Ball und Buchstabe
Irische Genugtuung, Warten auf Mandela
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| Samstag, 19. Juni 2010Ein prominenter Gast wird bei der WM vermisst, die Mittelklasse Südafrikas hat den Fußball für sich entdeckt und die Iren erhalten späten himmlischen Beistand
Trotz des drohenden Ausscheidens der Gastgeber genießt Elena Beis (taz) die Atmosphäre in Südafrika. Die peinliche Niederlage gegen Uruguay tat der Stimmung keinen Abbruch: „Die Euphorie, die Magie des vergangenen Tages überwog bei weitem die Enttäuschung in der Nacht. Auch weil es um so viel mehr ging als das Spiel: Das gibt es normalerweise nicht in Südafrika, dass man sich mitten in der Nacht so völlig angstfrei auf der Straße bewegen kann und dass Südafrikaner und Besucher jeder Nationalität so ausgelassen und selbstverständlich miteinander umgehen.“
Wie im Polizeistaat
Im Tagesspiegel spricht der bekannte südafrikanische Reporter Niren Tolsi über Probleme rund um die Stadien und die neue Fußball-Klientel: „Die WM hat dafür gesorgt, dass die Mittelklasse angefangen hat, sich für Fußball zu interessieren. Schauen Sie in die Stadien: Sehr viele Fans der Bafana Bafana sind weiß, aber das entspricht nicht dem Zuschauerquerschnitt bei Ligaspielen. Zu den regionalen Spielen in Johannesburg kommen sonst kaum Weiße.“ Die Probleme rund um den privaten Sicherheitsdienst haben bei Tolsi ein ungutes Gefühl hinterlassen: „Ich fühle mich derzeit wirklich unwohl, wenn ich zu den Stadien gehe. Es ist, als würden wir in einem repressiven Polizeistaat leben. Dahinter steckt letztlich eine positive Intention, denn kein Südafrikaner würde behaupten, dass Sie nachts in jedem Winkel des Landes sicher sind. Ein bisschen mehr Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein der Gesellschaft hätte es aber auch getan.“
Wo ist Mandela?
Bartholomäus Grill (Zeit Online) vermisst bei der WM einen wichtigen Gast. Schließlich hat Nelson Mandela die WM in Südafrika erst ermöglicht und genießt in der Welt höchstes Ansehen. Nach der Eröffnungsfeier und dem tragischen Tod seiner Urenkelin ist der Vater der Nation allerdings nicht mehr gesehen worden. Schon wird über seine Gesundheit spekuliert: „Die großen Tageszeitungen des Landes rechnen damit, dass Mandela das Jahresende nicht mehr erleben wird. Die Nachrufe sind bereits geschrieben. Im Umland seines Heimatdorfes Qunu sind sämtliche Unterkünfte durch Journalisten seit einem Jahr ausgebucht. Die Medien wollen ganz vorn dabei sein, wenn Mandela bestattet wird, wenn das Land und die Welt um eine ihrer ganz großen Heldenfiguren trauern. Aber in diesen Tagen hoffen alle Südafrikaner, ihren geliebten Madiba noch einmal zu erleben: wenn er, und kein anderer, den Cup an das beste Fußballteam der Welt überreicht.“
Boris Milicevic (taz) schildert seine Erfahrungen als homosexueller Fußballfan in Serbien. Schon als Kind hat den Journalist die Liebe zum ehemaligen Europapokal-Sieger Roter Stern Belgrad gepackt, später entdeckte er dann seine Vorliebe für das gleiche Geschlecht. Und damit kamen die Probleme für den Fan, unter anderem beim Sammeln von Fußballbildern: „Ich gebe zu, es hat so einige Zeit gedauert, bis ich den Mut dazu fasste, zum Markt Terazije im Zentrum Belgrads zu gehen, wo Sammler die Aufkleber untereinander austauschen. Trotz der Angst, dass mich ein hitziger homophober Fußballfan erkennen könnte – als mir an die fünfzig Aufkleber fehlten, ging ich dorthin und amüsierte mich gut in diesem sozialen Netz.“ Der Autor hat Verständnis, dass sich in dem in weiten Teilen homophoben Umfeld des Fußballs noch kein aktiver Profi geoutet hat: „Wenn man sich das Schicksal von Sportlern anschaut, die sich als Homosexuelle bekannten, wundert es nicht, dass es unter 120.000 Kickern in Serbien keinen einzigen gibt, von dem bekannt wäre, öffentlich zuzugeben, schwul zu sein. Bei den serbischen Fußballfans, von denen einige der Gayparade mit dem Tod drohen, worauf Fußballfunktionäre stumm bleiben, kann man auch in absehbarer Zeit nicht erwarten, dass sie den Mut aufbringen würden, sich zu bekennen. In Südafrika, wo Homosexuelle mit Vergewaltigung kuriert werden, kann man das erst recht nicht erwarten.“
Göttliche Gerechtigkeit für Irland
Johannes Leithäuser (FAZ.net) nimmt für einen kurzen Moment die irische Perspektive ein und erfreut sich an den miserable Auftritten der französischen Nationalmannschaft: „Ausgerechnet eine Mannschaft in grünen Trikots brachte der französischen Equipe jene WM-Niederlage bei, die auf der irischen Insel nicht als schadenfrohes Ereignis, sondern eher als göttliche Gerechtigkeit empfunden wird.“ Nach der Enttäuschung der verpassten WM-Qualifikation seien die Iren zu den anderen Nationalsportarten übergegangen: Rugby, Hurling und Gaelic Football.