indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Es müllert wieder

Jens Behler | Dienstag, 15. Juni 2010 4 Kommentare

Nach dem überzeugenden Auftaktsieg gegen Australien widmet sich die deutsche Presse besonders den beiden herausragenden Akteuren Mesut Özil und Thomas Müller

Thomas Hummel (SZ) befasst sich mit Shootingstar Thomas Müller und ist beeindruckt von dessen Unbefangenheit: „Während viele Profis bei einer solchen WM schon froh sind, wenn sie auf den Platz laufen dürfen, dann aber ob der Wucht des Ereignisses leicht erstarren, scheint Thomas Müller dieser Gedanke überhaupt nicht zu kommen.“ Müller gehe immer wieder in die Tiefe, reiße Lücken: „Das 1:0 bereitete er mit einem Sprint hinter die australische Verteidigungslinie und einem genauen Querpass vor, ständig stellte er die Socceroos mit seinen Tempodribblings und Antritten vor viel zu schwere Aufgaben. Vor seinem 3:0 zeigte Müller zudem, dass er fähig ist, sich selbst eine Lücke zu schaffen. Mit einem Hinternwackler à la Gerd Müller ließ er den Gegenspieler ins Leere fallen und vollstreckte zielgenau.“

Jan Christian Müller (FR) beschreibt Müller als einen schwer zu fassenden Spielertypen: „Seine Methoden sind weitgehend beispiellos: Er besitzt die Intuition und den Mut, an der Strafraumgrenze niemals anzuhalten, sondern den Pfad zum Tor zu suchen und regelmäßig auch zu finden.“ Auch im Vergleich mit Gerd Müller komme er gut weg: „Manches am Bewegungsablauf erinnerte bei Müllers Treffer in Durban an die Müllerei vor 36 Jahren zum 2:1 im WM-Finale gegen die Niederlande. Mit seinem ehemaligen Jugendtrainer Gerd Müller hat der früh verheiratete Irrwisch mit dem angeborenen Mutterwitz ansonsten aber so gut wie nichts gemein. Die Spargelbeine zum Beispiel, die eher ins X denn ins Fußballer-typische O tendieren, unterscheiden den sehnigen Müller junior von dem oberschenkelmuskelstarrenden Müller senior. Ergo kann der Junge, anders als der Alte, Abwehrreihen mit langgezogenen Sprints auseinanderreißen. Seine Laufwege werden von Gegenspielern als wenig konventionell begriffen.“

Alex Raack (11Freunde) nimmt Deutschlands Spielmacher Mesut Özil genauer unter die Lupe und stellt fest, dass dieser von der Lücke, die der Ausfall Michael Ballacks gerissen hat, besonders profitiere: „Für Özil ist das die neue Freiheit. Für das deutsche Spiel eine ganz neue Qualität.“ Besonders die Vorbereitung zum 1:0 entzückt Raack: „So schnell, so präzise, wie Özil das Tor einleitete, wird es Michael Ballack im Leben nicht hinbekommen. Muss er auch gar nicht, er ist dafür nicht geschaffen. Ballack ist 1,89 Meter große Power und Dynamik, Mesut Özil ist ungeahnte Kreativität. Kein Wunder, dass Bela Rethy die Nummer 8 gestern Abend mit den Weltmeistern Pierre Littbarski und Thomas Hässler verglich – solche Möglichkeiten des schönen Spiels hat Deutschland seit den frühen neunziger Jahren nicht mehr gehabt.“ Zum Abschluss bleibe allerdings die Frage, „wie viel Freiheit Özil in den kommenden Spielen bekommen wird. Die Welt kennt inzwischen den neuen deutschen König.“

Annäherungsversuch des DFB-Präsidenten

Der 4:0-Erfolg ließ nicht nur etliche Kritiker verstummen, sondern auch den DFB-Präsidenten auf Schmusekurs gehen. Für Michael Ashelm (FAZ) ein nachzuvollziehender Schritt von Theo Zwanziger: „Zwanzigers Vorstoß kam in seiner Stärke zwar unvermittelt, zeigt allerdings eine gewisse Logik auf. Jeder weitere glanzvolle Sieg Löws und seines Teams bringt die Verbandsverantwortlichen in Erklärungsnot, warum aktuelles Trainerteam und Management noch keinen neuen Vertrag haben. Gewinnt Löw weiterhin, hält er die Schlüssel in der Hand.“

