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Champions League

Inter seziert die Bayern

Jan-Carl Ronnecker | Dienstag, 25. Mai 2010 9 Kommentare

Bayern München verliert das Finale der Champions League gegen Inter Mailand 0:2. Die Bayern können den zweifachen Torschützen Milito nicht kontrollieren und vorne fehlt eine Idee

Sebastian Winter (SpOn) erinnert sich noch einmal der Erwartungen vor dem Finale: „Das Finale der Landesmeister war als Duell der Systeme angekündigt worden. Mailands Defensivkunst und die Wucht schneller Konter auf der einen Seite, Münchens Ballbesitzschule und ihr mächtiger Offensivdrang auf der anderen Seite.“ Zumindest in einem Punkt sieht er dies nicht bestätigt: „Dass Mailand das Champions-League-Finale am Ende in einer beeindruckend dominanten Art und Weise gewann, lag jedenfalls nicht daran, dass sie destruktiv spielte […]. Der Erfolg basierte vielmehr auf einer taktischen Meisterleistung: Die Italiener ließen das Spiel der Bayern durch gezieltes Forechecking und eine hervorragende Deckung vor dem eigenen Tor nicht zur Geltung kommen, zugleich waren ihr Konterspiel und Milito, der zweifache Torschütze, entscheidend für den Erfolg.“

Dass der Erfolg der Italiener verdient war, stellt auch Helmut Schümann im Tagesspiegel nicht infrage, die Bayern dürften dennoch erhobenen Hauptes aus diesem Spiel gehen: „Nach Anpfiff und vor allem nach Abpfiff mussten die Münchner dann einsehen, dass es gegen diesen Gegner mit nicht ganz so starken Leistung wie zuletzt und der allzu starken Anhängigkeit von den Fähigkeiten ihre Arjen Robben nicht reicht. Inter Mailand ist zu recht der Champion Europas in dieser Saison. Und der FC Bayern München darf zu recht ein stolzer Verlierer sein. Vorzuwerfen lassen müssen sich die Münchner nichts, und sie brauchen auch keinen Fußballgott zu beschreien, der ihnen nicht hold gewesen sei. Inter war an diesem warmen Abend von Madrid nur besser. So einfach ist das.“

Robben fehlt die Unterstützung

Der Garant der Bayern für offensive Aktionen zum Zungeschnalzen wird in diesem Finale früh in die Mangel genommen. Sven Goldmann (Tagesspiegel) zählt mit: „Jeder der zunächst spärlichen Münchner Angriffe läuft über Robben, und es kommt ihm dabei zugute, dass Inter keineswegs so defensiv beginnt, wie es viele vorausgesehen hatten. Die Interisti wehren sich auf ihre Art. Schon nach ein paar Minuten lässt Samuel den Münchner Quälgeist zum ersten Mal über das Bein springen. Nach einer guten Viertelstunde haben sich schon vier Fouls gegen Robben angesammelt, und es wäre wohl allzu naiv, darin kein System zu sehen.“

Johannes Aumüller (SZ) listet auf, wer Robben bei Ballbesitz umgehend auf den Füßen stand: „Neben Linksverteidiger Cristian Chivu befand sich auch Pandev stets in der Nähe des Niederländers, und wenn die Not besonders groß schien, eilte auch noch Esteban Cambiasso herbei. Einmal kam es tatsächlich vor, dass während eines FCB-Angriffs fünf Inter-Spieler näher an Robben standen als der nächste Münchner. Dass sich der Niederländer überhaupt die eine oder andere Torsituation erspielte, muss ihm hoch angerechnet werden.“

Dass Inter Mailand es sich leisten konnte, den niederländischen Flügelflitzer derart massiert zu beackern, mag auch an der Sperre für seinen Konterpart gelegen haben. Boris Herrmann (Berliner Zeitung) schreibt dazu: „Man kann nun trefflich darüber streiten, ob auch das Spiel am Samstag in Madrid ganz anders gelaufen wäre, wenn Franck Ribéry nicht aufgrund seiner Rotsperre gefehlt hätte. Die Münchner haben im Bernabéu ein 4-2-3-1-System in Schieflage zelebriert. […] Inter hat gut verteidigt, aber Inter hatte auch leichtes Spiel. Robben hatte in Chivu und Pandev zwei nominelle Gegenspieler und drei weitere je nach Bedarfslage. Ein Gegengewicht auf der linken Seite, wie es Ribéry gewesen wäre, hätte die Lage für den italienischen Klub ungemein verkompliziert.“

