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Deutsche Elf

Ballack im Abseits, die große Aufarbeitung und zwei Gewinner

Kai Butterweck | Freitag, 13. August 2010 8 Kommentare

Die Presse befasst sich mit der K-Frage, dem Scheitern der U21 in Island und den Gewinnern des  Länderspiels  gegen Dänemark

Gregor Derichs (Zeit Online) sieht im Zögern des Bundestrainers in der K-Frage eine Schwächung Michael Ballacks: „Das ist Taktik. Löw sieht noch keinen Anlass, sich in der Öffentlichkeit klar zu positionieren. Es ist nicht seine frühere Scheu davor, Konflikte mit kompromissloser Autorität zu lösen, die Löw die Angelegenheit zunächst einfach aussitzen lässt. Er weiß offenbar genau, warum er so vorgeht. `Ich habe nach der WM gesagt, ich nehme mir die Ruhe, in den Wochen danach alles zu analysieren und werde überlegen, wie es konzeptionell weitergehen soll für die nächsten zwei oder vielleicht drei oder vier Jahre`, erklärte Löw gestern. Dies könnte ein Anzeichen sein, dass der hingehaltene Platzhirsch Ballack beim Zwist um die Führungsfunktion die schlechteren Karten hat.“

Michael Horeni (FAZ) erkennt keinen wichtigen Grund, warum sich Löw dahingehend noch Zeit lässt: „Der Bundestrainer lässt die K-Frage in diesen Tagen immer weiter treiben, als wäre dies nicht sein Thema. Aber das ist es natürlich. Unabhängig davon, wie sich Löw irgendwann entscheidet – hinter der monatelangen Diskussion, wer die Binde trägt, tun sich zwei grundsätzlichen Fragen auf, die für die eigentliche Unruhe hinter der Kapitänsdiskussion sorgen. Erstens: Wie kann der langjährige Anführer zurück in eine veränderte Welt der Nationalelf finden? Zweitens: Wie geht der Bundestrainer mit einem verdienten Spieler um, der ohne eigenes Verschulden seinen Status als lange unentbehrlicher Anführer eingebüßt hat, und für den noch eine neue Rolle gefunden werden muss? Es gibt keinen überzeugenden Grund, weshalb Löw sich noch nicht zu Ballack bekannt hat oder mit Lahm eine neue Zeit hat anbrechen lassen. Für beide Wege gibt es Argumente. Man muss sie nur mit den Spielern besprechen und ihnen mitteilen.“

Schlechte Karten für Ballack

Auch Matti Lieske (Berliner Zeitung) schätzt Ballacks Karten schlecht ein: „Löw hat zwar nur einen Vertrag bis zur EM 2012, deutete aber an, er werde bereits jetzt möglicherweise den zielgerichteten Aufbau einer Mannschaft für die WM 2014 in Brasilien beginnen. Dort ist ein dann 37-jähriger Ballack in einem immer noch jungen Team völlig undenkbar. Warum ihn also nicht gleich hinauskomplementieren, wird sich Löw fragen. Die Mannschaft hat bei der WM in Südafrika gezeigt, dass sie ganz gut ohne ihn auskommt, und seine möglichen Positionen sind mit Bastian Schweinsteiger, Sami Khedira, Thomas Müller und Mesut Özil eigentlich alle besetzt. Hatte es in den letzten Jahren für Michael Ballack immer gereicht, einfach nur beim FC Chelsea unter Vertrag zu stehen, muss er jetzt im Verein schon groß aufspielen, um im DFB-Team wieder Fuß zu fassen. Oder er sattelt um. An einem guten Mittelstürmer dürfte auch 2014 noch Bedarf herrschen.“

Der erste Regenbogenpresseskandal

Philipp Selldorf (SZ) misst den Rangverlust Ballacks. Begonnen habe der Absturz bereits während der WM: „Er war auf einmal nicht mehr wichtig, und er hat das selbst erfahren müssen, als er zum Viertelfinalspiel gegen Argentinien nach Kapstadt reiste und sich anschließend im Hauptquartier des DFB-Teams bei Pretoria einmietete. Dann musste er erleben, dass seine alten Kollegen nichts mit ihm anzufangen wussten, dass er die neue Gemeinschaft störte.“ Zudem müsse er sich dieser Tage neben dem Machtkampf um die Kapitänsbinde auch noch unangenehmen Boulevard-Fragen stellen: „Kaum hatte er seine Familie, Frau Simone und seine drei Söhne, zurück nach Deutschland geführt, sah sich Ballack dem ersten Regenbogenpresseskandal seiner Karriere ausgesetzt. Seit zwei Wochen stellen ihn die Bekenntnisse des früheren Münchner Profis Christian Lell bloß, der mit geheimnisvollen Andeutungen eine Beziehung zwischen seiner – schwangeren – Freundin und Ballack insinuiert. In Anbetracht, dass jetzt die bunten Blätter seine moralischen Qualitäten kommentieren, dürfte Ballack die gängigen wüsten Beschimpfungen aus gegnerischen Fankurven herbeisehnen. Und dass die Bundesligasaison endlich beginnt, damit er die Chance bekommt, diesen schrecklichen Sommer auszuspielen.“

