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Ball und Buchstabe

Die Furcht ist ein Regenbogen

Jan Vogel | Montag, 7. Juni 2010 Kommentare deaktiviert für Die Furcht ist ein Regenbogen

Die Presse beschäftigt sich kurz vor dem Eröffnungsspiel mit dessen Austragungsort und der sportlichen Geschichte des Landes. Sorgen bereiten die Ausfälle der Stars

Arne Perras (SZ) erzählt Anekdoten aus Johannesburg, der immer noch gespaltenen, ehemaligen Goldgräberstadt, in der am Freitag das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft stattfindet. Das Thema Kriminalität vereine hier in trauriger Weise die noch immer gespaltene Bevölkerung, Perras findet aber dennoch tröstende Worte: „Die Furcht ist ein Regenbogen. Aber der ist in der Bildsprache Südafrikas schon für Höheres reserviert. Symbol der multiethnischen Nation, als die sich Südafrika seit Ende der Apartheid neu erfinden möchte. Das Verbrechen trübt zwar das Bild. Aber die Metropole arbeitet tapfer weiter. Sie lässt sich nicht entmutigen. Es wäre übertrieben, von einer fröhlichen, lockeren Stadt zu sprechen. Aber Depression sieht anders aus. Zu groß, zu weit, zu rastlos ist sie, als dass die Gangster Johannesburg ganz überwältigen könnten. Man erinnert sich noch an die Worte eines Freundes: ‚In Johannesburg wird Geld verdient, deshalb sind wir doch alle hier. Das hält die Stadt zusammen, sonst nichts.’ Wenn er recht haben sollte, dann ist Johannesburg im Wesentlichen das geblieben, was es auch in seinen Anfängen vor 120 Jahren schon war: Ein Ort der Goldgräber. Alle auf der Suche nach dem großen Geld und Glück. In jedem Fall ist Johannesburg Afrikas wichtigste Wirtschaftsmetropole, ein gewaltiges Kraftwerk, das die grassierende Kriminalität bremsen, aber nicht stoppen kann.“

Evi Simeoni (FAZ) geht auf eine sportliche Spurensuche in der Geschichte Südafrikas und findet weiße und schwarze Sportarten, am Ende scheinbar vereint durch den Weltmeistertitel im Rugby 1995, und wagt eine Prognose für den Stellenwert der Weltmeisterschaft: „Mandela hatte es geschafft, eine unüberwindlich scheinende Grenze zu überwinden. In diesem magischen Augenblick, fünf Jahre nach dem Ende der Apartheid, ein Jahr nach Mandelas Wahl zum Präsidenten, fügten sich die Gegensätze dieses zerrissenen Landes zu einer Einheit zusammen. Im Sport hatte sich jahrzehntelang die unmenschliche Rassentrennung manifestiert. Der Sport brachte nun das Land zusammen. (…) Vielleicht wird sich der greise ‚Madiba’, inzwischen 91 Jahre alt, das Eröffnungsspiel der WM am 11. Juni im Stadion ansehen. Auch beim Finale, heißt es, sei er eventuell dabei. Ein Trikot der ‚Bafana Bafana’ hat er schon. Doch mehr als eine sentimentale Erinnerung an das kathartische Rugby-Finale 1995 ist nicht zu erwarten. Nicht nur, weil Südafrikas Elf kaum eine Chance hat, das Endspiel zu erreichen. Die Geschichte lässt sich nicht einfach wiederholen. Und die Fußball-WM ist in erster Linie ein Geschäft.“

PR-Maschine zur Problemlösung

Jens Weinreich (dradio) beäugt kritisch dieses wichtige Geschäft und speziell das PR-Treiben kurz vor der Eröffnung: „Nahezu stündlich verbreitet die FIFA derzeit Jubelmeldungen. Die zwei letzten vom Sonnabendnachmittag: Gemäß einer Umfrage sind rund 90 Prozent der Südafrikaner stolz und glücklich über diese WM und erhoffen sich nachhaltige Wirkungen. Außerdem trage die WM gemäß FIFA und Organisationskomitee auch zur wirksamen AIDS-Bekämpfung bei, schließlich werden Millionen Kondome verteilt. So geht das in einem fort. Wann immer ein Problem publik wird, setzt man die PR-Maschinerie in Gang. Kurz zuvor hatten zehn Gesundheits-Organisationen die mangelnde Kooperation von FIFA und OK in der AIDS-Bekämpfung kritisiert. (…) FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke verkündete, 97 Prozent der WM-Tickets seien verkauft. Man erwarte volle Stadien wie vor vier Jahren in Deutschland. Zuletzt hatten FIFA und Organisatoren wegen der schleppenden Nachfrage hunderttausende Tickets verramscht. Ohne diese Schleuderpreise hätten sich viele Südafrikaner die Karten auch nicht leisten können.“

