WM 2010
Die doppelte Hand Gottes, kämpfende Kiwis und japanischer Optimismus
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| Montag, 21. Juni 2010Brasiliens Sieg über die Elfenbeinküste hat einen faden Beigeschmack, Neuseeland sorgt für eine Sensation und in Japan ist man trotz einer Niederlage zufrieden
Mit 3:1 siegten die Brasilianer gegen die Elfenbeinküste. Andreas Rüttenauer (taz) sah neben einem großartigen Treffer zum 1:0 große Verunsicherung abseits des Platzes: „Bis zur 25. Minute war die Explosion in West Rand bei Johannesburg der größte Bumms des Tages. Luis Fabianos Treffer machte die Nervosität vergessen, die den Nachmittag über in der Stadt geherrscht hatte. Eine Explosion, die Kilometerweit zu hören war, hatte die Stadt verunsichert. Nicht einmal bei der Eröffnungsfeier war so viel Polizei rund um das Stadion postiert worden. Die Mitteilung der Polizeibehörden, wonach es sich um eine gezielte Explosion auf dem Gelände eines Sprengstoffherstellers gehandelt hat, konnte angesichts der massiven Polizeipräsenz kaum einer glauben.“
Das war keine Absicht
Andre Görke (Tagesspiegel) schnalzt angesichts des zweiten brasilianischen Treffers mit der Zunge: „Ähnlich unterhaltsam war Luis Fabianos zweiter Treffer zum 2:0 nur fünf Minuten nach dem Wiederanpfiff. Da überlupfte, umdribbelte und überrumpelte er nacheinander drei Afrikaner, nahm dabei aber gleich zweimal die Hand zur Hilfe. ‚Der Ball ist an die Hand gekommen, was soll ich machen’, sagte Luis Fabiano später. ‚Das war keine Absicht.’ Vielleicht war es die heilige Hand Gottes.“
Boris Herrmann (FR) schmollt derweil aufgrund der unerwartet schwachen Leistung der Elfenbeinküste und hat bereits einen Schuldigen ausgemacht: „Der schwedische Trainer Sven Göran Eriksson hat es doch tatsächlich geschafft, in wenigen Wochen aus einer Reihe selbstbewusster Hochgeschwindigkeitsfußballer ein träges, gesichtsloses Ensemble zu formen.“ Auch Didier Drogbas Anschlusstreffer mochte ihn nicht versöhnen: „Ein bisschen üben musste auch der ellenbogenversehrte Didier Drogba, bis er nach kurzer, aber dramatischer Verletzungspause seine alte Sprengkraft wiederfand. Genau genommen übte er am Sonntag in Soccer City 78 Minuten lang vergeblich.”
Starke Abwehrleistung der „All Whites“
Carolin Klüter (taz) freut sich nach dem 1:1 der Italiener gegen Neuseeland über zwei perfekt aufeinander abgestimmte Teams: „Die starke neuseeländische Abwehr hält, was der hochkarätige Sturm der Italiener verspricht. Während der Ball praktisch über den Platz fliegt ist zwischen dem Titelverteidiger und der neuseeländischen Mannschaft kaum ein Unterschied zu bemerken. Das Spiel ist von einem schnellen Passspiel auf beiden Seiten geprägt.“ Erst die zweite Hälfte stimmte Klüter unzufrieden. Wieder einmal stand auch der Referee im Blickpunkt des Interesses: „Die Pause scheint beiden Mannschaften nicht gut getan zu haben. In der zweiten Hälfte erhält Italien viele Freistöße, wirkliche Torchancen gibt es aber lange nicht. (…) Die Partie ist vom zögerlichen Spiel der Italiener geprägt und das Erwähnenswerte, was in der zweiten Halbzeit passiert, sind die Entscheidungen des Schiedsrichters.“
Christoph Dieckmann (Zeit Online) erinnert zunächst an das vorangegangene Aufeinandertreffer beider Teams: „Ach, schade! Die Sensation war zum Greifen nah. Italien begegnete Neuseeland, der Weltmeister traf auf die Nummer 78 der Fifa-Weltrangliste. Unfassbar: Ein Sieg der ozeanischen Zwerge schien möglich.“ Gingen die „All Whites“ vor einem Jahr noch leer aus, so klappte es dieses Mal mit dem Punkt: „Dann war’s vollbracht. Am 10. Juni 2009, nach Neuseelands fast-historischem 3:4 gegen Italien, war Trainer Ricki Herbert (laut Google-Übersetzung) noch ‚enttäuscht, nicht weg zu kommen mit einer historischen Schwelle aufgeregt, aber stolz von den Teams Vorführungen’. Noch stolzer darf er heute sein. Neuseeland gewinnt ein heldisches Remis – und überschreitet die historische Schwelle.“
