Deutsche Elf
Löws Nibelungentreue
| Mittwoch, 16. Juni 2010Noch immer lobt die deutsche Presse die Löw-Elf für ihren Auftritt gegen Australien und kümmert sich um die Zukunft des Bundestrainers
Matti Lieske (Berliner Zeitung) kittet die Risse in der Beziehung zwischen Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Präsident Theo Zwanziger. Trotz der öffentlichen Liebesbekundungen „war es unverkennbar, dass der Bundestrainer immer noch vergrätzt ist, weil man ihn beim DFB im Februar behandelte wie einen x-beliebigen Angestellten, über dessen Weiterbeschäftigung debattiert wird, und nicht wie den großen Fußballerneuerer, als der sich der 50-Jährige sieht.“ Obwohl das Aus für Löw nach der WM noch vor Wochen fest stand, scheine Löws Zukunft als Bundestrainer mittlerweile rosig: „Selbst wenn man die mangelnde Klasse Australiens in Betracht zieht, hat das 4:0 unmissverständlich gezeigt, dass Löw als Bundestrainer erste Wahl ist. Seine oft bespöttelte These, die Mannschaft zu einer spielerisch, kämpferisch und läuferisch homogenen Einheit formen zu können, wenn ihm nur genug Zeit gegeben wird, hat er eindrucksvoll bestätigt.“
Australien nicht als Maßstab
Oliver Fritsch (Zeit Online) lobt Thomas Müller und Arne Friedrich: „Er bewegt sich gut im Raum, verstellt Passwege und ist nicht zu schade, sein Territorium zu verlassen, um die Fehler der anderen zu beheben. Vor allem nach links. Der Innenverteidiger ist der E-Bass in einer Band: selten im Mittelpunkt, aber spielt er falsch, bricht alles zusammen.“ Doch trotz all der schwarz-rot-goldenen Euphorie relativiert Fritsch deutlich: „Die Australier sind kein Maßstab, um höchste Ambitionen zu testen.“
Michael Ashelm (FAZ) strahlt mit Lukas Podolski um die Wette. Dank der Nibelungentreue des Bundestrainers blühe „Poldi“ nach einer völlig verkorksten Saison wie so häufig im Nationalteam auf. „Die größten Probleme erscheinen aus der Ferne ganz klein und taugen plötzlich sogar für eine spaßige Betrachtung, zumal sich die sportliche Ausgangslage komplett verändert hat. Aus dem enttäuschten Podolski ist nach nur einem Spiel bei dieser WM wieder der strahlende Deutschland-Poldi geworden.“ Löw verfolge seine Linie und verteidige auch kritisierte Spieler: „Es ist eines der Prinzipien Joachim Löws, auf einen Kreis eingesessener Spieler zu vertrauen, von deren Stärken er von Beginn an fest überzeugt war – unabhängig davon, wie sich diese Profis im Vereinsalltag schlagen und auch unabhängig von aufkommenden Diskussionen in der Öffentlichkeit“
Löw feilt an den Schwachstellen
Auch Christof Kneer (SZ) stimmt in die Lobeshymnen auf Thomas Müller und seinen Treffer zum 3:0 mit ein: „Würde man die Szene schwarz-weiß einfärben und ein wenig Schärfe wegnehmen, man bekäme einen Mann mit der Rückennummer 13 zu sehen, der sich dreht und unnachahmlich trifft: Gerd Müller.“ Der Autor lässt die Schwäche Australiens zwar nicht außer acht, doch „die Magie des Auftaktsieges gibt Löw die Möglichkeit, im Stillen an den Mängeln des deutschen Spiels herumzufeilen: an seiner Abwehr zum Beispiel, die freundlich unterfordert blieb, aber dennoch (Ausnahme Philipp Lahm) eine relativ erschreckende Unbeholfenheit im Spielaufbau erkennen ließ.“
Kommentare
1 Kommentar zu “Löws Nibelungentreue”
Mittwoch, 16. Juni 2010 um 22:53
Nibelungentreue. Nein, glaub ich nicht. Wäre Löw nicht überzeugt gewesen, Podolski wieder zu mentaler und körperlicher Topform zu bringen, hätte er ihn zuhause gelassen. Podolski kann froh sein, dass Löw die Fehler und Nachlässigkeiten beim Trainerteam in Köln im Umgang mit ihm als nicht zu schwerwiegend eingeschätzt hat. Sonst wäre Podolski, Nibelungen hin oder her zuhause geblieben. Und in Köln sollten einige Verantwortliche gerade rote Köpfe haben.