Das Hamsterrad dreht sich nicht langsamer

Claudio Catuogno (SZ) sieht dunkle Wolken aufziehen über der Weltmeisterschaft, da eine Gallionsfigur nach der anderen ausfalle: „David Beckham, Rio Ferdinand, Michael Essien, Didier Drogba, John Obi Mikel, Michael Ballack, Andrea Pirlo, nun womöglich Robben: Inzwischen muss man in Südafrika fast die Frage stellen, wer von den versprochenen Weltstars überhaupt dabei sein wird, wenn der WM-Zirkus ab Freitag den schwarzen Kontinent beehrt. (…) Dass der Frühsommer eine gute Zeit ist für Ermüdungsbrüche, Knorpelschäden und Faserrisse aller Art, ist keine neue Erkenntnis, und prominente Opfer gehören seit jeher ebenso zum Geschäft wie die fruchtlose Fachdebatte zum Thema Überbelastung, die auf solche Verletzungen stets folgt. Das Hamsterrad aus nationalen Ligen, Pokalwettbewerben, Champions- und Europa-League-Spielen sowie den Qualifikationsrunden der Nationalteams dreht sich nicht langsamer, weil man seine Risiken kennt. Neu ist, dass sich das sogenannte Verletzungspech seine Opfer diesmal nicht mehr oder weniger wahllos auszusuchen scheint. Um in Michael Ballack  und Rio Ferdinand die Kapitäne der deutschen und englischen Nationalmannschaft auszuschalten, musste die Wahrscheinlichkeitsrechnung schon mal beide Augen zudrücken; und zum Dank hat sich das Verletzungspech dann in Ghana, Nigeria und der Elfenbeinküste zielgerichtet an jene Spieler herangeschlichen, die für ihr jeweiliges Land mehr sein sollten, als die sportlichen Anführer: Essien, Makel und Drogba waren als Identifikationsfiguren für den gesamten afrikanischen Fußball vorgesehen, und zumindest in dieser Hinsicht ist die WM schon entkernt, bevor sie überhaupt begonnen hat.“

Auch Boris Herrmann (Berliner Zeitung) versucht, die Bedeutung eines möglichen Ausfalls von Didier Drogba für das Turnier einzuordnen. Dieser „ist eben nicht nur der gefährlichste Angreifer der Elfenbeinküste, er ist das Herz der gesamten WM. Er verkörpert und vereint alle Sehnsüchte, die der afrikanische Kontinent auf seine erste Großveranstaltung dieser Art projiziert. Wenn Drogba tatsächlich wegen dieses kleinen Schubsers im Testspiel gegen Japan absagen müsste, dann stünde er auf der Liste der tragischen WM-Figuren sogar noch vor Alfredo Di Stefano, der in seiner lange und glorreichen Fußballkarriere für Argentinien, Kolumbien und Spanien im Einsatz war – und mit jeder seiner Nationalmannschaften einmal die WM verpasste.“

,,Will he be ready?”

Noch ist die brasilianische Auswahl von größeren Verletzungssorgen verschont geblieben. Dennoch sorge man sich um Schlüsselspieler Kaká, berichtet Fernando Duarte vom englischen Guardian: ,,‘Will he be ready?‘ has been heard frequently in Brazil in recent months, not only because of the nagging injuries that kept him out of the Real side for the last part of the season, but also because of the psychological effects of the barrage of criticism directed at the player since his £56m move from Milan. Suddenly, Brazilians fear for the state of mind of a player who, in the current squad, is seen as the man who has the quality to steer the country towards a sixth world title. (…) Yes, there are three other players who were part of the Brazilian squad that lifted the trophy in Yokohama eight years ago and spent much more time on the pitch than the 19 minutes played by Kaká as a substitute against Costa Rica in the group stages. Nowadays, however, Lúcio, Gilberto Silva and, above all, Kléberson, are names that follow his in a series of pecking orders. None of them has the same responsibilities. None has the nation holding its breath every time doubtful information about their match fitness comes up.”

Der erstaunlichste Aufstieg dieses Fußball-Sommers

In der deutschen Elf gibt es einen gesunden Hoffnungsträger, den in jüngster Vergangenheit kaum jemand für einen solchen gehalten hätte, wie Michael Horeni (FAZ) weiß: „Der Aufstieg von Absteiger Friedrich, der bei der WM vor vier Jahren selbst im eigenen Land unter den Fans keine Lobby besaß und unter der fehlenden Anerkennung litt, ist nicht weniger als der erstaunlichste Aufstieg dieses Fußball-Sommers. Der jahrelange Leisetreter von Hertha BSC Berlin, der plötzlich im DFB-Trikot ganz laut auftritt, warf sich selbst in dieser Saison noch vor, zu verbindlich den Niedergang seines Klubs begleitet zu haben. (…) Zusammen mit Miroslav Klose ist Friedrich im nach 1934 jüngsten WM-Kader der deutschen Fußballgeschichte der letzte Angehörige aus den siebziger Jahren. Die Alterspyramide, die in Deutschland ansonsten schon fast auf dem Kopf steht, hat in der Nationalmannschaft noch ihre klassische Form. Jugend ist überreich vorhanden, Alte sind rar – der Wert von Arne Friedrich steigt damit ohne sein Zutun. Nach den unerwarteten Ausfällen neben dem bewussten Verzicht auf alterserfahrene Kräfte wie Ballack, Frings, Kuranyi, Rolfes, Hitzlsperger oder Westermann ist Erfahrung zu einem besonders kostbaren Gut geworden – das ist der spezielle personelle Faktor bei dieser Weltmeisterschaft. Friedrich hat diese Lücke umgehend in den beiden Trainingslagern ausgefüllt.“

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