Verzicht auf kindische Kopetenzstreitigkeiten

Nach dem Scheitern der U21 in Island zweifelt Roland Zorn (FAZ) an Rainer Adrions pädagogischen Fähigkeiten „In seiner Jahrgangsmannschaft beim DFB, gespickt mit hochgelobten, aber noch unreifen Bundesliga-Talenten, ist Adrions Art, Fußball zu lehren, nicht wie vor allem von Bundestrainer Joachim Löw erhofft angekommen. Bei der U21 unter Adrion war der alte Schwung rasch hin und von Pep und Enthusiasmus nicht mehr viel zu sehen. Auf dem Weg zu einem neuen Aufschwung sind Löw und der DFB-Sportdirektor Matthias Sammer gut beraten, mit mehr Einigkeit als früher und dem Verzicht auf kindische Kompetenzstreitigkeiten das gemeinsame Feld neu abzustecken und Konsequenzen aus dem zuletzt schwachen Abschneiden der Nachwuchsmannschaften zu ziehen. Die deutschen Juniorenteams dürfen zwar auch in Zukunft immer mal wieder verlieren, dann aber auf höherem Niveau als zurzeit: in einem Finale oder Halbfinale und nicht schon irgendwo auf Island weit vor dem Ende der EM-Qualifikationsspiele.“

Sammers Scherbenhaufen

David Kluthe (Spiegel Online) beobachtet Sportdirektor Sammer vor einem „Scherbenhaufen“: „Die Verantwortung für dieses Desaster trägt zunächst einmal der Trainer, Rainer Adrion. Doch nicht nur der Coach, auch Matthias Sammer, zuständig für die DFB-Jugend, zählt zu den Verlierern der Blamage von Hafnarfjördur. Nur ein Jahr, nachdem Adrion seinen Vorgänger Horst Hrubesch als U21-Coach ablöste, steht die Zukunft der Schnittstelle zwischen Nachwuchs und A-Nationalmannschaft zur Diskussion. Sammer hat jahrelang daran gearbeitet, sich beim DFB eine Position als strategischer Vordenker und Gegenpol zum Machtzentrum Löw/Bierhoff zu verschaffen. Ein einziger trister Abend auf Island dürfte diese Arbeit zunichte gemacht haben.“

Auch Lars Gartenschläger (Welt Online) ist der Auffassung, dass dieses „Debakel“ Adrion den Job kosten werde: „In den kommenden Tagen, so heißt es beim DFB, wolle man sich nun zusammensetzen. Im Zuge der Vertragsverlängerung mit Joachim Löw, dessen Team und Teammanager Oliver Bierhoff vor wenigen Wochen hatte Sportdirektor Sammer die Verantwortung für den administrativen Bereich der U21 von Bierhoff übernommen. Mit den DFB-Bossen und Löw, der die sportliche Verantwortung in letzter Konsequenz für die Juniorenauswahl trägt, muss Sammer nun überlegen, was das Richtige für die Mannschaft ist – aber insbesondere, ob Rainer Adrion noch der richtige Trainer ist.“

Tiefpunkt aller Tiefpunkte

Adrion habe den „Tiefstpunkt aller Tiefpunkte“ erreicht, kommentiert Frank Hellmann (Frankfurter Rundschau) die Situation nach dem Scheitern: „Alle Errungenschaften und Erfolge deutscher Wertarbeit im Nachwuchssektor stehen auf dem Prüfstand, wenn eine U21-Auswahl so kläglich ihr Ticket zur EM-Endrunde und die Olympiateilnahme verspielt wie das Ensemble des hilf- und ratlosen Trainers Rainer Adrion. Der Stuttgarter, vor einem Jahr als Wunschkandidat von Joachim Löw installiert, ist nach der 1:4-Demütigung tatsächlich auf dem tiefsten aller Tiefpunkte angelangt – und im Gegensatz zur einst sagenumwobenen Eruption eines Rudi Völler auf Island ist das kein Geschwafel.“

