Deutsche Elf
Kreative Maschinen oder nur schwache Gegner?
| Montag, 14. Juni 2010Die Presse ist nach dem 4:0-Auftakt Deutschlands gegen Australien vom kreativen Fußball der Nationalelf begeistert. Nur eine Frage bleibt offen: Wie leicht haben es die Australier den Deutschen gemacht?
Jan Christian Müller (FR) ist vom deutschen Auftaktsieg gegen Australien begeistert. „Milchbubis und mittleres Mannesalter – das sollte sich bei angenehmen Abendtemperaturen in der wärmsten WM-Stadt Durban als gesunde Mischung erweisen.“ Die starken Özil und Müller brachten die überforderten Australier immer wieder in Bedrängnis. Einzig die schwache Chancenverwertung des Bremer Mittelfeld-Asses habe das Spiel noch offen gehalten. „Özils Chancen waren auch Resultat einer geduldigen Spielweise, die phasenweise fast einschläfernd wirkte, jedoch regelmäßig von überraschenden Tempo- und Rhythmuswechseln abgelöst wurde, die die schwergängigen Australier immer wieder vor Probleme stellte.“ Bei all den Lobeshymnen blickt Müller jedoch auch auf die Schwächen der Nationalmannschaft. „Freilich bekamen die Deutschen auch mehrfach Probleme, wenn die Australier durch die Mitte kamen. Die Innenverteidigung mit Per Mertesacker und Arne Friedrich hat jedenfalls noch Raum nach oben, auch im Spiel nach vorn, wo der agile Lahm mehr starke Szenen rechts hatte als der sich vor allem auf die Defensive konzentrierende Holger Badstuber.“
Klaus Hoeltzenbein (SZ) ist von der deutschen Elf überzeugt, will den Sieg gegen schwache Australier jedoch nicht überbewerten. „Diese Mannschaft ist jung, aber nicht nur fit und damit turnierreif, sondern auch durch und durch clever komponiert. Zentrale Personalien wurden zum Start bestätigt: Es war richtig, dem Stürmer Klose seine Verdienste der Vergangenheit hoch anzurechnen, ihm die Chance zu geben, einen Weg ins Turnier zu finden – sein Kopfballtor war erster Dank. Es war richtig, mit Podolski zu arbeiten, was die Frage aufwirft, was der 1. FC Köln eine Saison lang mit ihm getrieben hat.“ Doch der Sieg sei im Endeffekt nur ein besserer Trainingserfolg.
Özil begeistert die Presse
„Ist eine deutsche Nationalmannschaft jemals spielerisch überzeugender in ein Turnier gestartet?“, fragt Stefan Osterhaus (NZZ). Nach anfänglichen Problemen hatte Deutschland das Spiel spätestens nach dem Führungstor von Podolski im Griff. „Die Deutschen zeigten nun fabelhaften Fußball, Chance um Chance spielten sie heraus. Das von Löw erdachte System mit nur einer einzigen nominellen Spitze verwandelte sich regelmäßig in ein 4:3:3 niederländischer Prägung, und gesellte sich Özil zu den Angreifern, verfügte die Mannschaft über vier Stürmer.“ Nach dem Platzverweis für Cahill und den Treffern durch Müller und Cacau habe Deutschland das Resultat nur noch verwaltet, „auch im Wissen darum, dass es gegen Serbien am Freitag in Port Elizabeth ein Match von hoher Brisanz zu bestreiten hat: Für Serbien ist nach der Auftaktniederlage gegen Ghana ein Sieg Pflicht. Den Deutschen winkt ihrerseits bei einem Erfolg der vorzeitige Einzug in den Achtelfinal.“
Michael Cockerill (Sydney Morning Herald) hat ebenfalls eine sehr einseitige Partie gesehen: „Eine deutsche Mannschaft demütigte eine australische Elf, die sich auf dem Weg nach unten befindet. Zwei Tore Vorsprung nach 25 Minuten, und das mit angezogener Handbremse. Es hatte den Anschein eines Trainingsspiels, nicht den einer WM-Partie. Zu schnell für die Socceroos, zu viel Bewegung, zu groß, zu stark, zu erfahren – einfach zu gut. (…) Unmöglich, die deutsche Qualität und die Energie ihres kreativen Spiels nicht zu bewundern.“
