Am Grünen Tisch
Tabuwort „homosexuell“
| Mittwoch, 17. Februar 2010Der Fall Manfred Amerell zieht immer weitere Kreise; vier weitere Schiedsrichter klagen an, der DFB hat mit dubiosen Kommunikationsdefiziten zu kämpfen und das Wort „homosexuell“ steht auf dem Index
Die Akte Amerell wird immer umfangreicher. Beim DFB haben sich nun weitere Schiedsrichter gemeldet, die dem ehemaligen Bundesliga-Referee ebenfalls sexuelle Belästigung vorwerfen. Die Verbandsspitze bemüht sich händeringend um eine schnelle Aufklärung – wahrscheinlich auch, um eigene Versäumnisse vergessen zu machen.
Kein Einzelfall
Der Kölner Stadt-Anzeiger hat eine Pressemitteilung des DFB vom Dienstag im Wortlaut veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem, dass es sich „bei den im Raum stehenden Vorwürfen allen Aussagen zur Folge um keinen Einzelfall handelt. Unabhängig voneinander haben mehrere Personen in den Anhörungen zu Protokoll gegeben, von Herrn Amerell in der Vergangenheit bedrängt und/oder belästigt worden zu sein. Dass die Betroffenen diese Übergriffe so lange Zeit nicht gemeldet haben, begründeten sie übereinstimmend mit der latent vorhandenen Angst vor privaten oder beruflichen Nachteilen, die sich vor allem auf die weitere Entwicklung ihrer Laufbahn als Schiedsrichter bezogen.“ Zudem erfährt man, welche Konsequenzen der DFB nun ziehen will: „Die bisherigen Strukturen im Schiedsrichterwesen werden einer kritischen Prüfung unterzogen und konkrete Vorschläge zu einer Neustrukturierung erarbeitet.“ Man wolle mehr Transparenz in die Abläufe bringen und Abhängigkeitsverhältnissen vorbeugen. Konkret heißt das: Junge Schiedsrichter sollen künftig eine Art Vertrauensmann zur Seite gestellt bekommen, „der als unabhängiger Ansprechpartner für die Schiedsrichter zur Verfügung stehen soll“, heißt es aus der DFB-Zentrale in Frankfurt.
Jens Mende und Wolfgang Müller (FTD) machen auf unangenehme Kommunikationsprobleme beim Deutschen Fußball Bund aufmerksam. So sei der Hilferuf von Bundesligareferee Michael Kempter erst mit einem Monat Verzögerung bei DFB-Präsident Zwanziger angekommen. „Auch deshalb musste Zwanziger kräftig aufs Tempo drücken. Neben Amerell und Kempter sind weitere Zeugen im Schnellverfahren angehört worden, darunter auch mehrere Schiedsrichter. Die Gefahr eines Flächenbrandes im Verband und in einem der wichtigsten Bereiche musste schnell gestoppt werden.“ Konsequenzen soll auch das Verhalten des Vorsitzenden des Schiedsrichterausschusses, Volker Roth, haben, der Kempters E-Mail aus dubiosen Gründen nicht sofort an Zwanziger weitergeleitet hat: Auf dem nächsten DFB-Bundestag soll er durch Herbert Fandel ersetzt werden.
Warum stützt der DFB Volker Roth?
Auch Michael Horeni (FAZ) beschäftigt sich mit den zu langen Kommunikationswegen beim DFB. „Roth hat die Vorwürfe erst einen Monat später an Zwanziger übermittelt, was in der DFB-Führung dennoch auf Verständnis stößt – obwohl es auch innerhalb des Verbandes Stimmen gibt, die nicht ausschließen wollen, dass Roth daran gelegen gewesen sein könnte, die Sache zu vertuschen.“ Grund genug für den Autor, die Tragbarkeit Roths in Frage zu stellen: Die Frage, „weshalb die DFB-Spitze den in diesem Oktober aus dem Amt scheidenden Schiedsrichterobmann Roth weiter stützt“, würden sich bereits viele stellen. Nebenbei ist Horeni aufgefallen, dass sich die DFB-Oberen derzeit alle Mühe geben, im „Fall Amarell“ das Wort „homosexuell“ zu vermeiden – obwohl es offensichtlich um eben solch eine Beziehung geht. Die krampfhafte Tabuisierung dieses Begriffs habe er „angesichts der öffentlichen Reden des Präsidenten zum Thema Homosexualität im Fußball in den vergangenen Jahren kaum mehr für möglich gehalten.“
Verweigerung von Akteneinsicht
Derweil hat Amarells Anwalt Jürgen Langer dem DFB vorgeworfen, dass man ihm bisher jegliche Akteneinsicht verweigert habe. Thomas Kistner (SZ) klärt auf: „Manfred Amerell ging am Dienstag in die Offensive. Weil der vormalige Schiedsrichtersprecher des Deutschen Fußball-Bundes, der von Fifa-Referee Michael Kempter sexueller Belästigung geziehen wird, vom ermittelnden Verband weiterhin keine Akteneinsicht erhält, schaltete er das DFB-Sportgericht ein.“ Langer habe zudem den DFB-Kontrollausschuss kontaktiert, um herauszufinden, ob ihm das Recht auf Akteneinsicht in die DFB-Verwaltungsakten verweigert werden durfte.
