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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Deutsche Elf

Aus der Traum!

Kai Butterweck | Donnerstag, 8. Juli 2010 1 Kommentar

Deutschlands Niederlage gegen Spanien lag nach Ansicht der Presse am übermächtigen Gegner und zu viel Respekt

Birger Hamann (Spiegel Online) fehlte es der deutschen Mannschaft an Leichtigkeit und Unbekümmertheit: „Was hatten sie bisher für eine WM gespielt: bestechend schönen Tempofußball, effizient, taktisch klug und torgefährlich. Und plötzlich im Halbfinale schien die junge Mannschaft jeglichen Mut, jedes Feuer verloren zu haben. Der Traum vom Finale blockierte die Beine, die Leidenschaft, den Spielwitz. Kaum ein Spieler präsentierte sich in der Form der vorherigen Partien.“

Für Andreas Rüttenauer (taz) war das Spiel eine „große Symphonie des Fußballs“, denn: „Es war ein Augenschmaus: Schöner Fußball, wenige Fouls und Fußball, Fußball, Fußball. Doch am Ende starb die deutsche Maschine und konnte Spanien nichts abringen. Der Finaltraum der Deutschen platzte in einem Spiel, in dem sich zwei der besten Mannschaften der Welt ein Spiel auf Augenhöhe geliefert haben.“

Spanien im Stile eines Weltmeisters

Ähnliches beobachtete Klaus Bellstedt (stern.de): „Das DFB-Team hatte zu viel Respekt – und der Klasse des Gegners wenig entgegenzusetzen. Im Grunde war es nur eine Frage der Zeit, bis Spanien in Führung gehen würde. Angriff auf Angriff rollte Mitte der zweiten Hälfte auf Torwart Manuel Neuer und die deutsche Defensive zu. Dass es am Ende eine Standardsituation war, die das Spiel entscheiden sollte, überraschte umso mehr. Deutschland war nicht aufmerksam, nicht präsent und bissig genug. All das, was die Mannschaft in den vorhergegangenen Spielen ausgezeichnet hatte, ließ sie in diesem Spiel vermissen. Aber man darf nicht ungerecht sein: Das lag vor allem an der Klasse der Spanier, die im Stile eines Weltmeisters auftraten.“

Fehlende deutsche Sommerfrische in Durban

Andre Görke (Tagesspiegel) hat der Mut im deutschen Spiel gefehlt: „Die Sehnsucht nach dem Finale bleibt unerfüllt, und wie groß die Enttäuschung darüber ist, ließ sich nicht nur an Schweinsteigers hängenden Schultern und leerem Blick ablesen. Gegen nüchternen Systemfußball der Spanier fand die bisher so erfrischend aufspielende Nationalelf im Halbfinale kein Mittel. Das Spiel glich dem EM-Finale von 2008. Und auch das Ergebnis war dasselbe: 0:1. Eine neue, mutige deutsche Mannschaft schien doch eigentlich die Spanier herauszufordern zu wollen. Darauf deutete der bisherige Verlauf der WM hin mit den furiosen Siegen gegen England und Argentinien. Und beinahe die Hälfte der deutschen Spieler, fünf an der Zahl, war nicht dabei, als die Nationalelf das Finale der EM 2008 verlor. Die neue Sommerfrische der deutschen Auswahl wehte jedoch nicht über den Rasen von Durban. Es fehlten mutige Einzelaktionen oder schnelle Gemeinschaftsaktionen.“

Lars Wallrodt und Lars Gartenschläger (Welt Online) sahen vor allem ein spanisches Übergewicht im Mittelfeld: „Die Spanier hatten die Regentschaft im Mittelfeld, sie waren wacher und gedankenschneller. Vor allem jedoch zogen sie das typische spanische Spiel mit einem Gros an Ballbesitz und frühem Pressing auf. Und immer wieder setzten Xavi und Iniesta, die beiden genialen Wirbler vom FC Barcelona, die Ihren in Szene. Sie spielten mit dem Selbstverständnis eines Europameisters. Die Deutschen spielten hingegen, als ob sie die Verheißung vom Finale hemmen würde. Es fehlten ihnen die Leichtigkeit und die Frische, die sie zuvor durch das Turnier getragen hatten.“

