indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Der Capitano schmollt

Matthias Nedoklan | Montag, 13. September 2010 4 Kommentare

Die Liga spielt weiter verrückt: Während Wolfsburg, Bayern und Schalke nicht aus den Startlöchern kommen, sind Mainz und Hoffenheim die Teams der Stunde

Michael Neudecker (SZ) sorgt sich um den FC Bayern: „Lahm überraschte mit Stellungsfehlern, Klose existierte bis zu seiner Auswechslung zur Halbzeit nur als Eintrag auf dem Spielberichtsbogen, sogar der zuletzt so herausragende Schweinsteiger lief sich selbst hinterher. Als Folge fehlte den Bayern, was sie bisher stark machte: die Fähigkeit zum van-Gaal-Fußball, dessen Hauptmerkmal der durch Kurzpassspiel gefestigte Ballbesitz ist. Kurzpassspiel erfordert kurze Sprints und eine immerzu hellwache Aktionsschnelligkeit, aber nun fehlten die Anspielstationen in unmittelbarer Nähe. Stattdessen wurde der Ball gerne zu Franck Ribéry abgegeben, der sich mühte, der dribbelte und schoss, aber ergebnislos blieb. Es war, als hätte jemand ein altes, verstaubtes Video aus einer geraumen Vorzeit eingelegt, die schon zwei Jahre her ist.“

Thomas Becker (FR) hat Verständnis für frustrierte Bayern: „Während van Gaal sich mit den Problemen auf dem Platz beschäftigt, sitzen die Bayern-Bosse derzeit des Öfteren am Verhandlungstisch. Zweieinhalb Stunden lang traf man sich mit einer Delegation des niederländischen Fußballverbands, um die Causa Arjen Robben zu erörtern. Ergebnis: Fehlanzeige. Der Poker um eine mögliche Entschädigung für den verletzten Erfolgsgaranten geht weiter. Angeblich verlangen die Bayern 11000 für jeden Tag, den Robben fehlt. Auch in Sachen Vertragsverlängerung mit van Gaal gibt es keine Fortschritte.“

Ballack vom Pech verfolgt

Boris Herrmann (SZ) sorgt sich nicht nur um Michael Ballacks gebrochenen Schienbeinkopf: „Zumal ein Profikopf diese unzähligen Rückschläge auch erst einmal verarbeiten muss. Im Sportstudio hat Ballack relativ offenherzig erzählt, dass die zurückliegenden Wochen keineswegs spurlos an ihm vorüber gegangen seien. Das wäre auch ein Wunder gewesen. Denn seit ihm Kevin-Prince Boateng im Frühjahr das Syndesmoseband zertrümmert hat, will einfach nichts mehr klappen im Leben des Michael Ballack. Die Nationalelf um ihren aufmüpfigen Häuptling Philipp Lahm hat in Südafrika ohne ihn geglänzt, der FCChelsea hat sich um seine Vertragsverlängerung gedrückt, und der ehemalige Kollege Christian Lell hievte auch noch Ballacks Privatleben in die Klatschspalten. Nichts als Undank für den einstigen Stolz der Fußballnation.“

Roland Zorn (FAZ) beschreibt einen nicht nur körperlich verletzten ‚Capitano‘: „Andererseits hob der in den vergangenen beiden Länderspielwochen öffentlich schweigende Ballack Tage nach einem kurzen Treffen mit Löw hervor, seien ‚die letzten Wochen nicht einfach‘ für ihn gewesen. Sie hätten ihm ‚einiges gezeigt, wie es läuft‘ – was Loyalität, Vertrauen und Beistand in schwierigen Momenten angeht. Was er namentlich nicht sagte, war aus seinen Bemerkungen unschwer herauszufiltern. Vom Bundestrainer, so Ballacks verdeckte Message, sei da nichts gekommen. Um so mehr hätten ihn die Solidaritätsadressen einer Reihe von vertrauten Mitstreitern aus der Nationalmannschaft gefreut.“

Jan Christian Müller (FR) erlebt einen frustrierten Ballack dessen Weg in die Nationalelf noch steiniger geworden ist: „Unter diesen Voraussetzungen erscheint es umso fraglicher, ob es noch einmal ein Zurück und ein gedeihliches Miteinander vor allem mit Lahm und Löw geben kann oder ob es nicht sinnvoller für alle Beteiligten sein könnte, sich auf einen halbwegs stilvollen Abschied zu einigen.“

