Ball und Buchstabe
Schusssichere Westen und nicht gewollte Bilder
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| Sonntag, 13. Juni 2010Während der WM wird das Thema Sicherheit rund um das Turnier ganz groß geschrieben, während nicht allen Afrikanern zum Feiern zumute ist
Am Beispiel des holländischen Quartiers verdeutlicht Tim Jürgens (11 Freunde) das immense Sicherheitsaufkommen in Südafrika: „Zwei Polizisten versperren einen Teil der Banket Street im Stadtteil Hillbrow. Vor einem Eisentor steht ein schwarzer Cop mit schusssicherer Weste und Stahlhelm, daneben eine düster dreinblickende Schwadron eines privaten Sicherheitsdienstes. Die meisten der Männer haben kahl rasierte Köpfe, einer trägt eine Wollmütze mit der Aufschrift ‚Bad Boys Hillbrow’, die anderen Poloshirts mit dem Signet ‚Royal Dutch Security’. Zwei gepanzerte Polizeifahrzeuge biegen um die Ecke. Es folgt der Bus der niederländischen Mannschaft. Die Security zerrt sofort nach der Durchfahrt das Eisentor wieder zu. Die PR-Chefin des Oranje-Teams sagt schroff: ‚Der Bolzplatz ist schon voll, für sie ist wirklich kein Platz mehr’. Der Andrang hat seinen Grund.“ Mit Hilfe einer durch Johann Cruyff ins Leben gerufenen Stiftung „übergibt die niederländische Mannschaft einen Bolzplatz inklusive Umkleidekabine.“ Dieser soll künftig Jugendliche mit sozialen Fußball-Projekten unterstützen: „Doch viele von denen, die demnächst auf dem neu eingeweihten Platz dem Ball nachjagen werden, wissen nicht so recht, was sie von dem Umstand halten sollen. Sie warten ratlos vor den Toren. Und wogen sanft im rhythmischen Raunzen ihrer Vuvuzelas.“
Erschütternde Realität
Die FR beschäftigt sich mit einem 23-jährigen Flüchtling aus Simbabwe, der von dem viel gepriesenen WM-Aufschwung für die südafrikanische Bevölkerung nicht wirklich etwas mitbekommt: „Soldaten sind gekommen und haben sein Elternhaus zerstört und seine Eltern ermordet, erzählt er am Abend, als Sepp Blatter und Jakob Zuma sich auf einer riesigen Bühne in Soweto zum WM-Auftakt feiern lassen und das ganze Land am Fernseher zuschaut. Themba sieht nicht hin. Er hat sich dann auf den Weg gemacht nach Südafrika. Er hat viel Geld bezahlt, um über die Grenze zu kommen, umgerechnet 500 Euro. Irgendwie hat er sich durchgeschlagen bis nach Johannesburg. Zu Fuß. Er hat dann einen Job gefunden, samstags und sonntags zwei Tage lang als Gärtner für zusammen 50 Rand, was kaum mehr ist als fünf Euro. Morgens steht er um vier Uhr auf, damit er um sieben bei der Arbeit ist. Während der WM arbeitet er auch abends. Er schläft dann in einem alten Steinhaus mit anderen Bediensteten auf dem Gelände. Es wäre viel zu gefährlich für ihn, nachts den Weg nach Hause zu versuchen. Flüchtlinge aus Simbabwe sind nicht beliebt bei den meisten Südafrikanern, sie nehmen ihnen die ohnehin raren Arbeitsplätze weg, weil sie billiger sind. Die WM für Afrika, glaubt Themba, wird Menschen wie ihm überhaupt nicht helfen.“
Nicht überall herrscht Frohsinn
Flurin Clalüna (NZZ) widmet sich ebenfalls denjenigen Bevölkerungsteilen, die so gar nicht in die glatten Bilderserien passen, die die Welt von Südafrika sehen soll: „Hillbrow soll der gefährlichste Stadtteil Afrikas sein. Dieses Viertel in Johannesburg ist arm und gewalttätig, ein Hochhaus-Slum, rund hundert Morde geschehen im Jahr. Aber es ist alles friedlich, auch als die Menschen wie geduldige Blinde auf die Leinwand starren und nur hoffen, dass sie bald sehen können, was sie nur hören. Und sie inszenieren sich mit einer Lust, die keine Scheu vor der Kamera kennt. Es gibt Städte, die riechen eigenartig, andere sind so schön, dass man nicht wegschauen kann. Johannesburg blökt. Und zwar immer, in allen Strassen, es ist in diesen Tagen ein Grundrauschen geworden. Auch wer vielleicht keine Schuhe hat, eine Vuvuzela, dieses Blasinstrument, hat jeder.“ Doch nicht überall herrsche diese Leidenschaft: „Eine Frau trägt schmutzige Kleidung, ihr Gesicht ist eingefallen. Auf einem Schild steht geschrieben, dass sie Hunger habe und nirgends wohnen könne. Der Fussball wird ihr Leben nicht verändern.“