Auf einer Wellenlänge

Eine taktische Analyse des Spiels gegen Australien liefert die englische Internetseite Zonal Marking. Aufgrund der schwachen Vorstellung der Australier bleiben bei der Einschätzung des deutschen Spiels jedoch ein paar Fragezeichen: „Es ist schwierig, die deutsche Leistung eindeutig zu beurteilen, da die Australier sowohl taktisch als auch technisch viel vermissen ließen. Aber das Team von Jogi Löw sah sehr gut aus. Die Deutschen gaben zu jeder Zeit das Tempo vor. Sie wussten, wann sie den Ball im Mittelfeld verwalten konnten und wann sie ihn schnell und direkt nach vorne spielen mussten. Das beeindruckenste war jedoch, dass alle Spieler auf einer Wellenlänge waren, obwohl die Mannschaft noch nicht lange zusammenspielt.”

Kommentare

4 Kommentare zu “Es müllert wieder”

  1. Thomas Müller
    Dienstag, 15. Juni 2010 um 12:51

    Jürgen Kalwa (american arena) hat vor einiger Zeit mal ein äußerst lesenswertes Memo an alle Medienarbeiter veröffentlicht (http://american-arena.blogspot.com/2008/02/vom-lehrgeld-und-anderen-falschen.html):

    „[D]as Wort Shootingstar gilt es auszurangieren. Damit bezeichnet man im Englischen Meteroide, die beim Eintritt in die Erdatmosphäre durch die entstehende Kompression aufleuchten, aber sich just dabei in ihre Bestandteile auflösen. Die Sternschnuppe ist das letzte Stadium des Meteroiden auf dem Weg nach unten. Wie soll das auf einen Sportler passen, der gerade am Anfang seiner Karriere steht?“

  2. Jens Behler
    Dienstag, 15. Juni 2010 um 13:40

    Zum Glück ist Jürgen Kalwas Memo ja nur an die Medienarbeiter gerichtet, die sich mit dem deutschen Golfprofi Martin Kaymer beschäftigen. Ist ja hier nicht der Fall 😉
    Meine Meinung ist: Kann man durchaus so sehen, muss man aber nicht. Für mich ist es ein bildlicher Vergleich, der ganz gut auf einen überraschend schnellen Aufstieg passt. Sternschnuppen erscheinen überraschend am Himmel, ziehen einen Schweif hinter sich her, der auf eine enorme Geschwindigkeit schließen lässt und vom Blickwinkel des Betrachters auf der Erde muss die Sternschnuppe nicht unbedingt fallen, sondern kann auch aufsteigen. Dass die Sternschnuppe meist auch recht schnell nicht mehr zu sehen ist und der Himmelskörper sich in seine Bestandteile auflöst, stimmt natürlich auch, passt daher nicht ganz so gut zu einer langen Karriere, aber meiner Meinung nach geht es bei der Metapher doch eher um den überraschenden Durchbruch eines Sportlers/Schauspielers und soll garnicht auf die ganze Karriere abzielen.

  3. Marc Vits
    Dienstag, 15. Juni 2010 um 15:01

    Ich denke die Diskussion wird wahrscheinlich genauso ins Leere laufen, wie die, die sich mit der deutschen Benutzung des englischen Begriffs „public viewing“ befasst. Klar, die Wörter haben ursprünglich eine andere Bedeutung, aber sie werden beide seit längerem im deutschen Sprachgebrauch oft benutzt, und es weiß auch jeder, was damit, zumindest in unseren Gefilden, gemeint ist. Daher meine ich, dass man den Begriff „Shooting-Star“ durchaus auch hier im Indirekten-Freistoss weiterhin ruhig verwenden darf.

  4. Peter Glock
    Mittwoch, 16. Juni 2010 um 09:28

    Für mich wäre es ein innerer Reichsparteitag, wenn ich anderen Worte verbieten dürfte 🙂

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