Mainzer achten auf Details

Michael Eder (FAZ.net) freut sich über den Traumstart des FSV Mainz 05: „Bevor es losging, hatte es schon 44:8 für Kaiserslautern gestanden, doch die deutliche Führung hatte schon eine Menge Patina angesetzt, es war die Bilanz aller Partien zwischen den Pfälzern und den Rheinhessen, und die glorreiche Vergangenheit des Gastes liegt doch schon ein gutes Stück in der Vergangenheit. In den vergangenen Jahren sah das anders aus, da sind die Mainzer am großen Fußball-Bruder vorbeigezogen, und das wollten sie auch an diesem sonnig-schönen Sonntag beweisen. Nach dem 2:1-Sieg gegen den rheinland-pfälzischen Rivalen 1. FC Kaiserslautern haben sich die Mainzer in der Tabelle hinter Hoffenheim auf Platz zwei eingerichtet. Und wie schon beim Auswärtsspiel in Wolfsburg, als die Rheinhessen aus einem 0:3-Rückstand noch einen Sieg gemacht hatten, ließen sie sich auch gegen Lautern von einem Rückstand nicht aus der Ruhe bringen.“

Daniel Meuren (FAZ) kennt den Grund für den Mainzer-Erfolg: „So sehr Thomas Tuchel auf Gerechtigkeit pocht, so akribisch plant er den Erfolg seines Teams. In jüngster Zeit dachte er beispielsweise darüber nach, wie der Rasen im Bruchweg-Stadion endlich ein ähnliches Niveau erreichen könnte wie das ansehnliche und taktisch variable Kurzpassspiel seiner Mannschaft. Angeblich versucht der Siebenundreißigjährige gar seit Wochen, den Greenkeeper eines Platzes in der österreichischen Provinz zum Wechsel nach Mainz zu überreden. Der Spezialist für die gepflegte Grundlage des Fußballspiels hatte ihn bei einem Testspiel während des Trainingslagers mit seinem teppichartigen Grün begeistert.“

Unruhe in Stuttgart und Schalke

Christoph Ruf (Berliner Zeitung) sieht ein Muster im schwachen Saisonstart des VfB Stuttgart: „Spätestens, wenn die letzten Freibäder schließen, stellen sie beim VfB fest, dass sie nach einer formidablen Rückrunde in der Vorsaison vergessen haben, wie das mit dem Gewinnen noch mal ging. In der vergangenen Saison hatten die Stuttgarter zwölf Punkte aus 15 Spielen, als der Trainer Markus Babbel durch Christian Gross ersetzt wurde. Der wiederum hatte den damals amtierenden Meister etwa ein Jahr zuvor auf Platz zehn übernommen.“

Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) sorgt sich um den FC Schalke 04 und Trainer Felix Magath: „Er wollte das Meisterteam, das ihm vorschwebt, eben möglichst rasch beisammen haben. Nur drei Jahre bleiben noch bis zum Titelgewinn, so sieht es jedenfalls der Plan vor. Die Argumentation ist irgendwie nachvollziehbar, aber genau in der Radikalität des Umbruchs liegt auch das Risiko. Magath und seine Schalker haben in der Liga bereits neun Punkte verschenkt, und bis das Team funktioniert, werden noch einige Wochen, vielleicht sogar Monate vergehen. Das ist bedrohlich“

Dortmund als Titelkadidat?

Freddie Röckenhaus (SZ) lässt Dortmund zum Titelfavoriten erklären: „Den Gegner nach einer eigenen Niederlage in phantastische Sphären empor zu reden, gehört zum Mental- Gewerbe Profifußball. Wolfsburgs Trainer Steve McClaren aber versprühte seinen britischen Charme nach der sang- und klanglosen 0:2-Niederlage bei Borussia Dortmund besonders freigiebig: Der FC Bayern und Dortmund, zwei, gegen die er nun schon verloren hat, gehörten nun mal zu den Titel-Favoriten. Angesichts der Fehlzündungen der brachial aufgerüsteten Millionentruppe sollte das wohl ein wenig die Aufregungen glätten – soweit das Städtchen Wolfsburg überhaupt Aufregung erzeugen kann.

