Deutsche Elf
Vor und nach der Pressekonferenz des DFB
| Dienstag, 9. Februar 2010Pressestimmen von vor und nach dem vermeintlichen Friedensgipfel beim DFB, eine interessante Charakterisierung eines Ensembles und Diskussionen mit Kommunikationswissenschaftlern
Philipp Selldorf (SZ) ist noch vor dem Friedensgipfel der Auffassung, dass die vielen Gegner Bierhoffs beim DFB und in der Liga (und auch in den „Medien“) mit ihrer Hoffnung, Löw ohne Bierhoff erhalten zu können, auf verlorenem Posten stünden. Löw demonstriere Einheit mit Bierhoff. Dennoch: „Stoiker“ Löw, der sich bislang gerne aus der Politik heraushielt und sich mit Fragen wie Frings oder Kuranyi beschäftigte, musste erleben, dass er in einen Sog geriet, der ihm neue Eindrücke bescherte: „Dass ihm nun Geld- und Machtgier angelastet wird, sprengt den Rahmen seiner Erfahrungen und Erwartungen.“ Viele neue werden aber zumindest beim DFB nicht dazu kommen: „Löw teilt mit seinem Vorgänger Jürgen Klinsmann nicht viele Eigenschaften, aber die Geradlinigkeit, die er jetzt gezeigt hat, die wird er vermutlich beibehalten. Und deshalb im Sommer nach der WM, wie 2006 Klinsmann, die Konsequenzen ziehen.“ Während die DFB-Verantwortlichen die Nationalelf weiterhin nah am Verband haben möchten, gehen Bierhoffs Bemühungen in die andere Richtung. Exemplarisch dafür die „Entwicklung einer eigenen Internetseite, deren Erscheinungsbild selbst den wohlgesonnenen Begleiter meinen ließ, dass ein Stück gemeinsamer Basis verloren gegangen sei: ‚Da lese ich nur Rubriken wie Workout, Players profile, Second life – da sind wir dann schnell bei Signing Fee‘“, zitiert Selldorf einen Beobachter.
Die Wurzeln des Konflikts
Auch wenn Thomas Haid (Stuttgarter Zeitung) gestern noch, inzwischen überholt, annehmen musste, dass der Konflikt bis zur WM weiterschwelen würde, ist seine Darlegung der Ursachen dieses Konflikts nicht minder interessant: „Die Auseinandersetzung begann schon 2004 mit der Einstellung von Jürgen Klinsmann, der eher ein Reformer und ein Projektleiter war denn ein Fußballlehrer. Das war die Geburtsstunde der neuen Familie. Die Verpflichtung von Klinsmann erfolgte einst weniger aus Überzeugung und mehr aus Mangel an Alternativen und zähneknirschend. Von Anfang an fürchtete die alte DFB-Riege um ihre Pfründe – und in der Tat änderte sich einiges. So gibt es inzwischen eine sichtbare Grenze zwischen der sportlichen Abteilung und den Funktionären, die zuvor bei Großveranstaltungen im Mannschaftshotel gewohnt und sich mit der Nähe zu den Spielern geschmückt hatten. Das schaffte Klinsmann ab, die Funktionäre mussten Abstriche machen und auf Privilegien verzichten, die sie lieber heute als morgen zurückhätten.“ Ginge Bierhoff, würde die alte Familie wieder näher an die Spieler rücken. Niersbach soll übrigens neben Sammer und Beckenbauer auch mit Matthäus befreundet sein. „Jetzt ist aber der Fall eingetreten, dass sich der beim Fußballvolk beliebte Löw vorbehaltlos mit Bierhoff verbündet hat. Dass er das so konsequent tut, hat die alte Familie vermutlich überrascht. Denn bisher ist Löw nur dadurch aufgefallen, dass er seine Energie für die Tätigkeit auf dem Platz aufsparte. Der Erfolg gab ihm recht.“
Schwer nachzuvollziehen, dass sich ältere Herren davon pikiert fühlen können, nicht mehr mit Mesut Özil und Marko Marin frühstücken zu dürfen. Allerdings auch nicht gänzlich unvorstellbar.
