WM 2010
Franzosen vor dem Aus, Argentinier im Rausch, Griechen mit Schützenhilfe
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| Freitag, 18. Juni 2010Die Presse ist erschüttert über die Vorstellung der Equipe Tricolore. Argentinien überzeugt auch im zweiten Spiel und die Griechen wahren ihre Chance auf das Weiterkommen
Vizeweltmeister Frankreich steht nach der Niederlage gegen Mexiko vor dem frühzeitigen Aus. Jens Witte (Spiegel Online) sah ideenlose Franzosen mit einer katastrophalen Abwehrleistung. Beim Führungstreffer habe „Frankreichs Abwehrkette vergeblich auf Abseits spekuliert.“ Und auch die Szenerie vor dem Strafstoß zum 2:0 „zeigte exemplarisch, wie unorganisiert die französische Abwehr über weite Strecken der Partie agierte. Frankreich droht nach der Pleite schon in der Vorrunde ein Desaster. Der Weltmeister von 1998 steht nun in seinem Gruppenendspiel am kommenden Dienstag gegen Gastgeber Südafrika unter Siegzwang. Zugleich muss die Equipe Tricolore auf Schützenhilfe hoffen: Im Spiel zwischen Mexiko und Uruguay müsste es einen klaren Sieger geben, um den Franzosen noch den Weg ins Achtelfinale zu ermöglichen.“
Hubert Kahl (FR) spricht gar von einer „blamablen Vorstellung“ der Franzosen: „Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt konnte die Fans nur das Spiel der Mexikaner erwärmen: Der Außenseiter machte mehr Druck, Favorit Frankreich hielt nur dagegen. Oft war der Weltmeister von 1998 an der Strafraumgrenze mit seinem Latein am Ende. Antreiber Ribéry sorgte vorne viel zu selten für Unruhe, Gefahr ging nur von der weiß-grünen ‚Tri’ aus: Gleich sechs gute Chancen hatte die Mannschaft von Trainer Javier Aguirre schon in der ersten halben Stunde. Die Mexikaner wirkten über 90 Minuten bissiger, sie waren zweikampfstärker und lauffreudiger als die statischen ‚Le Bleus’.“
Französische Tristesse
Auch Christian Kamp (FAZ.net) sah verdiente Sieger aus Mexiko: „Den Franzosen war zwar das Bemühen anzumerken, es besser zu machen als zuletzt gegen Uruguay. Doch weil die Offensive wieder einmal harmlos blieb, war es ein verdienter Sieg der zielstrebigeren Mexikaner.“ Erst gegen Ende der Partie seien die Franzosen aufgewacht: „Keine Frage, der Druck der Franzosen nahm zu, Mexiko gelang im Spiel nach vorne kaum noch etwas. Dann ließ sich jedoch die französische Abwehr ein weiteres Mal überrumpeln. Nach Marquez‘ Pass stand der zehn Minuten zuvor eingewechselte Hernandez plötzlich frei vor Lloris und hatte alle Zeit, den Torwart zu umspielen. Frankreich wusste darauf keine Antwort mehr, und als Blanco nach Foul von Lloris an Barrera den Elfmeter wuchtig verwandelt hatte, war die französische Tristesse perfekt.“
Zügellose Argentinier
Für Richard Williams (Guardian) war das „kleinste Mitglied der argentinischen Kampftruppe“ verantwortlich für den ersten Hattrick bei dieser WM. Gonzalo Higuain schoss die Südkoreaner mit seinen drei Treffern fast im Alleingang ab. Letztlich hatten „zügellose Argentinier“ keinerlei Probleme mit „lauwarmen Südkoreanern.“
Der Angriff Argentiniens sei laut Stefan Osterhaus (NZZ) von einer Klasse, die im Teilnehmerfeld kaum Konkurrenz kennt: „Südkorea machte leidvolle Erfahrungen mit der Spielkunst der Südamerikaner. Die disziplinierte Laufarmee von Trainer Huh wurde mit 4:1 gedemütigt. Selbst für argentinische Verhältnisse ist es ein ungewohnt offensiver Fussball. Traditionell verliess sich Argentinien auf eine solide Defensive, und da erscheint es wie ein sonderbarer Zufall, dass Argentinien zu einer Zeit Angriffsfussball hoher Schule zelebriert, in der sich der Rivale Brasilien der Effizienz um nahezu jeden Preis verschrieben hat.“
