Ball und Buchstabe
Roman-Helden und Pechvögel
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| Mittwoch, 16. Juni 2010Abseits des Tagesgeschehens beschäftigen sich die Journalisten mit den Pannen auf und neben dem Rasen; Siphiwe Tshabalala taugt außerdem als Romanheld
Christoph Biermann (SZ) widmet sich den bisherigen Pechvögeln der WM und findet aufmunternde Worte für Englands Keeper Robert Green, Algeriens Torwart Fawzi Chaouchi, Dänemarks Eigentorschützen Simon Poulsen oder Serbien Elfmeterverursacher Zdravko Kuzmanovic: „Während stolze Torschützen mitunter freundlich winkend vorbeilaufen, geben die neuen Helden der Pleiten, Pech und Pannen-Videos ausgiebig Auskunft. Ja, sie kratzen selbst die letzten Fremdsprachenkenntnisse zusammen, um sich nicht nur ihren Landsleuten, sondern möglichst der ganzen Welt zu erklären. Wir sollten ihnen dankbar sein. An der Seite von uns Fehlbaren sind sie die großen Tröster bei dieser WM.“
Piraten in Nordkorea
Mit den Pannen abseits des Spielfelds beschäftigt sich Günter Clobes (direkter-freistoss). In England verpassten Millionen dank einer Werbepause das Führungstor von Steven Gerrard. Katrin Müller-Hohenstein feiert nach dem Klose-Tor gegen Australien einen „inneren Reichsparteitag: „Unschön, ganz zweifellos und nicht gerade sehr überlegt. Ob deswegen aber gleich Regierungsstellen den Vorfall und die Entschuldigungsreaktion des ZDF bewerten müssen, ist doch recht fraglich.“ Und in Nordkorea werden die Spiele sogar ohne Senderechte übertragen: „Da Piraterie zwischen den beiden Koreas ja eine nicht ganz unerhebliche Rolle spielt in den letzten Jahren und Monaten, kann es sich eigentlich nur um eine Variante der Programmpiraterie handeln: nur noch südkoreanische Spiele übertragen und so zur Destabilisierung Nordkoreas beitragen.“
Den Werdegang von Siphiwe Tshabalala, dem Schützen des ersten Tores des Turniers, beleuchtet Christian Zaschke (SZ). Denn der Mittelfeldspieler mit dem wunderschönen Namen stammt aus Soweto, dem South-Western-Township und liefert somit eine fast schon kitschig romantische Geschichte: „Dass der Junge von den staubigen Plätzen der Townships das erste Tor der ersten WM in Afrika schießt, könnte der Schlusspunkt eines Romans sein.“ Bereits in den frühen Morgenstunden würden jetzt Jugendliche auf demselben Platz kicken, auf dem auch Tshabalala seine fußballerische Grundausbildung bekam: „Für Südafrika hat Tshabalalas Märchentor eine symbolische Bedeutung.“ Sein ehemaliger Jugendtrainer Patrick Moroanyane suche bereits nach neuen Kickern für Bafana Bafana. Schließlich habe er ja Tshabalala aus der Verteidigung ins Mittelfeld befördert.
Wer plaudert, ist draußen
Jens Weinreich (Berliner Zeitung) untersucht die Praktiken der professionellen Tickethändler in Südafrika. „Manche bedienen drei Handys gleichzeitig. Anrufe, Textnachrichten, E-Mails. Sie verlassen hektisch ihre Plätze, erwarten Klienten. Die Anspannung ist offensichtlich. Es läuft nicht gut, und ihr Risiko wächst täglich.“ Kaum ein Spiel ist ausverkauft, für alle Partien gibt es noch Karten – sogar sogenannte Hospitality-Pakete, Bewirtung inklusive. Die Tickethändler geben bereitwillig Auskunft über die schlecht laufenden Geschäfte, nur anonym versteht sich. „Denn wer einmal plaudert, wer einmal offen die Fifa und Match kritisiert, der ist für alle Zeiten draußen.“ Von weit über 90 Prozent Auslastung spricht die FIFA, „die Experten gehen davon aus, dass nur etwa 50 bis 60 Prozent der rund drei Millionen WM-Eintrittskarten (inklusive der Hospitality-Pakete) zum Marktwert verkauft wurden. Schätzungsweise ein Drittel wurde unter Wert verschleudert, teilweise an Schulklassen verschenkt, um die Stadien zu füllen.“