Überfalltaktik mit Snejider und Milito

Mit der taktischen Ausrichtung der siegreichen Mailänder beschäftigt sich Jörg Hanau (FR): „José Mourinho hatte seinem Team eine maßgeschneiderte Finaltaktik verpasst, in der Spielmacher Wesley Sneijder die zentrale Rolle spielte. Der Holländer setzte die entscheidenden Akzente und den zweifachen Torschützen Diego Milito mehrfach exzellent in Szene. Von wegen, Inter könne nur verteidigen. Es war schön anzusehen, wie schnell die Mailänder von Abwehr auf Angriff umschalteten. Es ist kein Zufall, dass Mailand auf dem Weg ins Finale Barcelona und Chelsea aus dem Rennen warf.“

Auch der englische Fussballtaktik-Blog ZonalMarking streicht die Schlüsselrolle von Snejider heraus:The most notable feature of the game was how close Wesley Sneijder played to Diego Milito. Some have occasionally questioned why Inter’s shape is termed as a 4-2-3-1 rather than a 4-3-3 (the difference can often be subtle) but tonight showed why, because Sneijder spent the night ahead of the two wide players. Indeed, the shape often looked more like a 4-4-1-1, because whilst Pandev and Eto’o had strict defensive jobs, Sneijder had something approaching a free role.”

Abgesehen von Milito und Snejider seien jedoch selbst solche Spieler fast ausschließlich in die Defensive eingebunden gewesen, die vor kurzem selbst noch die Torjägerlisten der Champions League angeführt haben, stellt Johannes Aumüller (SZ) fest: „Selbst Samuel Eto‘o und Goran Pandev, formal die Außenstürmer, gingen stets weit mit zurück. Mit Kraft und Wucht, mit vielen kleinen Fouls und notfalls auch mit rausgedroschenen langen Bällen die Münchner vom Tor weghalten – und vorne auf schnelle Konter und die Fähigkeiten von Sneijder und Milito vertrauen, das war Inters Plan. Dieser war ebenso simpel auszudenken wie schwer umzusetzen. ‚Das war fußballtechnisch gesehen eine Provokation‘, gestand Mourinho nach dem Spiel, aber es war eine erfolgreiche Provokation.“

Bayerns Innenverteidigung überfordert

Helmut Schümann (Tagesspiegel) setzt bei der Betrachtung der zentralen Hintermannschaft der Münchner den Bauhelm auf: „Achtung, Einsturzgefahr! steht über der einstigen Bastion Innenverteidigung des FC Bayern. Martin Demichelis, mit 30 Jahren ohnehin schon dem neuen Adoleszenz-Programm des FC Bayern entwachsen, leitete mit einem zaghaften und verlorenen Luftkampf gegen Diego Milito und anschließender Gewährung der größtmöglichen Freizügigkeit für diesen Milito die Niederlage ein. Und Daniel van Buyten, 32, vollendete sie, als er sich auch mit Milito auf ein Tänzchen einließ und dabei tapsig wirkte wie ein in die Jahre gekommener Bär.“

Mit dem Belgier geht auch Marin Henkel in der Berliner Zeitung hart ins Gericht: „Allein an van Buyten war im Finale zu sehen, dass eine Ära mit dem Belgier in der Abwehr in den kommenden Jahren immer zwei Gegentore weit entfernt sein könnte: Beide Treffer von Inter entsprangen Pässen in sein Revier. Trotzdem durfte der Belgier im Februar um zwei Jahre verlängern. Sollten die Bayern damit bezweckt haben, van Buytens Spusi Franck Ribéry den Verbleib zu erleichtern, dann hat auch hier ein Trick funktioniert. Sollten sie aber mit van Buyten die Zukunft planen, dann wäre es ratsam, die Ziele etwas bescheidener zu formulieren.“

Jörg Hanau (FR) schaut in die Innenverteidigung der Mailänder und findet dort einen alten Bekannten, den die Bayern gut hätten gebrauchen können: „Es war schlicht ein Fehler, Lucio vor der Saison wegzuschicken. Eine Erkenntnis, die schon während der Saison reifte. Das Finale von Madrid war nur ein letzter Fingerzeig. Der Kapitän der brasilianischen Nationalmannschaft war in einem starken Inter-Kollektiv einer der Besten. Zweikampfstark, fehlerfrei.

