Deutsche Elf
Psychokrieg eröffnet
| Donnerstag, 1. Juli 2010Vor dem Duell gegen Argentinien schlägt Bastian Schweinsteiger einen ungewohnt scharfen Ton an, hinten links gibt es immer noch eine Problemzone und die Nachwirkungen des Ghana-Spiels
Zwei Tage vor dem Duell der DFB-Auswahl gegen Argentinien beherrscht Bastian Schweinsteigers Verbalattacke gegen die Südamerikaner die Medien. Der „emotionale Leader“ rückte die Fußtritte und Faustschläge nach dem Ausscheiden der Gauchos von 2006 in den Fokus des neuerlichen Aufeinandertreffens, wie Michael Ashelm (FAZ) beobachtet hat: „Angesprochen auf seine Erinnerung an 2006 sagte Schweinsteiger: ‚Natürlich denkt man an das, was nach dem Spiel passierte, die Handgreiflichkeiten der Argentinier. Das sitzt noch fest in den Köpfen drin.’ Die deutsche Elf dürfe sich aber nicht von den Provokationen beeinflussen lassen: ‚Vor dem Spiel geht das doch schon los. Wie sie gestikulieren und versuchen, den Schiedsrichter zu beeinflussen. Das gehört sich nicht, das ist respektlos.’ Weil heutzutage bei der Einstimmung auf wichtige Fußballspiele in den meisten Fällen nur noch politisch korrekte, von gegenseitigem Respekt zollende Formulierungen gewählt würden, bekomme der Auftritt nun eine besonders brisante Bedeutung: „Schweinsteiger ist seit Mittwoch der neue Chef der Abteilung Attacke in der Nationalmannschaft.“
Über das Ziel hinaus
Für Jan Christian Müllers Geschmack hat Schweinsteiger mit seinem Rundumschlag etwas über das Ziel hinausgeschossen. In der Frankfurter Rundschau schreibt Müller: „Seine Augen blitzten, als er sich sogar an den argentinischen Anhängern abarbeitete, ganz so, als handele es sich am Samstag um 16 Uhr im Green Point Stadion von Kapstadt nicht ohnehin schon um ein emotional extrem aufgeladenes Fußballspiel. Ihm sei zu Ohren gekommen, ‚dass argentinische Fans sich einfach zusammensetzen und anderen Zuschauern ihren Platz wegnehmen. Da sieht man ihre Mentalität.’ Eine interessante Ausführung vor dem Hintergrund der Mentalität der ein oder anderen deutschen Gruppe, gerade bei Spielen im osteuropäischen Ausland.“
Christian Gödecke (Spiegel Online) erkennt eine Systematik hinter Schweinsteigers Ausführungen: „Schweinsteiger hat ja auch dem ‚Stern’ ein Interview gegeben, darin wurde er ähnlich deutlich: ‚So etwas vergisst man nicht. Einige der Argentinier sind damals mir gegenüber handgreiflich geworden.’ Argentinien sei ‚sicher nicht eine der fairsten Mannschaften.’ Sehr offene Worte sind das in einem Interview, das vor der Veröffentlichung durch den DFB autorisiert werden muss. (…) Will Schweinsteiger die Provokateure provozieren? Im Hinblick auf mögliche Gelbsperren im Halbfinale könne er versucht haben, den Schiedsrichter zu sensibilisieren, was aber auch nach hinten losgehen könne: „Sieben DFB-Kicker sind im Viertelfinale mit Gelb vorbelastet, sie würden bei einer weiteren Verwarnung in einem möglichen Halbfinale fehlen. Jede Aufheizung des Spiels macht diesen Fall wahrscheinlicher. Wenn man so will, könnte sich Schweinsteiger selbst einen Bärendienst erwiesen haben. Schweinsteiger ist einer der sieben Gelbsünder.“
Schweinsteigers neuer Ansatz
Raphael Honigstein wundert sich bei der kanadischen Rundfunkanstalt CBC über den neuen Schweinsteiger: „Seine Äußerungen erstaunen. ‚Schweini’, wie ihn der deutsche Boulevard immer noch nennt, sagt selten Kontroverses und beteiligt sich gewöhnlich nicht an verbalen Auseinandersetzungen. Dieser neue Ansatz des Jungen aus Bayern verblüfft. Hat er versucht, die Argentinier aus der Fassung zu bringen, indem er ihnen unterstellt, ein Haufen Schwachsinniger zu sein? Wenn das der Fall war, muss es ihn beunruhigen, dass sie das überlegene Team sind. Man ärgert seinen Gegner nicht, wenn man erwartet, ihn zu schlagen.“
Michael Ashelm (FAZ) bewertet den Schachzug genau umgekehrt: „Schweinsteigers Attacke zeigt eine unvermutete Seite des Teams, deren Selbstbewusstsein nach dem Sieg gegen England unerschütterlich erscheint.“