Thomas Klichenstein und Ingo Durstewitz (FR) freuen sich über einen spektakulären Neustart der Frankfurter Saison: „4:0 vermöbelten die Hessen die Gladbacher Borussia, die nach ihrem kurzen Höhenflug sehr brachial in der Realität aufschlug. Wer sich auf die Suche nach den Gründen für den unerwarteten Frankfurter Coup, diesen Befreiungsschlag, begab, landete unausweichlich in einem Mönchengladbacher Hotel, in dem sich die Eintracht-Entourage auf das Auswärtsspiel vorbereitete. Am Freitagabend trommelte Michael Skibbe also den Mannschaftsrat zusammen, zu einer Art Lagebesprechung, manch einer mag es auch Krisensitzung nennen. Der Trainer sprach in vertrauter Runde ein paar Dinge an, die zuletzt schiefgelaufen waren, aber vor allem trichterte er seinen Führungsspielern eines ein: ‚Wir dürfen unsere Linie nicht verlieren. Was wir uns in einem Jahr an Spielstärke erarbeitet haben, dürfen wir nach zwei Niederlagen nicht einfach so weggeben. Das müsst ihr in die Mannschaft tragen.‘“

Jörg Strohschein (Tagesspiegel) blickt auf den ersten Kölner Sieg nach fünf Monaten: „Diese letzte Minute im Kölner Stadion dürfte entscheidend für die Zukunft von Zvonimir Soldo gewesen sein. Hätte Richard Sukuta-Pasu gestern Abend in letzter Sekunde für den FC St. Pauli nicht das Kunststück fertig gebracht, den Ball aus zwei Meter Entfernung nicht im Tor des 1. FC Köln zu versenken, der Trainer der Rheinländer hätte wohl seinen Job verloren. So allerdings besiegten die Kölner den Aufsteiger aus Hamburg äußerst knapp und letztlich glücklich mit 1:0 und verhinderten mit dem ersten Saisonsieg in der dritten Bundesligapartie einen kompletten Fehlstart – und den ersten Trainerwechsel der jungen Saison.“

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Kommentare

4 Kommentare zu “Der Capitano schmollt”

  1. Marvin Nash
    Dienstag, 14. September 2010 um 11:30

    Super Freistoß des Tages. Ich wollte das Video schon weiterempfehlen. Leider wurde es entfernt. Habt Ihr vielleicht noch einen anderen Link, der nicht unbedingt bei Youtube ist? Die sind immer so schnell mit dem Löschen dabei. Wäre toll.

  2. Putenputter
    Dienstag, 14. September 2010 um 23:48

    „ansehnliches und taktisch variables Kurzpassspiel“ bei Mainz? Am Sonntag? In welchem Stadion soll das bitte stattgefunden haben? Im Mainzer Bruchweg sicherlich nicht, das war eher dumpfes, unüberlegtes Rumstolpern mit 10 guten Minuten zwischen der 68. und der 78. Schade, dass es gereicht hat und diese eklige Verein weiterhin so gehypt wird.

  3. kaheibra
    Mittwoch, 15. September 2010 um 10:52

    Hallo Puttenputter,
    Deutsche Sprache – schwere Sprache. „Diese eklige Verein“ ist hat besser als die Pfälzer Bauerntruppe und das „Rumgestolpere“ hat ausgereicht euer Herzblut zum gerinnen zu bringen.

  4. Putenputter
    Donnerstag, 16. September 2010 um 02:17

    Mit meinem vermeintlichen Herzblut und irgendwelchen Bauerntruppen hat das nichts zu tun. Eher mit der Art und Weise, wie sich die deutsche Sportpresse mal wieder an etwas klammert, was nicht ist. Mainz spielt weder ansehnlich guten, noch mit irgendwelchen taktischen Finessen angereicherten Fußball. Mainz spielt mit Einsatzbereitschaft, mit Willen und reitet auf einer Welle. Nicht mehr. Und nicht weniger. Und eklig bleibt dieser schmierige Club mit seinen schmierigen Verantwortlichen dennoch.

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