Mourinho wundert sich noch heute, weshalb die Bayern ausgerechnet ihn haben ziehen lassen. Als er vor einem Jahr auf seiner Suche nach einem Innenverteidiger bei Bayern anklopfte, traute er sich gar nicht um Lucio zu werben. Er erkundigte sich nach van Buyten oder Breno. Unverkäuflich, lautete die Antwort. Aber Lucio, den könnte er gerne haben. Mourinho staunte und zahlte: rund acht Millionen Euro. Ein Schnäppchen.“

Versprechen für die Zukunft

Obwohl der Münchner Parforceritt der letzten Monate in diesem Finale jäh gestoppt wurde, ist die Zuversicht groß, dass diese Bayern-Mannschaft ihren Zenit noch nicht erreicht haben muss. Thomas Becker (taz) verweist auf die Bankettrede des Vorstandsvorsitzenden: „Sichtlich beeindruckt versprach Karl-Heinz Rummenigge: ‚Wir werden alles tun, dass die Mannschaft besser wird und wir in den nächsten Jahren wieder in einem Finale stehen und dann den Pokal auch mitbringen.‘ Schon beim Bankett im Madrider Mannschaftshotel hatte Rummenigge an die Spieler appelliert: ‚Lasst es uns so machen wie 1999‘, erinnerte der Vorstandschef an das tränenreiche Finale gegen Manchester, dem zwei Jahre später der Triumph gegen Valencia folgte. […] 2011 steht das Champions-League-Endspiel in London an, 2012 in der heimischen Allianz Arena. ‚Ich wünsche uns, dass wir dann noch mal im Finale stehen – und es dann packen‘, meinte Rummenigge.“

Ludger Schulze (SZ) blickt noch weiter zurück, und schaut auf die Entstehungsgeschichte der großen Bayern-Mannschaft der 70er. Auch „sie wurden erst durch einen geradezu fürchterlichen Rückschlag zu den Siegertypen, als die sie nun in Erinnerung sind. Ähnlich wie ihre Nachfolger schwebten sie 1973 auf Wolken, nichts schien sie aufhalten zu können, als sie 1973 in Amsterdam von Ajax bereits im Viertelfinale mit 0:4 aus dem Stadion geschossen wurden.

An dieser Niederlage kauten sie lange, aber sie weckte die Kräfte, die notwendig waren, um eine Ära zu begründen. Van Gaals Bayern erinnern an jene von Udo Lattek und Dettmar Cramer damals. Und sie haben genug Zeit, um das Beispiel der Altvorderen nachzuleben. Das verlorene Finale Madrid ist vielleicht nur eine unglückliche Zwischenstation gewesen.“

Kommentare

9 Kommentare zu “Inter seziert die Bayern”

  1. Stevie
    Dienstag, 25. Mai 2010 um 16:55

    Das Spiel war genauso einseitig wie das Pokalfinale. Nach dem 1:0 hatte man nicht mehr das Gefühl, dass Bayern den Platz als Sieger verlassen würde.

  2. Mel
    Dienstag, 25. Mai 2010 um 20:55

    Das sehe ich jetzt einmal ein bisschen anders. Wenn nämlich Thomas Müller seine Großchance direkt nach der Halbzeit genutzt hätte, wäre das Spiel wieder sehr offen gewesen. Völlig chancenlos war der FC Bayern nicht unbedingt. Einseitig war die Partie meiner Meinung nach nicht!

