Ende einer Saison ohne Niederlage die fünfte Vizemeisterschaft stehen.“
Der Berliner Zeitung schwant für Leverkusen Altbekanntes: „Das Gros der Beobachter kommt zum Schluss: Dieses 1:1 ist der Anfang der Leverkusener Verunsicherung, die immer dann auftritt, wenn man sich bei den Bayern in München mal wieder in eine dieser geradezu unheimlichen Selbstbewusstseinswellen hineinsteigert.“
Problemviertelstunde des HSV
Der HSV zeigt immer wieder die selben Konzentrationsmängel, urteilt Daniel Theweleit (FR): „Es folgte die Schlussviertelstunde, eine Phase, die sich langsam zum Problem für den HSV entwickelt. Seit dem zehnten Spieltag büßte das Team von Bruno Labbadia sechsmal durch Gegentore nach der 75. Spielminute Punkte ein. Eine seltsame Lethargie hatte die Gäste befallen. Die Entwicklung erinnert ein wenig an die Rückrunde der vergangenen Saison, als Labbadia die Kontrolle über die hoch veranlagte Leverkusener Mannschaft entglitten war. Damals geriet seine Methodik in die Kritik. Es hieß, die Spieler seien nicht fit, müssten zu hart trainieren. Da ist Vorsicht geboten, Labbadia hatte sich Feinde gemacht. Fakt bleibt aber, dass Bayer seinerzeit nur eines seiner ersten vier Rückrundenspiele gewann – wie nun der HSV.“
Auch Philipp Selldorf (SZ) teilt die Ansicht, dass der HSV das Remis selbst verschuldet habe: „Die andere Wahrheit ist die, dass sich die Hamburger immer tiefer zurückdrängen ließen, dass sie außerstande waren, den Kölner Vorwärtsdrang und besonders die rasenden Flügelspieler Chihi und Tosic zu stoppen. Sie hatten das Fußballspielen nicht eingestellt, wie Labbadia aus hoheitlicher Betrachtung monierte, sie waren schlicht unterlegen. Bei ständigen Beobachtern festigte das den Eindruck, dass der von hohen Ansprüchen erfüllte HSV nicht zufällig zum dritten Mal hintereinander sieglos blieb.“ Der FC Köln hingegen sei nicht mehr mit dem Hinrunden-FC vergleichbar. Ein Neuzugang ist dafür mitverantwortlich: „Am Samstag hatte daran auch der von Manchester United ausgeliehene serbische Nationalspieler Tosic Anteil, der ein begnadeter, aber manischer Fummler ist und einer wilden Sorte Spieler angehört, die im Profifußball schon ausgestorben zu sein schien.“
Jesus Christus im Tor
Hertha verliert äußerst unglücklich in Bremen. Sven Goldmann (Tagesspiegel) war dabei: „Fußball ist ein Spiel, das von Fehlern lebt. Wie langweilig Fußball ohne Fehler sein kann, war beim WM-Finale 1994 zu sehen, als Brasilien und Italien einander auf so hohem taktischen Niveau beharkten, dass es zu kaum einer Torszene kam. Diese Gefahr war am Freitag in Bremen nicht gegeben. Für die Berliner hatte dieses Menschenrecht auf Fehlleistung aus zweierlei Gründen dramatische Konsequenzen. Sie schossen zum einen ein Tor, das wegen des Versagens eines Einzelnen keine Anerkennung fand. Und sie kassierten eines, das sie nie hätten kassieren dürfen.“ An anderer Stelle im Tagesspiegel erinnert Sven Goldmann an früheres Glück der Hertha: „Man könnte sagen: Hertha spielt nicht wie ein Absteiger – aber auch nicht wie eine Mannschaft, die nicht absteigt.“ Zum Thema des fälschlicherweise nicht gegebenen Tores meint Goldmann: „Schicksal? Vielleicht. Oder Kompensation für in jüngerer Vergangenheit reichlich in Anspruch genommenes Glück. Friedhelm Funkel sagt, er könne sich noch gut erinnern an das Berliner Gastspiel im Oktober 2008 in Leverkusen. Bayer stürmte 89 Minuten lang, aber Torhüter Jaroslav Drobny hielt die schwersten Schüsse und Hertha gewann durch ein Last-Minute-Tor von Andrej Woronin 1:0. Lucien Favre verglich seinen Torhüter später mit Jesus Christus. Der Tscheche war der beste Mann auf dem Platz und vereitelte Torchancen, die eigentlich nicht zu vereiteln waren. Am Ende aber stand kein zweites Wunder, sondern die Erkenntnis, dass Hertha sogar verliert, wenn Jesus im Tor steht.“
Schalke ohne Schwung
Ein zu lahmes Spiel lieferten die Schalker in Freiburg, befindet Uwe Rogowski (Tagesspiegel): „Die auswärtsstärkste Mannschaft der Liga hat also bei der heimschwächsten nicht gewonnen. Da nützte es nichts, dass die Schalker, erstmals mit Alexander Baumjohann in der Startelf, das Spiel nach einer halben Stunde an sich gerissen hatten. Der Schwung fehlte meist.“