Matthias Linnenbrügger (Welt Online) sieht die starken Gauchos bereits in der nächsten Runde: „Nach zwei Siegen dürfte den Argentiniern der Einzug in das Achtelfinale nicht zu nehmen sein. Maradonas Mannschaft hatte so richtig Lust auf Fußball. Von Beginn an dominierten die Südamerikaner das Geschehen. Die Südamerikaner bestimmten das Tempo nach Belieben und im Gegensatz zum Auftaktduell mit Nigeria, als es ihnen an Effizienz mangelte, schlugen sie erbarmungslos zu. ‚Daran haben wir gearbeitet. Ich bin stolz, dass die Jungs es umgesetzt haben. Es war fast perfekt’, sagte Maradona.“
Nigeria schlägt sich selbst
Für Hendrik Baumann (Spiegel Online) profitierten die Griechen bei ihrem 2:1-Sieg von „zwei katastrophalen Patzern“ der Nigerianer. Denn „die Afrikaner schienen die Partie mit ihrer Ballsicherheit und guten Raumaufteilung zu kontrollieren – bis Sani Kaita unvermittelt die Nerven verlor: Nach einer harmlosen Rangelei an der Außenlinie trat der Mittelfeldspieler nach Vassilis Torosidis, Schiedsrichter Oscar Ruiz Acosta aus Kolumbien blieb keine andere Wahl, als die rote Karte zu zücken.“ Nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich der Griechen kam es dann aus Sicht der Nigerianer noch schlimmer: „Ausgerechnet der große Rückhalt Enyeama wurde zur zweiten tragischen Figur Nigerias. In der 68. Minute hatte er einmal mehr mit einer guten Parade gegen Samaras gerettet, doch drei Minuten später konnte er einen harmlosen Flachschuss von Alexandros Tziolis nicht festhalten. Torosidis staubte zur Führung für die Griechen ab. Nigeria versuchte sich noch einmal aufzubäumen, doch allmählich machte sich der Kräfteverschleiß in Unterzahl bemerkbar, was sich vor allem an den immer größeren Lücken im Abwehrverbund zeigte. Die Griechen hätten das Ergebnis zum Ende hin sogar noch deutlicher gestalten können, vergaben zum Ärger Rehhagels jedoch mehrere gute Gelegenheiten.“
Nach dem Spiel beobachtete Boris Herrmann (FR) den Trainer der Griechen ganz genau: „Otto Rehhagel, 71 Jahre, 311 Tage, ist der älteste Trainer der WM-Geschichte. Und doch wirkt er manchmal wie ein Berufsanfänger. Zum Beispiel, wenn es darum geht, eine Pressekonferenz nach internationalen Standards durchzuführen. ‚Ich höre nichts, ich höre nichts’, ruft er. Der Kopfhörer baumelt wie ein Stethoskop vor seinem Unterkiefer. Der Wind pfeift durch den Seiteneingang, das Leonlicht blendet, und wie er diesen blöden Kopfhörer auch dreht und wendet, er hört nichts. Irgendwann hat der Fifa-Pressesprecher ein Einsehen. Er sagt: ‚Herr Rehhagel, sie brauchen doch gar keine Übersetzung. Ich habe die Frage auf Deutsch gestellt.’ Vor dem Jähzorn des deutschsprechenden Ehrenbürgers von Athen hat offenbar selbst der mächtige Fußball-Weltverband Angst. Viel erfahren hat man nicht, bei dieser Kopfhörer-Show mit Otto Rehhagel. Ein letzter Versuch: War der Sieg jetzt etwas Besonderes? Rehhagel schließt die Augen, als die Frage noch einmal übersetzt wird. Dann sagt er: ‚Das habe ich doch vorhin schon beantwortet.’“
Paul Fletcher (bbc.co.uk) sah die Griechen „von hinten anschleichen, um in einem pulsierenden Spiel die Chance auf das Weiterkommen zu wahren. Trainer Otto Rehhagel und sein Team wurden für ihre offensive Ausrichtung mit einem entscheidenden Sieg belohnt.“