  3. Peter Glock
    Mittwoch, 26. Mai 2010 um 10:44

    Das Spiel hat gezeigt, dass die Bayern taktisch nicht variabel genug sind. Nach einem Jahr hervorragender Entwicklung (oder doch nur Robbenismus?) aber wäre das auch zuviel verlangt.
    Mit taktischer Variablität meine ich solche Dinge wie: Wenn Robben nicht funzt, dann über Flanken und ähnliches zu arbeiten. Versucht hat das van Gaal mit der Einwechslung von Klose und Gomez, aber bei der Einwechslung des zweiten wirkte es doch sehr nach Verzweifelung denn Zuversicht.
    Aber ein Versprechen auf die Zukunft ist diese Mannschaft allemal.
    Wenn nun noch Kroos auch in München einschlagen und weiterhin Kontinuität beim FC Bayern herrschen sollte, dann dürften europaweit die Hersteller von Sichtgläsern Rekordumsätze verbuchen.

  4. Manfred
    Mittwoch, 26. Mai 2010 um 19:55

    Zum Glück hat Inter gewonnen. Der Gedanke daran, Van Hoenenigge das Triple feiern zu sehen (und erst die Spätfolgen!) – igitt. Anbiederlich geschleimt und zurecht verloren – besser ist das.

  5. Sebastian
    Mittwoch, 26. Mai 2010 um 23:51

    Hätte die Spätfolgen in Form eines weiteren internationalen Platzes gern genommen als Fan einer Mittelmaß-Mannschaft. Aber so kann man halt kein Finale gewinnen. Auch nicht gegen irendein anderes Spitzenteam. Da bräuchte man schon Außenverteidiger, die flanken können…

  6. Matthias
    Donnerstag, 27. Mai 2010 um 11:00

    @Sebastian: Echt? Glaubst Du, es liegt an den Außenverteidigern? Klar, Badstuber war im Spiel nach vorne ein Totalausfall. Ich würde aber trotzdem eher Peter Glock zustimmen. Die Bayern haben zwar viele Stürmer, aber keinen echten kopfballstarken Stoßstürmer (nebenbei: fände ich ebenso wichtig wie einen neuen Innen- und einen neuen Außenverteidiger).

    Das Spiel ist aber sowieso ganz anders angelegt mit den beiden „umgekehrten“ offensiven Außenspielern Rib&Rob, die jeweils auf der „falschen“ Seite spielen, um selber torgefährlich nach innen ziehen zu können – und eben nicht zu flanken. Dass Ribery fehlte, machte es Inter natürlich auch einfacher – man konnte sich auf die linke Verteidigungsseite fokussieren…

    In einem anderen Blog (dem auch oben verlinkten, hervorragenden zonalmarking.net) wurde darauf hingewiesen, dass Barca im HF-Rückspiel erst richtige Chancen bekam, als in der Schlussphase mit Puyol ein Abwehrspieler mit nach vorne kam und somit die Ordnung bei Inter zumindest etwas durcheinander brachte. Hätte man mit van Buyten ebenfalls probieren können – viel mehr Schaden als hinten hätte er mit seiner Hüftsteifheit sicher nicht angerichtet ;-)).

  7. Ulfert
    Donnerstag, 27. Mai 2010 um 20:08

    @Stevie+Mel: Ich habe beim Zugucken auch ein sehr starkes deja-vu erlebt zum Pokalfinale. Relativ ausgeglichener Spielverlauf mit wenigen Chancen auf beiden Seiten, ein 1:0 nach ner halben Stunde, Drangphase zu Beginn der zweiten Halbzeit und ein entscheidendes 2:0.

    Allerdings hat Inter danach nicht noch 2 Tore geschossen – für diese taktische Meisterleistung kann man sich vor Van Gaal schon mal verneigen 😉

  8. Peter Glock
    Samstag, 29. Mai 2010 um 01:44

    @Ulfert:
    IM Gegensatz zu Werder hat Bayern auch eine funktionierende Defensive…

    Und zu den hüftsteifen Innenverteidigern:
    Wie hätte Lucio allein gegen Milito ausgesehen?
    Genauso.

  9. Ulfert
    Sonntag, 30. Mai 2010 um 22:12

    Tjaja, bei den einen ist die abwehr schlecht, bei den anderen die stürmer top – wie man sich das halt so hinredet.

    ich denke, es waren einfach zweimal duelle mit einer mannschaft mit klar besserer tagesform. An anderen tagen sieht das anders aus, bei beiden duellen.

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