Nach Auffassung von Boris Hermann (Berliner Zeitung) war es auch ein Sieg der Erfahrung über die Jugend: „Spanien war die reifere Mannschaft, auch wenn die Partie nicht so einseitig verlief wie das Endspiel der Europameisterschaft vor zwei Jahren. Damals hatte Spanien 1:0 gegen Deutschland gewonnen und klar dominiert. Auch gestern stellten sie das bessere Team.“

Trochowski fehlt das Unberechenbare

Christian Zaschke (SZ) trauert dem Einsatz des bislang überragenden Thomas Müller hinterher: „Nicht, dass sein Vertreter Piotr Trochowski schlecht spielte, er zwang sogar nach gut einer halbe Stunde mit einem Fernschuss Spaniens Torwart Iker Casillas zu einer schönen Parade. Doch Trochowski fehlt meist das Unberechenbare, das Kantige von Thomas Müller, der dem deutschen Spiel zuletzt immer wieder die besondere Note gegeben hatte. Jene Note, die Beobachter in der ganzen Welt zunächst erstaunt und dann bezaubert hatte.“

Das spanische Original war besser als sein jugendlicher Herausforderer

Michael Horeni (FAZ) sah ein von Taktik geprägtes Spiel mit einem verdienten Sieger: „Die Traumreise der deutschen Nationalmannschaft ist bei der Weltmeisterschaft zu ihrem Ende gekommen. Im Halbfinale war Europameister Spanien gegen das junge deutsche Team ein zu spielmächtiger Gegner, um aus der zwölften deutschen Halbfinalteilnahme das achte Endspiel werden zu lassen. In einem Duell, in dem sich die Deutschen schon früh in die Defensive gedrängt sahen, fehlten ihnen diesmal die spielerischen Möglichkeiten, um sich wie gegen England und Argentinien entfalten zu können. Das spanische Original war an diesem Abend von Durban besser als sein jugendlicher Herausforderer, der auch keine Möglichkeit fand, mit einem veränderten Konzept die Kombinationsfußballer in Bedrängnis zu bringen.“

Martin Vogt (Focus Online) vermisste die neuen Stärken des deutschen Teams: „Wo waren die unwiderstehlich schnell und chirurgisch präzise vorgetragenen Konter? Die schnellen, flachen Kombinationen? All das, was das deutsche Spiel bislang attraktiv und erfolgreich gemacht hatte, fiel aus.“

Keine breite Brust

Jens Mende und Klaus Bergmann (FTD) hatten einen „nervösen und ideenlosen“ Eindruck von der deutschen Elf: „Trotz der klaren Erfolge gegen England und Argentinien ging die deutsche Elf nicht wie erwartet mit breiter Brust ins Spiel, sondern agierte betont vorsichtig und beraubte sich damit ihrer eigentlichen Stärke. Der gelbgesperrte Thomas Müller, der auf der Tribüne neben Teammanager Oliver Bierhoff Platz genommen hatte und dessen Ideen im Spiel schmerzlich vermisst wurden, sah eine Begegnung, die auf fatale Weise an das EM-Finale vor zwei Jahren erinnerte: Im Mittelfeld überlegene Spanier und eine deutsche Elf, die gegen das Kurzpassspiel der Iberer kein Rezept fand.“

Auch bei den Eidgenossen erkannte man ein übermächtiges Spanien. Demnach konnte Deutschland laut Perikles Monioudis (Neue Zürcher Zeitung) „dem spanischen Pressing und dem finalen Pass“ nichts entgegensetzen. Der Europameister habe „das deutsche Team dominiert. Deutschland kam – falls überhaupt – erst nach zwanzig Minuten im Spiel an. Die Spanier hatten bis dahin eine Art Extrem-Pressing betrieben; bis zu vier Spieler versuchten, den deutschen Spielaufbau schon im gegnerischen Halbfeld zu stören, weit von der Mittellinie entfernt. Das ist ungeheuerlich – um nicht zu sagen meisterlich. Dieses Pressing konnten die Spanier, von kurzen Phasen abgesehen, bei klugem Variieren des Tempos während der ganzen Partie aufrechterhalten.“