Jesús Alcaide (El Mundo) geht noch weiter und sieht Mesut Özil als Sinnbild einer neuen deutschen Mannschaft, die an Heldentaten vergangener Tage anknknüpfen könnte: „Er ist nicht blond, er hat keine blauen Augen und er ist kein Muskelberg. Aber er ist das Symbol eines neuen deutschen Fußballs. Einer multikulturellen Nationalmannschaft, die den Ball laufen lässt, etwas kreiert, die passt und kombiniert, die sich selbst und anderen Freude bereitet.“ Am Ende zieht Alcaide den Vergleich mit den Europameistern von 1972: „Löw hat einem Haufen Grünschnäbel das Steuer überlassen, die im Begriff sind, mit einer fast 40-jährigen Geschichte des deutschen Fußballs zu brechen, der, egal ob erfolgreich oder nicht, stets einem einfachen Puzzle glich, das im Wesentlichen aus drei Teilen bestand: hohen Bällen, vielen Muskeln und technischen Unzulänglichkeiten. Jetzt ist alles anders und die Deutschen könnten wieder an die Leistungen der Mannschaft anknüpfen, die 1972 mit Ballkünstlern wie Overath oder Netzer Europameister wurde und dabei den schönsten deutschen Fußball aller Zeiten spielte.“
Daniel Taylor (The Guardian) setzt das DFB-Team nach dem sechsten Auftaktsieg bei einer WM in Folge auf die Liste der Titelfavoriten. „Deutschland wurde oft als effizient oder stur bezeichnet. Sie verdienen mittlerweile anderes Lob. Es wäre eine gute Sache für das ganze Turnier, wenn andere Länder sich an dem Angriffspiel der Deutschen orientieren würden.“ Nach seinem 11. WM-Tor sei das ehemalige „Sorgenkind“ Miroslav Klose in Schlagdistanz zu Ronaldos Rekord von 15 Endrundentreffern. „Doch nach dem 49. Länderspieltor Kloses ist es weiter fraglich, warum der Stürmer international weiterhin nur wenig Beachtung findet. Seine Trefferquote lässt an seiner Klasse eigentlich keinen Zweifel.“
Präzision vermischt sich mit Kreativität
Der deutsche Sieg überrascht Christopher Clare (New York Times) nicht, die Art und Weise schon. „Das Spiel vermischte die traditionelle deutsche Präzision mit tollem Kreativspiel. Mesut Özil besitzt einen unvergleichliche Kreativität und geschickte Füße.“ Trotz sehr tief stehenden Australiern haben die Deutschen stets Lücken in der Verteidigung gefunden und die Australier in Bedrängnis gebracht. „Deutschland war am Sonntag beeindruckend. Die Frage bleibt, wie viel Australien damit zu tun hatte.“
Auch LeMonde hebt die zentrale Rolle Mesut Özils hervor: „Die Australier gingen mit viel Respekt auf den Platz, aber im Angesicht der deutschen Spielwut gaben sie schnell auf. Mit einem großartigen Özil als Dirigent zeigte die Truppe von Joachim Löw von Beginn an ihre Muskeln. (…) Abgesehen vom Ergebnis und der Art wie es zustande kam, hat Joachim Löw sicherlich die reife Vorstellung seines jungen Teams und seiner neuen Kanone Mesut Özil gefallen. Mit zwanzig Jahren setzte sich der Spielmacher von Werder Bremen als Versprechen für die Zukunft durch und könnte Michale Ballack schon sehr bald vergessen machen.“
Cayetano Ros (El País) ist nach bislang eher ereignisarmen Auftaktpartien froh über das frische deutsche Spiel: „Nach einem durchwachsenen Beginn von Frankreich, England und sogar Argentinien katapultierte Deutschland das Niveau des Turniers in die Höhe. (…) Diese Mannschaft spielt wunderbar und das ohne den verletzten Ballack. (…) Befreit von jeglichen Defensivaufgaben zeigte Mesut Özil, wie man zwischen den Linien zu spielen hat: mit dem Rücken zum Tor bekam er den Ball, drehte sich und schickte den Ball in die Vertikale. (…) Seine ersten Minuten waren blitzartig. Er ist eine der Sensationen dieses Turniers. (…) Das deutsche Spiel erinnerte für Momente an das der Spanier. Özil amüsierte sich mit Hackenspiel, Müller und Cacau vollendeten die Vorführung mit zwei elektrisierenden Spielzügen, die der Weltmeisterschaft ein Lächeln ins Gesicht gemalt haben. Deutschland hat Kreativität und Torgefährlichkeit im Überschuss, aber es bleibt die Frage offen, ob die Verteidigung dieses Niveau halten kann. Eine ärmliche australische Mannschaft ist kein angemessener Gradmesser, um zu sehen, wo man steht.“