Das Glas ist halb leer
Riccardo Pratesi (Gazzetta dello Sport) kann dem Unentschieden der Squadra Azzura nur wenig Positives abgewinnen: „Wieder ein 1-1 von Italien, doch diesmal gibt es keine Zweifel: Das Glas ist eher halb leer nach dem Unentschieden gegen Neuseeland. Iaquintas Elfmeter ist die Antwort auf das Gegentor von Smeltz, mit dem der Außenseiter zunächst in Führung ging. Mehr war aber nicht drin. Weder um die ‚All Whites’ zu schlagen noch um das Tor zum Achtelfinale zu öffnen. Paraguay hat nun 2 Punkte Vorsprung in Gruppe F. Die Slowakei zu schlagen wird jetzt zur Pflichtaufgabe, um sicher in die nächste Runde zu ziehen. Dennoch wäre es keine Garantie auf den Gruppensieg, was bedeuten würde, Holland im Achtelfinale aus dem Weg zu gehen. Aber diese Gedanken sind zweitrangig. Die volle Konzentration gilt jetzt dem Spiel am 24. Juni gegen Hamsik & Co in Johannesburg. Es bedarf eines besseren Italiens und vor allem einer gefährlicheren Offensive als die, die wir in den 180 Minuten bisher gesehen haben. In diesen beiden Gruppenspielen erwies sich gerade der Sturm als unser größter Schwachpunkt. Nach dem Tor gegen Paraguay hat uns De Rossi mit dem geschundenen Elfmeter vor größerem Ärger bewahrt.“
Dominik Wehgartner (taz) weist zunächst auf die Ausgeglichenheit in Gruppe F hin, um dann festzustellen, dass bei der Partie Paraguay gegen die Slowakei bereits vor Anpfiff moralische Vorteile bei den Südamerikanern lagen: „Natürlich ist das nur die halbe Wahrheit, schließlich war die Ausgangssituation der beiden Kontrahenten mitnichten identisch: Paraguay hatte nach überzeugender Leistung dem amtierenden Weltmeister Italien ein Unentschieden abgetrotzt, die Slowakei hingegen in der Nachspielzeit den Ausgleich durch die Neuseeländer hinnehmen müssen – eine herbe Enttäuschung für die Ambitionen auf das Achtelfinale.“
Paraguay: Mehr als bloß Lärm um Nichts?
Auch Michael König (sueddeutsche.de) ruft noch einmal die vergangenen Partien in Gruppe F in Erinnerung: „Der erste Spieltag hatte beiden Mannschaften viel Lärm um Nichts beschert. Die Slowaken beklagten ein nationales Trauma. Einen ‚Moment der Schande’ wollten slowakische Boulevardmedien erkannt haben, als in der 93. Minute der Gegentreffer für Neuseeland fiel. Das Spiel endete 1:1. Die Paraguayer sahen sich derweil auf Augenhöhe mit dem amtierenden Weltmeister.“ Paraguay verdiente verdient gegen die Slowakei und König ahnt, dass den Südamerikanern vielleicht noch ein Coup gelingen könnte: „’Die beste WM aller Zeiten’ hat Paraguays Nationalmannschaft seinen Fans versprochen. Im zweiten Spiel zeigte sich, dass das Team dringend an seiner Chancenverwertung arbeiten muss. Gelingt das, könnte das Versprechen vermutlich mehr sein als bloß Lärm um Nichts.“
Die knappe Niederlage könnte reichen
Bunshi Nakagawa (Asahi) ist mit der Niederlage Japans gegen Holland nicht unzufrieden: „Dem japanischen Torwart war über die gesamte Spieldauer hinweg die berechtigte Angst anzumerken, dass er jeden Moment ein Gegentor kassieren könnte. Denn blitzschnell zuschlagen zu können, ist etwas, das eine Fußballgroßmacht wie die Niederlande von Japan unterscheidet. Im Freundschaftsspiel im September des vergangen Jahres unterlagen sie noch mit 0:3. Dank des offenen Meinungsaustausches zwischen dem Trainer und seinen Spielern gelang es der Mannschaft, die Niederlage im entscheidenden Spiel auf 0:1 zu begrenzen. Und wenn man sich die Situation in der Gruppe E vor Augen führt, könnte eine Niederlage mit nur einem Tor Unterschied am Ende ausreichen, um sich den Wunsch zu erfüllen, der ersten Liga des Weltfußballs einen Schritt näher zu kommen.“
Aus dem Italienischen übersetzt von Michele Busiello, aus dem Japanischen von Angela Falero.