Spanien hat noch Luft nach oben

Paul Fletcher (BBC) sah ein „faszinierendes und sehr enges Match“. Doch Spanien habe sich den Sieg verdient: „Sie übertrafen ihre Leistung gegen Paraguay, ohne aber ihr ganzes Können darzulegen. Deutschland lud die Spanier durch ihre defensive Strategie förmlich dazu ein, Druck aufzubauen. Am Ende, werden sie es bedauert haben, nicht mehr in das Spiel nach vorne investiert zu haben, solange es noch unentschieden stand.“

Für Henry Winter (Daily Telegraph) wird das Finale nun bereichert von „spanischen Konquistadoren, die pure Freude und Freiheit auf dem Platz zelebrieren.“ Doch „die Deutschen werden wiederkommen, so wie sie es immer tun. Letztlich fehlte ihnen die Substanz und die sehnige Dynamik eines Thomas Müller.“

José Sámano (El País) ist begeistert von der spanischen Spielweise: „Wenn Fußball eine Ansammlung von Gefühlen ist, ist Spanien ein Augenschmaus. Wenn Fußball Kunst und Epik ist, ist Spanien die Mannschaft, der man folgen muss. In seinem Spiel gegen das Furcht einflößende und beeindruckende Deutschland rief Spanien alles ab, es spielte erhaben und konnte sich auch im richtigen Moment einen Ruck geben. Mit einer Galavorstellung beherrschte es einen Gegner deutlich, der sowohl aufgrund seiner Gegenwart als auch seiner glorreichen Vergangenheit zuvor unbezwingbar erschien.“

Aus dem Spanischen übersetzt von Christian Schwöbel.

Kommentare

1 Kommentar zu “Aus der Traum!”

  1. Klaus82
    Freitag, 9. Juli 2010 um 11:29

    Zu Deutschland.
    Gruppenphase nichts wirklich Berauschendes, eine teilweise sehr unsicher wirkende Mannschaft, auf Michael Ballack konnte man hier aufgrund der schwächeren Gegner noch verzichten. Wirklich überzeugend und herausragen war das aber sicherlich nicht. Auch Manuel Neuer wirkte nicht sehr stabil und zeigte kleinere Schwächen.
    England:
    keine wirkliche Herausforderung und der Sieg daher nicht wirklich überraschend kam. Die Engländer spielten immerhin eine sehr schwache Gruppenphase und wären fast bereits dort ausgeschieden. Darüber hinaus war die deutsche Mannschaft etwa 30min deutlich unterlegen und hätte hier durchaus in Schwierigkeiten kommen können, wenn der Gegner besser gewesen wäre.
    Argentinien:
    hier kam der Mannschaft ganz klar zu gute, dass man nach 6min in Führung ging und die Argentinier keinen Plan hatten, wie sie damit umgehen sollten.
    Spanien:
    kaum kommt der wirklich erste richtig starke Gegner und fällt ein Spieler aus, schon geht gar nichts mehr und es war wieder das typische deutsche, ängstliche und wenig geplante Spiel. Hier hat sich wohl das wahre Niveau des Teams gezeigt und daher kann bei weitem nicht davon die Rede sein, dass Deutschland momentan das Maß aller Dinge ist. Nee nee, soweit sind die (noch) nicht. Alle haben ein großes Potenzial und können 2012 und 2014 durchaus etwas reißen, aber die Niederlage war vollkommen verdient und zeigte das wahre deutsche Leistungsniveau.
    Chile und vor allem Paraguay waren deutlich näher an einem Sieg gegen Spanien dran als Deutschland. Die Schweiz lasse ich bewusst mal außen vor.Paraguay wurde ein klares Tor aberkannt!
    Sie hatten mindestens 3-4 gute Chancen, Deutschland eine einzige.
    Chile war sicherlich nicht ganz so stark wie Paraguay, hatte aber auch seine Chancen und schoss immerhin ein Tor.
    So vorsichtig wie Deutschland hat keine der beiden Teams agiert.
    Ich gebe gerne zu, dass die Leistung gegen Argentinien sehr gut war, keine Frage.
    England musste man aber schlagen.
    Die Anti-Ballack Stimmung finde ich ungerecht, gerade im Spanienspiel hätte er gut getan und es geht nicht nur mit 20-26 jährigen.
    Löw sollte auf ein 4-4-2 setzen. Ständig wechselt er Gomez ein und lässt den besten Stürmer (Saison) Kießling andauernd draußen, verstehe ich nicht.

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