Deutsche Elf
Vorerst ohne Ballack – Löw scheut sich, Tacheles zu reden
| Samstag, 28. August 2010Joachim Löw verzichtet für die beiden Spiele in Belgien und gegen Aserbaidschan auf Michael Ballack, die Presse findet das sportlich klug, den Stil bemängeln aber einige Kommentatoren
Michael Rosentritt (Tagesspiegel) billigt die vorläufige Nichtnominierung Ballacks: „Seit Jens Lehmann, Torsten Frings oder Kevin Kuranyi weiß man, dass der Bundestrainer alles andere als konfliktscheu ist. Er hätte Ballack zum Rücktritt aus der Nationalelf überreden können, wie er es mit Lehmann nach der EM 2008 getan hat. Er hätte ihn auch gar nicht mehr berücksichtigen müssen, wie einst Frings. Im Umgang mit Ballack bleibt Löw fair. Schön, er lässt ihn in der Kapitänsfrage öffentlich hängen (Lahm übrigens auch); aber die Zeit, die Löw sich jetzt nimmt, muss nicht gegen Ballack sprechen. Ballack wird stark sein, wenn er zurückkommt. Stark genug, um Kapitän bleiben zu können. Aber auch stark genug, eine andere Entscheidung verkraften zu können.“
Andreas Hunzinger (FR) hingegen fordert von Löw eine Entscheidung, wer Kapitän sein wird: „Man wird den Verdacht nicht los, dass der Bundestrainer die Lösung der Frage, wer die Binde tragen soll, vor sich herschiebt. Man kann darüber streiten, ob Ballack mit seinem Machtanspruch und seinem hierarchisch geprägten Denken noch in diese Mannschaft passt, die in Südafrika nicht nur auf dem Feld gut harmoniert hat. Man darf anzweifeln, dass das Team seinen in die Jahre kommenden Anführer sportlich noch zwingend nötig hat. Zumal der Leitwolf a. D. bei der nächsten großen Meisterschaft fast sechsunddreißig sein wird. Löw könnte deshalb mit Recht argumentieren, der Neuaufbau des DFB-Teams müsse weiter vorangetrieben werden. Doch es macht ganz den Eindruck, als mangelte es dem Bundestrainer an Traute, als scheute er sich, Tacheles zu reden.“
Matti Lieske (Berliner Zeitung) zweifelt am Wert Ballacks für die DFB-Elf: „Dabei ist die eigentlich brisante Angelegenheit gar nicht die vieldiskutierte Kapitänsfrage, sondern eher die, wo Michael Ballack künftig spielen soll im DFB-Team. Im defensiven Mittelfeld haben sich Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira etabliert, in der Offensive wimmelt es von Jungspunden wie Mesut Özil, Toni Kroos oder Thomas Müller. Dringend gesucht: ein Platz für Ballack.“
Der sportlichen Frage widmet sich auch Klaus Hoeltzenbein (SZ): „Das ist eine verständliche Reaktion auf die WM, bei der sich Löws Mannschaft von ihrem Kapitän emanzipiert hat. Ballacks Rückkehr wäre jetzt nicht nur eine simple Personalie, sie ist zur Systemfrage geworden. Denn mit Ballack muss ein anderer, ein langsamerer, im besten Falle clever-kalkulierter Fußball gespielt werden. Richtig ist es deshalb, erst einmal auf Zeit zu spielen und die Welle der WM zu reiten. Und dann liegt es an Ballack selbst, die sportlichen Fakten dafür zu schaffen, dass eine Nominierung unumgänglich wird. Einiges deutet darauf hin, dass ihm das gelingen kann. Im Moment aber ist Ballack nach langer Verletzung noch nicht fit, und die Nationalelf darf kein Therapiezentrum sein. Sie ist dem Leistungsprinzip unterworfen und kein Austragsstüberl.“
Vertrauensvolles Verhältnis?
Peter Ahrens & Jan Reschke (Spiegel Online) fügen hinzu: „Ballack ist und bleibt ein erfahrener Spieler, der in vielen Drucksituationen bewiesen hat, einer Mannschaft helfen zu können. Seine Klasse ist bei optimaler Fitness zweifellos unbestritten, seit nunmehr über einem Jahrzehnt spielt er auf höchstem europäischen Niveau. Auf so einen Spieler muss Löw nicht freiwillig verzichten – aber nur dann, wenn Ballack sich mit dem Gedanken anfreunden kann, künftig auch mal auf der Bank Platz nehmen zu müssen oder früh ausgewechselt zu werden. Der Capitano wäre dann nur noch Ergänzungsspieler. Doch ist er dafür der Typ? Kaum zu glauben.“
Mit den atmosphärischen Details in der Beziehung zwischen Löw und Ballack beschäftigt sich Michael Horeni (FAZ): „Es war Löws erster Anruf nach der WM, zum Bundesliga-Start hatte Ballack eine aufmunternde SMS erhalten. Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen dem Bundestrainer und seinem langjährigen Anführer kann man sich natürlich auch anders vorstellen – zumal von einem Bekenntnis des Bundestrainers zu Ballack jede Spur fehlt. (…) Nach Ballacks Geschmack geht es bei der Nationalelf längst nicht mehr, spätestens seit Lahm darauf pocht, die für die WM geliehene Kapitänsbinde zu behalten. Im Umfeld von Ballack wird die Nichtnominierung, fachlich unangreifbar und nachvollziehbar, schon als Gefahr wahrgenommen.“
Kommentare
1 Kommentar zu “Vorerst ohne Ballack – Löw scheut sich, Tacheles zu reden”
Dienstag, 31. August 2010 um 17:19
[…] hat er dabei auf die Nominierung von Ballack verzichtet, der verletzungsbedingt bereits bei der WM in Südafrika fehlte. Bedeutet dies etwa schon das […]