Sprachlosigkeit unter Kommunikationsexperten
Die Ereignisse der heutigen Pressekonferenz protokolliert haben Jan Christian Müller und Thomas Kilchenstein (FR): „Alle Beteiligten waren am Dienstag sichtbar bemüht, die Wogen zu glätten und wieder zur Tagesordnung zurückzukehren. Dass das nicht ganz einfach werden würde, war ebenfalls mit Händen zu greifen. Die Verletzungen sind noch zu frisch. Letztlich hatten sich an diesem Dienstag alle vier Granden aus der Führungsspitze ein bisschen entschuldigt. Generalsekretär Niersbach, jahrzehntelang für die externe Kommunikation beim DFB verantwortlich, kritisierte sich selbst für die tagelange Sprachlosigkeit und den fehlenden direkten Kontakt unter Männern, die sich eigentlich gar nicht so schlecht verstünden. Neben dem brüchigen Frieden, der da mühevoll zusammengezimmert wurde, bleibt an Fakten festzuhalten: Der Vertrag mit Bundestrainer Löw und dem Trainerstab wird vor der Weltmeisterschaft in Südafrika definitiv nicht verlängert.“ Zwanzigers Interesse an einer Weiterarbeit mit Löw bleibe groß, Bierhoffs Weiterbeschäftigung sei fraglicher denn je.
Nicht seine größte Stärke
Auch Roland Zorn (FAZ) hat bereits die Worte aus Frankfurt im Ohr: „Der Tag der Erklärungen hinterließ so manches Fragezeichen. Ob Löw nach dem Abenteuer Südafrika weitermachen will, soll oder darf, liegt auch noch im Dunkel. Die Wahrscheinlichkeit jedenfalls, dass Bierhoff nach der WM Teammanager beim DFB bleibe, schätzen Insider als eher gering ein. Zu viel Porzellan ist in den vergangenen Tagen zerschlagen worden.“ Zwanziger erklärte, er habe mit seinem Angebot kein Ultimatum stellen, sondern retten wollen, was noch zu retten ist. „Nicht seine größte Stärke, nachdem schon der von ihm im Dezember propagierte Handschlag-Vertrag mit Löw auf auch in Zukunft beiderseits gute Zusammenarbeit vom Bundestrainer nie bestätigt, am Ende sogar dementiert worden war.“ Dennoch: „Mit Löw scheint der DFB-Präsident wieder im Reinen.“ Alle anderen müssten jetzt wohl daran arbeiten, ihr Vertrauensverhältnis zu reparieren. „Eine Basisarbeit, die schwer, dem einen oder anderen Beteiligten vielleicht zu schwer fallen könnte.“
Könige, Helden, Schurken
Amüsant und trefflich die Charakterisierungen der Laienschauspieler im Theater DFB durch Wolfang Hettfleisch und Jan Christian Müller in der
FR, als kleiner Appetithappen diese Sentenz bezüglich des „Schurken“ Bierhoffs: „Gute Ideen, viel Dynamik, wenig Demut, noch weniger Diplomatie.“ Lernen Sie auch die übrigen Darsteller kennen …
Lesenswert wie immer das kurze Live-Blog von der Pressekonferenz am heutigen Mittag sowie die anschließende Diskussion (samt laut Selbstauskunft Kommunikationswissenschaftler) der gefallenen Äußerungen bei allesaussersport.
Kommentare
2 Kommentare zu “Vor und nach der Pressekonferenz des DFB”
Dienstag, 9. Februar 2010 um 23:56
Bei der Lektüre des zweiten FR-Artikels ist bei mir die Frage aufgekommen, mit wem denn die Präsidiumsmitglieder normalerweise ihre Verträge schließen. Es wird der Interessenkonflikt von Bierhoff erwähnt, der als Präsidiumsmitglied das Wohl des Verbandes verfolgen sollte.
Mit wem schließen denn Zwanziger und Konsorten ihre Verträge? Werden die gewählt? Und wenn ja, wer feilscht dann über die Details mit den Auserwählten? Bin da nicht so ganz bewandert in der DFB-Satzung…
Mittwoch, 10. Februar 2010 um 12:19
[…] zum Theater beim DFB gibt´s auch im Blog von Abenteuer-Fußball. Pressestimmen gibt es auf indirekter-freistoss.de. Euch gefällt dieser Artikel? Dann würde ich mich freuen, wenn Ihr meinen Feed […]