Kommentare
8 Kommentare zu “Tabuwort „homosexuell“”
Mittwoch, 17. Februar 2010 um 23:59
Kommt noch der Spiegel zum letzten Bundesligaspieltag? Oder fällt der diese Woche aus?
Donnerstag, 18. Februar 2010 um 13:26
Vielleicht bemüht man sich beim DFB auch nur dem Anschein vorzubeugen, man verurteile nicht die vorgebliche sexuelle Belästigung sondern die Homosexualität im Allgemeinen…
Donnerstag, 18. Februar 2010 um 14:39
Die Kommunikation des DFB ist gewohnt katastrophal. Es wird nichts Konkretes berichtet, aber es wird jemand konkret geschlachtet. Bestimmte Dinge gehören gewiß nicht in die Öffentlichkeit, aber dann muß der DFB in so einer Situation auch mal die Füße stillhalten.
Nun gut, wahrscheinlich ist Amerell schwul. Das ist vollkommen o.k. Wahrscheinlich ging er ein paar Jungs an die Wäsche. Wenn’s Nötigung war, muß er dafür zur Verantwortung gezogen werden. Alles andere geht keinen was an. Offensichtlich sind Amerell und dessen RA die Vorwürfe im Wortlaut nicht bekannt (siehe Interview auf Sport1). Und gleichzeitig gibt der DFB Stellungnahmen ab, die Amerell diskreditieren. Das ist unglaublich. Ich würde Amerell auch nicht unbesehen freisprechen. Möglicherweise sind die Beschwerden der jungen SR berechtigt. Aber das was jetzt läuft, hätte ich so nicht für möglich gehalten. Ein weiteres trauriges Kapitel.
Donnerstag, 18. Februar 2010 um 17:35
Ich möchte widersprechen. Wenn man innerhalb einer hierarchisch strukturierten Organisation intime Beziehungen oder reine sexuelle Kontakte nach unten eingeht, dann geht dass auch bei augenscheinlicher Freiwilligkeit andere was an. Ob das ein Verein, eine Schule, ein Unternehmen oder sonsteine Organisation ist, ist dabei irrelevant. Da in solchen Strukturen ein gewisses Abhängigenverhältnis grundsätzlich gegeben ist, ist dies nicht umsonst in vielen Strukturen gleich ganz untersagt oder mühsam mit unendlichen Regeln versehen.
Egal ob Hetero oder Homo.
Ich bin grundsätzlich dafür, dass man intime Kontakte zu Personen unterlässt, für die man entweder in irgendeiner Weise verantwortlich weisungsbefugt ist.
Donnerstag, 18. Februar 2010 um 17:56
Ich verstehe Ihren Einwand und für Minderjährige ist er auch nach meinem Verständnis voll zutreffend. Aber bei vorliegender Weisungsbefugnis ein grundsätzliches Verbot hierarchieüberschreitender intimer Kontakte in allen Institutuionen einzufordern, finde ich überzogen und – bei allem Respekt – auch etwas realitätsfern.
Donnerstag, 18. Februar 2010 um 19:41
Warum lässt der DFB Amerell keine Akten einsehen?
Befürchtet man, dass Amerell die entsprechenden namentlich genannten Zeugen/Opfer absichtlich schlecht bewertet?
Oder auch, dass Amerell Freunde haben könnte, die ähnliches täten, wenn Amerell keine Spieler mehr bewerten darf (was sehr wahrscheinlich ist 😉 ?
Oder haben sie Angst, dass Amerell auch diese Namen veröffentlichen könnte, so wie er es mit der SMS von Kempter getan hat?
Was auch immer dahinter steht: Es ist das peinlichste, was der DFB in meiner Erinnerung gebracht hat. Sogar noch vor dem 20-Stunden-Bundestrainer Breitner.
Mittwoch, 24. Februar 2010 um 10:02
Der Fall Amarell zieht schon der weite und merkwürdige Kreise. Mitttlerweile stehen ja Aussage gegen Aussage, sowohl von Amarell als auch von Kemptner. Was man aus den Interviews von DFB Seiten hört scheint für sie der Fall Amarell als beendet, da er von seinen Ämter zurückgetreten ist. Dies kann könnte man ihn aber auch als Schuldgeständnis auslegen, weil wenn an den ganzen behauptungen nix dran wäre hätte er doch keinen befürchtungen gehabt und könnte seine Ämter weiter ausüben.
Was Roth angeht wird glaub ich nix passieren da er ja gegen Ende des Jahres eh zurücktreten wollte, wird der DFB dort keine weiteren Nachforschung machen.
Nur für Kemptner wird es ganz schwer werden, da ich mir in der heutigen Zeit nicht vorstellen kann wie er nochmal in Ruhe ein Spiel pfeiffen kann und mit dieser Sache konfrontiert zu werden.
Freitag, 10. Juni 2011 um 13:54
Vielleicht bemüht man sich beim DFB auch nur dem Anschein vorzubeugen, man verurteile nicht die vorgebliche sexuelle Belästigung sondern die Homosexualität im Allgemeinen…