Deutschland kennt den Druck
Im deutschen Medienwald geht es sich allerdings nicht ausschließlich um Provokationen. Christian Gödecke (Spiegel Online) hat vor dem Duell im Viertelfinale einen entscheidenden Vorteil für die deutsche Elf ausgemacht: „Sie kennt den Druck, wenn man vor dem Turnier-Aus steht.“ Der Sieg gegen Ghana sei ein typisch deutscher Erfolg gewesen: „Zweikampfhärte statt Zauberei, Intensität statt Individualität – der Erfolg gegen Ghana war schwerer als der gegen England. Es gibt beim DFB sogar die Meinung, dass das glänzende 4:1 gegen England nur möglich gewesen sei wegen des mühsamen 1:0 zuvor.“ Die Argumentation klinge schlüssig: Deutschland musste im Spiel gegen Ghana nicht nur gegen elf Spieler antreten und die Mehrheit des Stadions, sondern auch gegen die Angst vor dem Aus. Der Druck, der auf den deutschen Nationalspielern lastete, wurde zudem erhöht durch den Zeitpunkt des möglichen Scheiterns – noch nie war ein DFB-Team bei einer WM in der Vorrunde ausgeschieden. Gegen England war der Druck nicht mehr neu.“
Auf der Suche nach einem Linksfuß
Problemzone Nummer eins im deutschen Spiel bleibe Position links in der Viererkette, wie Michael Rosentritt im Tagesspiegel feststellt: „Wenn man der verflixt gut aufspielenden deutschen Elf etwas nachsagen wollte, dann, dass sie auf ihrer linken Abwehrseite verwundbar ist. Wenn man es positiv ausdrücken will, haben deutsche Nationalteams eine gewisse Übung darin, dieses Problem irgendwie in den Griff zu bekommen. Die mittlerweile zur Tradition gewordene Schwäche auf der linken, defensiven Bahn gibt es im Grunde seit den Zeiten, als Andreas Brehme zwischen 1984 und 1994 dort spielte.“ Auch den Argentiniern dürfte die Schwachstelle aufgefallen sein: „Die beiden Gegentore, die die deutsche Mannschaft im laufenden Turnier gegen Serbien und England hat einstecken müssen, nahmen ihre Entstehung genau auf dieser Seite. Dort kamen bisher Holger Badstuber, Marcell Jansen und Jerome Boateng zum Einsatz. Restlos überzeugen konnte keiner von ihnen. (…) Große Impulse für das eigene Offensivspiel sind von dieser Position nicht zu erwarten. Vorerst reicht es, diese Flanke für gegnerische Angriffe halbwegs unbrauchbar zu machen.“
Kommentare
5 Kommentare zu “Psychokrieg eröffnet”
Donnerstag, 1. Juli 2010 um 14:13
Ach, ja, der FdT zeigt mal wieder allzu deutlich auf, was man von Leuten zu halten hat, die für diese Karikatur einer Zeitung Kolumnen schreiben, Werbung machen oder anderweitig gerne verfügbar sind.
Für diese Herrschaften gilt wohl Wolfram Wuttkes Einwand gegenüber dem Linienrichter beim Spiel gegen den FC Homburg, oder?
Gell, Herr Lahm?
Donnerstag, 1. Juli 2010 um 15:57
Ich bin nun wahrlich kein Freund der Bild-Zeitung, aber hierin kann ich nicht viel verwerfliches entdecken. Ich finde überhaupt, dass Boateng während der WM kaum zum Thema gemacht wurde.
Donnerstag, 1. Juli 2010 um 16:39
Schweini und Lahm als Provokateure? Das ist zu durchsichtig. Den Vorzeigeprofis kauft man diese Inszenierung nicht ab. Und Diego hat ganz souverän darauf reagiert. Wenn Jogi die Argentinier ärgern will, soll er mal den Franz um Hilfe bitten. Ein Satz vom Kaiser und ganz Argentinien schreit auf. Sgs., daß Maradona überschätzt und dazu ein betrügerischer Handspieler sei und zudem ein schlechtes Vorbild für die Jugend und speziell seine Truppe abgäbe. Das hätte Wirkung 🙂 Aber ich komme auch ohne solche Provokationen und Verbalattacken aus. Freuen wir uns einfach aufs Spiel!
Donnerstag, 1. Juli 2010 um 18:20
@ Trainer Fritsch: bezieht sich das mit dem Thema auf das von ihnen genannte bedruckte Fischeinwickelpapier oder war das eine allgemeine Feststellung bezogen auf die deutschen (Print)Medien?
Ich denke, die im FdT gelisteten Beispiele sprechen für sich und gegen das Blatt. Man kann natürlich fast sowas ähnliches wie froh sein, daß es nur so wenige sind. Irgendwie.
Donnerstag, 1. Juli 2010 um 22:49
Manfred, jetzt habe ich endlich mal deine Meinung!