Ball und Buchstabe
Die WM ist vorbei; Zeit, eine Bilanz zu ziehen
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| Dienstag, 13. Juli 2010Die Presse resümiert die Weltmeisterschaft aus sportlicher, politischer und allgemeiner Sicht
Steffen Dobbert (Zeit Online) zieht ein WM-Fazit, welches mehr Licht als Schatten beinhaltet: „Ja, da war was los. Als die Sonne über Johannesburg vor einem dunkelroten Horizont unterging, erreichte dieses Fußballturnier seinen Höhepunkt. Wer sich auf dieser Welt für wichtig hält, war gekommen. Der Fifa-Boss Sepp Blatter und Südafrikas Präsident Jacob Zuma lachten. Das Finale wurde zum gelungenen Abschluss einer geglückten Fußball-WM. Vom Glanz, dem Stolz, dem Selbstbewusstsein und der Freude dieses Turniers wird Südafrika lange profitieren. Die Welt war zu Gast. Und die Afrikaner haben den Gast positiv überrascht.“ Die Schwierigkeiten hielten sich, seiner Ansicht nach, in Grenzen: „Wie jede WM zuvor hatte auch diese ihre Probleme, aber trotz zahlreicher Befürchtungen verlief sie reibungsloser als viele Fahrten mit der Deutschen Bahn. Diese WM hat dem Selbstbewusstsein eines zusammenwachsenden Volkes einen Kick gegeben. Allein in der Erinnerung daran wird Südafrika zukünftig Mut finden.“
Nach Ansicht von Martin Vogt (Focus Online) könne das Turnier dem Gastgeberland einen fundamentalen Schub für Jahrzehnte geben: „Die Ressentiments gegen den Ausrichter hatten noch im Januar in ätzender Kritik an der WM-Vergabe gegipfelt, als etwa Uli Hoeneß die Vergabe nach Südafrika als ‚größte Fehlentscheidung‘ bezeichnete, die Fifa-Präsident Sepp Blatter je getroffen habe. Hoeneß und all die Kritiker sollten sich täuschen, denn diese fünf Wochen haben der Welt ein anderes Bild Afrikas vermittelt: bunt, heiter, positiv, begeisterungsfähig, friedlich. Mit einem Wort: sympathisch. Die befürchtete Kriminalität blieb gering – auch eingedämmt von 40.000 zusätzlichen Polizisten und drakonischen Strafen für Bagatellverbrechen, die eigens installierte Schnellgerichte verhängten – und die knapp 500.000 ausländischen Besucher genossen die phänomenale Gastfreundschaft Afrikas.“
Uns Deutschen fehlt der Gemeinsinn
Christian Bangel (Zeit Online) befasst sich mit dem wiedergeborenen „schwarz-rot-goldenen Frohsinn“, der sich hierzulande vor allem auf den Fanmeilen zeigte und ist der Auffassung, dass den Deutschen etwas ganz Elementares fehle: „Das Wir-gehören-wieder-zusammen-Gerede verstellt uns die Sicht darauf, dass das Gegenteil davon der Fall ist, was in der Presse steht: Uns Deutsche verbindet in Wahrheit immer weniger. Es stimmt, dass das massenhafte Flaggeschwenken zumindest einen potenziell positiven Umgang mit dem Land zeigt. Viele Deutsche wären wohl bereit, sich als Teil eines deutschen Gemeinwesens zu sehen. Dazu gehört aber ein Inhalt; etwa das Versprechen, dass das Gemeinwesen zurückgibt, was man einzahlt. Mit Fußball ist es nicht getan. Fußball mag ein großartiger Sport sein und die Weltmeisterschaft ein weltumspannendes Ereignis, sinnstiftend ist beides nicht.“
Das Spiel erstickt in Taktik und Systemen
Frank Hellmann (FR) spricht sich vehement für Regeländerungen aus: „Abgesehen von deutschen, spanischen, bisweilen niederländisch-südamerikanischen Ausnahmen wird auch diese WM nicht als pure Spaßveranstaltung in die Geschichte eingehen. Wer ein Feuerwerk des Offensivfußballs erwartet hatte, galt ohnehin ein Tagträumer. Taktik geht über alles, Systemsicherheit genießt oberste Priorität, das freie Spiel ist eingezwängt in ein enges Korsett. Das wirft unweigerlich die Frage auf, ob heutzutage der professionell betriebene Fußball nicht an seinen antiken Regeln leidet. Ohne Abseits auf größere Tore mit vielleicht nur noch neun oder zehn Akteuren zu spielen, wäre gewiss nicht vorstellbar, doch eine der drei Varianten dürfte es auf absehbare Zeit zumindest mal wert sein, sie auszuprobieren, um dem auf der Weltbühne oft erstickten Fußballspiel wieder Luft zum Atmen zu geben.“
Schland ist nicht tot, Schland schläft nur
Stefan Kuzmany (Spiegel Online) wartet hingegen mit Ratschlägen auf, wie man sich als geneigter Fan vor dem „drohenden Fußballkater nach der WM“ schützen könne: „Jetzt heißt es: Nach vorne schauen! Nehmen Sie die deutsche Flagge aus dem Fenster, die Wimpel vom Auto, und vergessen Sie bitte nicht die Außenspiegelüberzieher. Das kommt alles wieder in einen Schuhkarton und auf den Schrank, aber vorher noch in die Waschmaschine (Etikett mit Waschanweisungen prüfen!). Das können Sie alles noch mal verwenden, in zwei, in vier Jahren und darüber hinaus. Bis es soweit ist, bereiten Sie sich weltmeisterlich vor, was in ihrem Fall bedeutet: Konzentrieren Sie sich ab jetzt wieder voll auf Ihre Arbeit, auf Ihre Aufgabe im großen Team. Denn der Bundespräsident hat gesagt, wie wichtig das ist mit dem Team. Und das können, das müssen wir alle mitnehmen von dieser Fußballweltmeisterschaft in Südafrika. Und seien Sie nicht traurig: Schland ist nicht tot. Schland schläft nur.“