Deutsche Elf
Neidische Blicke, deutsche Sachlichkeit und der Darwinismus eines Turniers
| Freitag, 18. Juni 2010Die Meinungen in Özils Heimat sind geteilt, Badstuber glänzt durch flexible Sachlichkeit und die Presse sagt der aktuellen deutschen Stammformation eine kurze Halbwertszeit voraus
Ein bemerkenswertes Pressephänomen hat Thomas Seifert (Tagesspiegel) in den letzten Tagen bezüglich der bisherigen Leistung von Mesut Özil beobachten können: „Nach Özils Vorstellung beim Spiel gegen Australien jubelten die türkischen Zeitungen fast so wie die deutschen. Özil sei besser als der argentinische Star Messi, er sei Joachim Löws ‚größte Trumpfkarte’, ja ein neuer Zinedine Zidane, lauteten die Schlagzeilen.“ Doch die Tatsache, dass ihr Heimatland türkischstämmige Migranten aus Westeuropa auch dann als Mitglieder der türkischen Nation betrachtet, wenn sie längst einen anderen Pass haben, bringe nicht nur Stolz hervor, sondern auch Enttäuschung: „Im vergangenen Jahr bestritt Özil sein erstes Spiel für die A-Mannschaft des Deutschen Fußballbundes. ‚Die Familie wollte nicht den deutschen Pass verlieren’, sagte Oguz Cetin, ein früherer Trainer-Assistent im türkischen Nationalteam, der Zeitung ‚Takvim’. Offenbar ist Cetin deshalb immer noch beleidigt. In seinen Worten schwang deutlich die Enttäuschung darüber mit, dass sich ein türkischstämmiger Sportler gegen die Türkei entschied. ‚Alles nur wegen des deutschen Passes’, tadelte ‚Takvim’.“
Mit seiner sachlichen Art passe Holger Badstuber nach Ansicht von Andre Görke (Zeit-Online) hervorragend in die deutsche Viererkette: „Um das Spiel des etwas schlaksig wirkenden Badstubers verstehen zu können – er kommt bei fast 1,90 Meter Körpergröße auf 78 Kilogramm –, muss man einen Schritt zurückgehen. Bei Bayerns Amateuren spielte er im defensiven Mittelfeld. ‚Ich war der Mittelpunkt des Spiels’, erzählt Badstuber, ‚ich musste das Spiel lesen und bin Führungsspieler geworden. Das war die Zeit, in der ich der Spieler wurde, der ich jetzt bin.’ Vielleicht nicht so explosiv wie Philipp Lahm, aber mit ‚einem guten Passspiel in die Spitze’, wie Flick sagt. Die Abwehr profitiert von dieser taktischen Erfahrung. Auch Lahm und Friedrich haben nicht immer schon auf ihren jetzigen Positionen gespielt. Dies ermöglicht ihnen eine gewisse Flexibilität im Spiel und ein Gespür für Gefahrensituationen.“
Löws Stammelf nur von kurzer Dauer?
Nach Meinung von Christof Kneer (SZ) habe Jogi Löw bereits nach dem ersten Spiel eine Stammformation gefunden, bei der es aber offen sei, wie lange sie den harten Prüfungen einer WM standhält. Auch der Bundestrainer wisse das: „Löw genießt den Moment, er freut sich über den vor der Zeit gefundenen Stamm, aber er geht nicht davon aus, dass dieser Stamm die WM überleben wird. Der Darwinismus eines Turniers wird auch seine Elf durcheinander schütteln, Bastian Schweinsteigers infektbedingte Trainingspause gilt ihm als klares Zeichen. Auch die vergangene EM dient Löw als deutliche Warnung: Da wurde sein Linksverteidiger Jansen im zweiten Vorrundenspiel von den Kroaten derart auseinandergespielt, dass Lahm in der Halbzeit tatsächlich die Seiten wechseln musste. Also will der Bundestrainer seinen Kader so bei Laune und unter Spannung halten, dass er auch im Falle von Sperren, Verletzungen oder plötzlicher Überforderung funktioniert. Immerhin weiß Löw seit der WM 2006, wie man auch die Kaderspieler aus den hinteren Reihen mit einem Einsatz belohnen kann. Man müsste nur das Spiel um Platz drei erreichen.“
Kommentare
3 Kommentare zu “Neidische Blicke, deutsche Sachlichkeit und der Darwinismus eines Turniers”
Samstag, 19. Juni 2010 um 14:23
sehr prophetisch von christoph kneer
Samstag, 19. Juni 2010 um 20:05
Özil, der in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen ist, hat seine „Heimat“ also gar nicht in Deutschland? Wäre gespannt, was er dazu sagen würde…
Montag, 21. Juni 2010 um 04:42
ich auch….
die türkei, özils heimat?
war er überhaupt schon mal dort?