Ball und Buchstabe
Chaos vor dem Stadion, Euphorie auf den Rängen
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| Samstag, 12. Juni 2010Das Eröffnungsspiel in Johannesburg war eine einzige bunte Party, vor den Toren des Stadions herrschte hingegen das reine Chaos
Der große Traum vom Auftaktsieg der Gastgeber prallte in der 90. Minute an den Pfosten, schreibt Christian Zaschke (SZ). Doch durch Mphelas verpatzte Großchance blieb es in Johannesburg beim Unentschieden. „Für die Südafrikaner heißt das: Die Party geht jetzt erst richtig los, die Hoffnung lebt. Groß war die Euphorie gewesen in den vergangenen Tagen, und ganz heimlich waren ebenso groß die Befürchtungen, das Team könne auf diesem internationalen Niveau nicht mithalten. Jetzt ahnen die Gegner und wissen die Fans: Mit dieser Unterstützung ist das limitierte Team Südafrikas zu vielem fähig.“ Die Euphorie der Fans habe die Bafana Bafana angesteckt. „Wie soll man sich vorbereiten auf dieses Gedröhne von Zehntausenden Vuvuzelas, das einem ganz allmählich das Großhirn weichwummert, wie soll man sich vorbereiten auf 85000 Menschen, die von der Hoffnung beseelt werden, dass ihre Jungs das Unmögliche wahrmachen. Es ist eine Sache, in einem beliebigen Stadion voller lauter Fans ein Auswärtsspiel bestreiten zu müssen. Es ist eine vollkommen andere Sache, im Eröffnungsspiel der ersten WM in Afrika gegen den Gastgeber antreten zu müssen, der von Menschen leidenschaftlich unterstützt wird, die in dieses Turnier, in dieses Spiel, in diese Milliardenveranstaltung so viel mehr hineinlesen als Fußball. Johannesburgs Soccer City bebte vor Erwartung, und immer, jede Minute und jede Sekunde, fand diese Erwartung Ausdruck im Brummwummern der Vuvuzelas.“
Daniel Theweleit (Spiegel Online) hingegen outet sich als Gegner des Lärmmachers: „Das Phänomen, dass eine Mannschaft besser wird, dass das Publikum mitgeht und so in einer Art Ping-Pong Effekt dramaturgische Wendepunkte entstehen, das lässt die Vuvuzela nicht zu.“ Obwohl die Tröten auf vielen Fanmeilen bereits verbannt wurden, müssen sich die Zuschauer wohl bis zum Finale an den monotonen Bienenschwarm gewöhnen. „Jede Kritik an der Trompete wird am Kap sofort als europäischer Angriff auf die eigene Fußball-Kultur empfunden. Im Extremfall gelten Gegner des Geräts als verkappte Rassisten, die kein Verständnis für Afrikas kulturelle Eigenart hätten. Dabei ist die Vuvuzela, die von den Deutschen scherzhaft als „Uwe Seelers“ bezeichnet wird, keineswegs ein Instrument mit langer Tradition. Weder in Form noch Lautstärke hat die Vuvuzela viel mit dem traditionellen Kudu-Horn zu tun, es ist daher absurd, eine vor ein paar Jahren aus Amerika importierte und erst seit kurzem industriell hergestellte Plastiktröte zum afrikanischen Kulturgut zu verklären.“
André Görke kritisiert im Tagesspiegel die Organisation der Weltmeisterschaft: „Auf den Straßen von Johannesburg gab es ein Verkehrschaos, das in diesem Ausmaß noch nicht einmal die stressresistenten Taxi-Fahrer von Soweto erlebt hatten. Die einzige Autobahn raus in die Vorstadt – wo „Soccer City“ neben eine staubige Schutthalde gebaut wurde – war überlastet, mehr als 20 000 Fans kamen zu spät.“ Zum Glück seien viele Plätze nur bei der Eröffnungsfeier leer geblieben. „Von den Gastgebern hatten viele der Zuschauer doch etwas mehr Mut erwartet. Die Mannschaft bereitet sich seit März auf die WM in ihrem Land vor, eingespielt sollte sie sowieso sein: Gegen Mexiko liefen gleich acht Fußballer auf, die sich fast jedes Wochenende in der südafrikanischen Liga treffen. Doch erst nach fast 25 Minuten wurde der Ball das erste Mal aus dem Spiel heraus auf das Tor Mexikos geschossen.“ Nach dem Führungstreffer verstummten die Vuvuzelas erst, als Rafael Marquez zum Ausgleich traf – „aber nur kurz. Sie wurden lauter, als Stürmer Katlego Mphela in letzter Minute frei vor Mexikos Tor auftauchte – und nur den Pfosten traf. Der Partystimmung nach dem Spiel tat das jedoch keinen Abbruch.“