Deutsche Elf
Gibt es das Naturgesetz, das einen Trainer bei Misserfolg zum Rücktritt zwingt?
| Mittwoch, 23. Juni 2010Joachim Löw sähen viele Journalisten gerne weiter am Ruder, selbst wenn die deutsche Elf heute gegen Ghana ausscheiden sollte
„Deutschland gegen Ghana, das ist, zurückhaltend formuliert, ein Schicksalsspiel, und wenn die Deutschen verlieren, dann ist der Sommer, nochmals zurückhaltend formuliert, im Eimer. Aber sie verlieren ja nicht“, wird im Streiflicht der SZ gemutmaßt. Der Deutsche Fußball-Bund ist trotzdem auf alle Eventualitäten vorbereitet: „Deutschland kommt ins Achtelfinale, und da fragt man sich, was aus den 65 Plätzen wird, die der DFB für den Rückflug am Donnerstag reserviert hat. Könnte man die Tickets nicht den Nordkoreanern überlassen, die nach ihrer 0:7-Schlappe gewiss lieber in Frankfurt landen würden als in der Heimat, wo vielleicht noch unangenehmere Orte für sie reserviert sind?“
Endet mit dem möglichen historischen WM-Aus in Südafrika Ära Joachim Löw? Michael Horeni (FAZ) schließt einen Abschied des Bundestrainers nicht aus: „Bisher gibt es keinen belastbaren Beweis dafür, dass Löw das Vertragsangebot, das ihm unabhängig vom Verlauf des Turniers von DFB-Präsident Theo Zwanziger ausgesprochen worden ist, nach dem schwächsten Ergebnis in der deutschen WM-Geschichte annehmen würde. Löw schweigt, aber in seinem Umfeld würde mit einem Rücktritt gerechnet“
Philipp Selldorf (SZ) erinnert an den Rücktritt Völlers nach der EM 2004 in Portugal. 2010 sei die Situation eine andere: „Löw hat für diese Mannschaft einen Stil entwickelt, der ihr entspricht und ihre Stärken betont, der dem Publikum gefällt und eine Perspektive ergibt. Löw ist als Trainer und als Person nicht belastet. Seine Mannschaft respektiert ihn und folgt ihm. Ein anderer Trainer ist nicht zwingend eine bessere Lösung. Die Frage ist also: Gibt es wirklich dieses Naturgesetz, das einen Bundestrainer bei Misserfolg zum Rücktritt zwingt? (…) Womöglich hängt es am Mittwoch nicht nur vom Ergebnis ab, sondern auch vom Spiel der Deutschen. Ein Ausscheiden in Ehren könnte das vermeintliche Naturgesetz aufheben.“
„Traurig“ fände Peter Unfried (taz) ein Ausscheiden der Nationalmannschaft, denn ausgerechnet der klassisch-verkrustete Verbandsfußball habe etwas angestoßen, was in vielen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gern hinausgeschoben werde: „Er hat sich geändert, weil er sich ändern musste, um eine Zukunft zu haben. Er müht sich um Nachhaltigkeit, er ist international und progressiv. Das ist die große Leistung des Bundestrainers Joachim Löw und seines Vorgängers Klinsmann.“
Auch für die Nationalspieler wäre ein vorzeitiges Ausscheiden von weitreichender Bedeutung: Es wäre das Ende des Projekts der neuen Nationalmannschaft, schreibt Holger Gertz (SZ, Seite Drei) am Rande seines Portraits „Heute ein König“ über Kapitän Philipp Lahm, das Glückskind aus München. Von den Fans und den schreienden Zeitungen müssten sich die Spieler fragen lassen, was denn eigentlich so toll sei am neuen, leichten Fußball, wenn der nicht mal fürs Achtelfinale reiche. „Wenn der alte rumpelige Fußball die Mannschaft dauernd ins Finale gebracht hat. Wenn seine Mannschaft es nicht schafft, wäre das eine tiefe Kerbe in der Karriere von Philipp Lahm, er hat schon so viel erlebt, aber das noch nicht.“
Stefan Hermanns (Tagesspiegel) spielt derweil mögliche Szenarien für die Zeit nach der Gruppenphase durch: „Taktieren gehört zum Geschäft, und selten schien die Notwendigkeit so groß zu sein wie bei der WM in Südafrika. Bedingt durch die anfängliche Schwäche der Favoriten Spanien, Italien und England ist der gedachte Turnierplan ein wenig in Unordnung geraten. Schon im Achtelfinale könnte es mehrere Begegnungen geben, die eines Endspiels würdig wären. Geborene Gruppenerste müssen froh sein, sich überhaupt für die nächste Runde zu qualifizieren – sollten sie es schaffen, droht ihnen gleich im Achtelfinale ein fetter Brocken.“ Der „fette Brocken“ heißt im Falle Deutschlands England. Hermanns hat die Lösung: „Wie minus mal minus plus ergibt, so könnte sich auch in diesem Fall das Schlechte zum Guten wenden: Auch wenn beide Zweiter werden, verhindern Deutsche und Engländer ihr allzu frühes Rendezvous.“
Kommentare
1 Kommentar zu “Gibt es das Naturgesetz, das einen Trainer bei Misserfolg zum Rücktritt zwingt?”
Mittwoch, 23. Juni 2010 um 14:07
Eindeutig. Wenn nicht MINIMALZIEL Viertelfinale erfüllt wird, muss er gehen. Wir sind hier nicht bei der U21 mehr. Es geht um Ergebnisse bei Turnieren und nicht um Aufbauarbeit.
Und wenn es nicht klappt, bei Gegnern Ghana und Serbien, dann hat er genug fehlerhafte Entscheidungen getätigt, die das sowieso rechtfertigen.
PS: und Deutschland – England als verweggenommenes Finale zu sehen, da frag ich mich doch, was der Kollege geraucht hat….