Der Mann des Abends

Für Peter Ahrens (Spiegel Online) war der Spieler mit der 23 auf dem Rücken in vielerlei Hinsicht der Mann des Abends beim Länderspiel zwischen Dänemark und Deutschland: „Der Fußballer Mario Gomez hat zwei Gesichter – und beide waren ausführlich zu beobachten. Wenn ein Stürmer nach fast einer Viertelstunde, genau nach 13 Minuten und 31 Sekunden, das allererste Mal an den Ball kommt, heißt es gewöhnlich: Das Spiel läuft an ihm vorbei. Wenn derselbe Spieler fünf Minuten später trifft, heißt es: ein echter Torjäger. Vorher nicht zu sehen, aber wenn es drauf ankommt, ist er da. Bei Mario Gomez war an diesem Abend alles dabei. Dass es am Ende dennoch nicht für einen Sieg der DFB-Auswahl reichte, obwohl der Leverkusener Patrick Helmes in der 71. Minute sogar auf 2:0 erhöhte, hatte allerdings auch mit Gomez zu tun. Als er kurz vor Schluss allein vor Sörensen auftauchte und das dann wohl entscheidende dritte deutsche Tor hätte machen müssen, verzagte der Bayern-Spieler. Gomez schob den Ball statt ins Tor direkt auf den Keeper, ein paar Minuten später trafen die Dänen mit gnädigster Hilfe von DFB-Torwart Tim Wiese – das Unentschieden war perfekt.“

Christian Löer (Berliner Zeitung) sah neben Mario Gomez vor allem in Patrick Helmes einen der „Gewinner“ des Spiels: „Der Leverkusener hatte nach der Partie gute Gründe, zufrieden zu sein. Der Leverkusener hat lange Zeit mit den Folgen eines im vergangenen Sommer erlittenen Kreuzbandrisses gekämpft. Am Mittwochabend gab er sein Comeback für Deutschland nach fast anderthalb Jahren Abstinenz. Und nur sieben Minuten nach seiner Einwechslung bestätigte er mit dem Treffer zum zwischenzeitlichen 2:0 seinen Ruf als zuverlässiger Chancenverwerter.“

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Kommentare

8 Kommentare zu “Ballack im Abseits, die große Aufarbeitung und zwei Gewinner”

  1. tafelrunde
    Freitag, 13. August 2010 um 20:27

    Die Sache mit Ballack scheint wohl die aktuelle Daily Soap des deutschen Fußballs zu sein. Jetzt kommt auch noch der unverzichtbare Aspekt Sex dazu. Besser geht’s nicht;-)

    Ballack war ja sowieso nie ein richtig beliebter Spieler. Zuletzt agiert er dann auch noch wenig souverän. Persönliche Größe zeigen geht jedenfalls anders.

    Wie sieht es denn aus, wenn er zurück kommt. Er würde ziemlich sicher das Gefüge der Gruppe stark durcheinander bringen. Denn auf seiner Position hat sich Schweinsteiger eindeutig festgespielt im Sinne des Spielers, der den Takt vorgibt. Würde sich Ballack da hinten anstellen, also würde er die diesbezüglichen Vorgaben von Schweinsteiger ausführen? Oder könnte er, wie bei den Spaniern Xavi und Ineasta, kongenial auf Augenhöhe mit Schweinsteiger agieren? Oder den Hierarchieplatz von Khedira?

    Ballack hätte die Chance, einen wirklich beeindruckenden Abgang hinzulegen, wenn er sich hinstellt und sagt: Um der Nationalelf weiter zu helfen, stehe ich bei einem Ausfall von Spielern jederzeit zur Verfügung. Ich brauche aber keine Stammplatzgarantie und ordne mich in die Mannschaft zu ihrem Wohle ein.

    In jedem anderen Fall aber ist er ein potenzieller Unruheherd und schadet der Mannschaft und ihrer weiteren Entwicklung massiv.

    Könnte er sich so verhalten? Das wäre wahre Größe, doch da sind Zweifel angebracht, wenn man seine bisher gezeigte Persönlichkeitsstruktur betrachtet.

  2. Moritz
    Sonntag, 15. August 2010 um 14:08

    Natürlich könnte Ballack diesen Weg wählen und jedem Konflikt ausweichen, aber weshalb sollte er denn?

    Ballack muss allein seine Interessen als Spieler vertreten, er muss nicht in vorauseilendem Gehorsam zurückstecken. Es ist dagegen Aufgabe des Bundestrainers, Spieler einzubremsen, deren Forderungen sich nicht mit seinen Vorstellungen decken. Der Bundestrainer muss die Mannschaft zusammenstellen, den Spielern dabei vermitteln, welche Ansprüche sie berechtigt stellen können und welche nicht und schließlich seine Entscheidungen auch verantworten.