Zur Frage eines Videobeweises bzw. einer Torkamera und dem mit deren Fehlen hadernden Felix Magath pflichtet Christoph Ruf (FR) bei: „Warum Jahr für Jahr aerodynamischere Bälle, modernere Schuhe und neuartigere Trikots entwickelt werden, man sich aber bei wirklich spielentscheidenden Szenen einer Fritz-Walter-Romantik bedient, muss man als Trainer ja auch nicht zwangsläufig verstehen.“ Der gewonnene Punkt stärke den in die Kritik geratenenen Freiburger Trainer Robin Dutt. „Von der Grundphilosophie, mit spielerischen Mitteln den Erfolg zu suchen, werde er nicht abrücken, sagte Dutt.“
Der Club hätte Ruhe verdient
In Stuttgart scheint sich Geschichte zu wiederholen. Christof Kneer (SZ) gibt den Psychiater: „Die Mannschaft ist wieder mal dabei, sich in ihren inzwischen legendären Rückrunden-Lauf hineinzusteigern. Nach dem fünften Liga-Sieg hintereinander ist der VfB-Lauf endgültig über die Liga gekommen, und wieder ist er für Freund und Feind gleichermaßen schwer zu greifen. Die siegreichen Stuttgarter verstehen ihre manisch-depressive Ader ja selbst nicht.“ Neben Christian Gross gebe eines einen weiteren Hauptverantwortlichen für den aktuellen Stuttgarter Erfolg: „Sami Khedira, dessen Entwicklung allmählich beängstigende Ausmaße annimmt. Khedira ist die Verkörperung der These, dass sich Teams über die Sechserposition definieren: Während die Nürnberger Ottl und Tavares eher brav vor sich hinschafften, dehnte Khedira seine Rolle in alle Richtungen aus. Hinten köpfte er die Bälle weg, in der Mitte eroberte er sie, vorne spielte er die Pässe.“
Auch in Nürnberg wirkt ein neuer Trainer, der alte Fehler beheben muss. Christoph Ruf erläutert für Spiegel Online: „Marek Mintal ist derzeit zwar klar im Aufwind, das Lob relativiert sich aber gehörig, wenn man miterlebt hat, wie er die letzten Monate agiert hat. Raphael Schäfer ist immer noch ein grundsolider Bundesligakeeper, kostet aber immer wieder Punkte durch ein arg originelles Stellungsspiel. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Hecking scheint das Problem erkannt zu haben. Er hat sich vorgenommen, die jungen Spieler zu fördern, ohne die erfahrenen vor den Kopf zu stoßen. Er will aber auch den Platzhirschen vermitteln, dass das Leistungsprinzip nicht mit der Dauer der Vereinszugehörigkeit verrechnet wird. Hecking spricht derzeit oft von der Aufgabe, die ‚Balance‘ im Team herzustellen. Schön wäre es, wenn die im ganzen Verein einkehren würde. Der Club, der in Franken bedingungsloser geliebt wird als der Papst im Vatikan, hätte es verdient, endlich einmal zur Ruhe zu kommen.“
Das allerschlimmste für Hannover 96
Mit Hannover wird es nicht besser, einen Anteil daran mag auch immer noch Andreas Bergmann haben, vermutet Jan Christian Müller (FR): „Derart harmlos und am Ende auch kraftlos, wie seine Mannschaft sich bei beileibe nicht vollständig wiederhergestellten Hoffenheimern präsentierte, muss man das allerschlimmste befürchten für die Niedersachsen. Slomka hat ein schwerwiegendes Problem ausgemacht: Hannover 96 ist konditionell zu schwach. Dem seit drei Wochen verantwortliche Trainer (Bilanz seitdem: null Punkte in drei Spielen) ist das schon beim Intervalltraining unter der Woche aufgefallen. Die Spieler brauchen zu lange, um sich von Belastungen wieder zu erholen. Ihnen geht viel zu schnell die Pumpe. Offenbar ist unter Vorgänger Andreas Bergmann nicht hart genug trainiert worden.“
Kommentare
5 Kommentare zu “Bayer vor einem bitter-ironischen Kapitel?”
Montag, 8. Februar 2010 um 18:08
Was ist denn mit dem indirekten Freistoß los? Der deutsche fußball steht Kopf und ihr redet über Hertha und Nürnberg. Boooring!
Montag, 8. Februar 2010 um 19:44
Ich pfeife zwar nicht auf Zuruf, aber Sie haben es ja schon entdeckt.
Hier als auch hier. „Gut Ding“ und so weiter.
Dienstag, 9. Februar 2010 um 13:09
[…] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Die Fussballarena, bayern4ever erwähnt. bayern4ever sagte: Bayer vor einem bitter-ironischen Kapitel? | indirekter freistoss http://bit.ly/b0L7wS #fcb […]
Mittwoch, 10. Februar 2010 um 14:38
Eine Korinthe: Der gute Felix Magath zaudert nicht mit dem Torbeweis, sondern hadert mit dem Fehlen desselbigen.
Mittwoch, 10. Februar 2010 um 15:21
Allerdings eine zutreffende Korinthe, vielen Dank für den Hinweis.