Michael Ashelm (FAZ) ist besonders von den personellen Entscheidungen Joachim Löws überzeugt. „Im Vuvuzela-Getöse von Durban hat die deutsche Nationalmannschaft nach einer mitreißenden und teilweise spektakulären Partie ein deutliches Zeichen an alle ihre Konkurrenten gesetzt.“ Die deutsche Elf mit dem Durchschnittsalter von unter 25 Jahren tollen Fußball gezeigt, Bundestrainer Löws Festhalten an Miroslav Klose habe sich zudem gelohnt. „Es waren genau die richtigen Entscheidungen für diesen stimmungsvollen WM-Auftakt in einer stimmungsvollen Arena.“ Neben Klose haben besonders Müller und Özil überragt, der Sieg sei jedoch ein Verdienst der ganzen Mannschaft. „Die Hoffnung des Bundestrainers, mit den jungen, spielstarken Kräften ein WM-Turnier auf höchstem Niveau bestreiten zu können, erfüllte sich in Durban auf spektakuläre Weise. Alles funktionierte.“
Aus dem Spanischen übersetzt von Pepe Fernandez und Christian Schwöbel, aus dem Französischen von Jonathan Lütticken
Kommentare
17 Kommentare zu “Kreative Maschinen oder nur schwache Gegner?”
Montag, 14. Juni 2010 um 11:42
Wie gut die deutsche Mannschaft spielt oder nicht, können wir dann nach der Vorrunde entscheiden.
Montag, 14. Juni 2010 um 12:24
Die Deutschen haben gut gespielt, ja, gegen Australien. Aber kann man sich so eine Chancenverwertung gegen Topmannschaften leisten?. Ich meine nein. Denn dort bekommt man, wenn man gut ist nur 1 oder nur ne halbe Torchance und nicht 10. Wenn die von Herrn Klose und anderen, wie im Spiel gesehen, so weggeworfen werden, dann sieht es schlecht aus. Siehe Bayern:Inter. Auch da nutze man nicht die maximal 2 Torchancen gegen eine Topmannschaft und verlor.
Montag, 14. Juni 2010 um 12:32
Es war schön anzuschauen, gerade das Spiel ohne Ball war das beste, was die WM bisher gezeigt hat.
Aber Australien war überfordert, und stand in den falschen Momenten zu hoch (was der Kollege von der NY Times da gesehen hat?). Ihre Abwehr stand in vorherigen Spielen immer dann gut, wenn sie tief standen und kein Pressing gespielt haben.
In diesem Sinne kann ich mich meinem Vorredner nur anschließen: Nach der Vorrunde wissen wir mehr.
Montag, 14. Juni 2010 um 13:13
Jaja. Euphoriebremse. Klar. Erst unken alle über die australischen Betonmischer…
Ich kann mich nicht erinnern, so begeistert gewesen zu sein über das traumhaft sichere Ballspiel einer deutschen Nationalmannschaft. Özil, Müller, Lahm waren herausragend. Aber es fühlt sich fast unfair an, nicht alle anderen auch zu nennen.
Das die Australier schlechter waren als gedacht, ist schon richtig, aber andere deutsche Nationalmannschaften hätten deren Verletzlichkeit nicht so brutal offen legen können. Klar kann man einen Messi oder Özil zustellen. Aber im Gegensatz zu Argentinien mache ich mir für das deutsche Kreativspiel in einem solchen Fall weniger Sorgen.
Und wenn wir, dank schwacher Defensive – was aber auch nur geunkt ist, weil nicht getestet – diesmal holländisch untergehen sollten, bin ich immer noch glücklich über das fast unfassbar tolle individuelle Potential der JUNGEN deutschen Mannschaft. Das wird ein tolles Turnier und die nächsten Turniere werden auch noch besser. Ist das nicht die Generation Hrubesch, die da jetzt hochkommt?
Bitte auch nicht vergessen: Löw hat aufgestellt und diese Taktik einstudiert. Er hat seine Spieler glänzen lassen.