    Hier wird stattdessen wiedereinmal persönliche Größe allein von dem einzelnen Spieler verlangt, nicht aber vom Bundestrainer. Dem sollen die Spieler am besten alle unangenehmeren Entscheidungen ohne Rücksicht auf ihre eigenen Interessen so leicht wie nur möglich machen oder gleich ganz abnehmen. Es ist geradzu absurd.

    Wenn Löw meint, Ballacks Verhalten schade der Mannschaft, dann müsste er dem mit einer Klarstellung der Situation ein Ende setzen. Wenn er das dennoch nicht macht, schadet Löw der Mannschaft.

  3. tafelrunde
    Sonntag, 15. August 2010 um 14:53

    Wenn Löw Ballack unterbreiten muss, dass er bei einem entsprechenden Ausfall von Spielern gerne wieder mitmachen darf, dann entbindet das nicht Ballack davon, dies selbst von sich aus vorzuschlagen. Alles andere sind kindische Machtspielchen.

    Kann man von einem 33-jährigen Mann diese Selbsterkenntnis nicht fordern?

    Im Übrigen wird Löw genau das mit Ballack besprechen, sofern er noch 1 und 1 zusammenzählen, sprich ein funktionierendes Team bauen kann. Dass er das kann, hat er eindrucksvoll schon zur WM (Frings, Kuranyi) bewiesen. Wobei Löw das „Rumgeeiere“ wie bei Frings nicht wiederholen wird können, ohne selbst beschädigt zu werden.

  4. Marvin Nash
    Sonntag, 15. August 2010 um 16:59

    Ich würde jetzt an Jogis Stelle Schweinsteiger zum Kapitän machen. So kann er elegant dem Konflikt aus dem Weg gehen. Lahm mit seinem Geheule ist ja nicht auszuhalten. Bei Bayern hat er ja auch schon so nach dem Amt gedrängt. Ich glaube, das hat etwas mit seiner Größe zu tun.

    Er ist aber einfach kein Anführer. Schweinsteiger hat das bei der WM auf dem Platz bewiesen. Ballack sowieso.

  5. Moritz
    Sonntag, 15. August 2010 um 19:55

    @tafelrunde

    Weshalb sollte Ballack das von sich aus sagen? Er war Kapitän vor seiner Verletzung und ging – da er bisher nichts gegenteiliges von Löw gehört hat – zurecht davon aus, dass Lahm ihn nur vertritt. Er hat überhaupt keinen Anlass, dies selbst in Frage zu stellen.

    Die Rückkehr des verletzten Kapitäns ist die übliche Variante, Lahm ist derjenige, der sich hier unnötig aus dem Fenster gelehnt hat.

    Kann man von einem 26jährigen Mann diese Selbsterkenntnis nicht fordern?

    Heute hat Löw nun gesagt, dass Ballack zunächst weiter Kapitän ist. Eine endgültige Entscheidung wird er sicherlich treffen, bis dahin muss Ballack aber nicht so tun, als würde es ihm auch reichen, einfach nur dabei zu sein.

    Bisher hat Löw mich mit seinem Verhalten bei Personalentscheidungen überhaupt nicht überzeugt. Schaun mer mal.

  6. Oliver Fritsch
    Sonntag, 15. August 2010 um 20:55

    Ich kann Löw auch nicht verstehen. Er kann die Entscheidung ja vertagen, muss dann aber beide zur Ruhe auffordern. Wer sich nicht dran hält, ist raus aus dem Kapitänsrennen.

  7. Peter
    Dienstag, 17. August 2010 um 17:32

    Bezüglich der U-21-Geschichte wird nicht analysiert, sondern nur polemisiert. Traurig, dass dieser journalistische Dauerfauxpas nicht mal in den Kommentaren beanstandet wird.

  8. Eierkopp
    Dienstag, 17. August 2010 um 21:29

    Löw hat sich doch in seinen Aussagen dieser Tage klar positioniert: Lahm bleibt Kapitän, und Ballack darf weiter mitspielen, wenn er das schluckt.
    Löws Taktik, Ballack nicht aus dem Team zu verbannen, sondern auf den Faktor Zeit zu setzen, halte ich nicht nur für legitim, sondern für richtig: im besten Fall löst sich das Ballack-Problem dann in den nächsten zwei Jahren vor der EM von selbst, weil er sich verletzt oder nicht mehr die Form hat. Damit erspart sich Löw eine Menge Aufregung und Reibungsverlust. Und wenn Ballack tatsächlich im Frühjahr 2012 noch EM-Form hat, kann (und muss) der Bundestrainer sich dann, was überlegen.

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