Montag, 14. Juni 2010 um 13:33
Unsere Mannschaften hat ja bisher immer ausgezeichnet, dass sie mit den Aufgaben im Turnierverlauf gewachsen ist. Insofern würde ich die Abwehrleistung in den ersten Minuten (der ersten und zweiten Halbzeit gegen Australien) nicht als Gradmesser nehmen. Das wird schon noch. Ob es denn für die ganz großen Mannschaften reicht, kann jetzt keiner sagen – da spielt auch Tagesform und Glück eine große Rolle. Über die Chancenverwertung würde ich bei einem 4:0 Sieg nicht reden wollen – klar ging auch was vorbei. Aber vier Tore muss man erst einmal machen – und das im Auftaktspiel! Andere Mitfavorieten haben gezeigt, dass es nicht selbstverständlich ist, das Auftaktspiel zu gewinnen…
Montag, 14. Juni 2010 um 14:57
Hat bisher noch keiner gemacht:
Danke für die ausländische Pressesammlung!
Montag, 14. Juni 2010 um 15:02
wenn es um Chancenverwertung geht, bitte nochmal das argentinienspiel gucken… die haben auch einiges liegen lassen.
Allerdings denke ich auch, das sich Mertesacker und Friedrich noch steigern müssen… Nach vorne fand ich das Spiel erste Sahne… (hier dürften sich mertesacker und Friedrich ebenfalls noch steigern)
Montag, 14. Juni 2010 um 23:17
Danke für die vielen internationalen Stimmen nach einem Deutschland-Spiel. Das bitte noch sechsmal! 😉
Dienstag, 15. Juni 2010 um 00:05
zonalmarking.net lässt kein gutes Haar an Pim Verbeek, dem australischen Trainer.
Dienstag, 15. Juni 2010 um 08:55
@Lena:
Ich wollte gar nicht auf die Euphoriebremse treten. Ich wollte nur meine Häme über die Mitdiskutanten nicht zu voreilig vergießen, die Klose und Podolski in Grund und Boden geschrieben haben. Nach der Vorrunde werde ich dann aber keine Zurückhaltung mehr anlegen! 😉
Dienstag, 15. Juni 2010 um 10:43
@Peter Glock: stimmt, die beiden sollten es nochmal bestätigen, dann darfste loslegen.
Man stelle sich – zum Schaudern – mal die Alternative vor: Im Januar traten Löw und Co zurück, und der Verband holte als verfügbaren Retter M. Sammer oder L. Matthäus. Frings wäre mit den Australiern um die Wette geschlichen, lange, hohe Bälle und Standards wären unsere Waffen. Alles unter 1,75 cm wäre nicht nominiert worden. Aber Bild wäre wieder in der Umkleide und daher glücklich gewesen. Und der australische Trainer wäre den deutschen Journalisten wegen seines genialen taktischen Verständnisses positiv aufgefallen…
😀
Dienstag, 15. Juni 2010 um 11:12
Ich scharre mit den Füßen! 🙂
Donnerstag, 17. Juni 2010 um 09:24
@Glocks Peter: Man kann ihnen die angezogene Handbremse bei No. 1 förmlich ansehen 🙂 Aber: Häme gar nicht nötig! Sie hatten Recht, Poldi und Klose rechtzeitig in Form, Bundes-Jogi alles richtig gemacht. Nach der WM Vertragsangebot mit exorbitanter Verbesserung. Jogi lehnt dankend ab und geht nach Liverpool. Alle werden weinen. Auch ich!
Donnerstag, 17. Juni 2010 um 09:57
@Carl:
Argentinienspiel gucken: Wo denn?
Zu Klose und Podolski und den anderen, die im Verein nicht überzeugten hatte ich ja bereits geschrieben:
Da kann uns Löw nur positiv überraschen
Freitag, 18. Juni 2010 um 16:37
Hach, war Klose heute gut. Und Podolski erst. Weltklasse, keine Diskussion. Wie tief das Loch von der ganzen Scharrerei wohl schon ist…
Samstag, 19. Juni 2010 um 02:02
Jetzt kommt er aus dem Loch gekrochen, aber nach dem Australienspiel war nur die Stille seines schweigenden Mundes zu hören.
Sehr gerne hätte ich Manfreds fundierte Kritik nach dem Australienspiel gehört.
Samstag, 19. Juni 2010 um 07:31
Wozu soll ich mich nach einem besseren Trainingsspiel gegen einen von der 5. Minute an hoffnungslos unterlegenen Gegner äußern, der sich nicht wehrt? Da gewinnen sogar auch mal Nieten und treffen ins Schwarze(r).