Bundesliga
Dem Schalker Puzzle fehlen Teile
| Montag, 20. September 2010Nach einem Revierderby, das von seltener Einseitigkeit geprägt war, sorgt sich die Presse um Schalke 04 und das Projekt Felix Magath
Ulrich Hartmann (SZ) empfindet fast schon Mitleid mit chancenlosen Schalkern: „Um 19.21 Uhr am Sonntagabend stand der FC Schalke 04 endgültig als punktloser Tabellenletzter fest. Die Dortmunder Fans brüllten ‚Absteiger!‘, und die Schalker Spieler schlichen vom Feld, als sei diese hämische Prophezeiung bereits nach dem vierten Spieltag die nackte Wahrheit. Mit vier Niederlagen war der FC Schalke 04 in seiner Bundesliga-Historie noch nie in eine Saison gestartet. Ohne den Hauch einer Chance unterlagen die Schalker einer starken Dortmunder Borussia“
Richard Leipold (FAZ.net) stellt Schalke ein vernichtendes Zeugnis aus: „Wie so oft mangelte es ihnen an Spielwitz und an Mut, was ihre Fans dazu animierte, schon in der ersten Hälfte mehr Kampf einzufordern. Die Abwehr geriet des Öfteren in Bedrängnis, wie man es neuerdings von ihr kennt. Das Spiel nach vorn wiederum blieb meist im Ansatz stecken und führte allenfalls zu Standardsituationen. Die Schalker Fans bedankten sich lautstark bei Torwart Neuer, dass ihre Elf im ersten Durchgang mit nur einem Gegentor davongekommen waren.In den ersten Minuten der zweiten Halbzeit gingen die Königsblauen energischer zur Sache. Doch wo sich nun ein Wille andeutete, war immer noch kein Weg. Im Gegenteil: Die nun tiefer stehenden, auf Gegenstöße lauernden Borussen schlugen nochmals zu.“
Letzter Platz als Tief- oder Wendepunkt
Andreas Morbach (FR) rätselt über den Schalker Niedergang: „Im Schalker Team, im Sommer für stolze 36,9 Millionen Euro rundum renoviert, passte kein Puzzleteil zum anderem. Und obwohl die Dortmunder nach ihrem 4:3-Erfolg im ukrainischen Lwiw in der Europa League zwei Tage weniger Zeit zur Regeneration hatten als Magaths Lyon-Fahrer, waren die Schwarz-Gelben geistig reger, körperlich frischer – und vor allem: deutlich eingespielter. Verlass war beim ersten Derby, das Schalke seit der in Dortmund verspielten Meisterschaft im Mai 2007 verlor, bei der Magath-Elf nur deren allgemeiner Dilettantismus.“
Falk Schneider (Welt) singt bereits ein Abschiedslied für Felix Magath: „Der Grund für den desolaten Ist-Zustand kennt Magath genauso gut wie jeder Fan auf Schalke: Den Radikal-Umbau des Kaders hat die Mannschaft nicht vertragen Die Last-Minute-Transfers sind nicht ansatzweise integriert. Jose Manuel Jurado, von Atletico Madrid für 13 Millionen Euro gekommen, durfte bisher nur die letzten elf Minuten bei der 0:2-Niederlage in Hoffenheim auflaufen. Gerade Kreativspieler bräuchten eine lange Eingewöhnungszeit, rechtfertigte sich Magath unter der Woche. Auch der zweite Mittelfeldspieler, Ciprian Deac, kann mit seinem Start auf Schalke nicht zufrieden sein. Zwei Startelf-Chancen erhielt der rumänische Zugang vom CFR Cluj. Zweimal wurde er zur Halbzeit ausgewechselt. Und Innenverteidiger Nicolas Plestan drängt sich kaum als Alternative zu Christoph Metzelder im Abwehrzentrum auf. 15 Spieler gab Magath ab, 13 neue Männer holte der sportliche Alleinherrscher. Wie effektiv Transferpolitik sein kann, bewiesen ausgerechnet die Dortmunder: Die Zugänge Shinji Kagawa und Robert Lewandowski erzielten die Tore zum hochverdienten 3:1. Der momentane Tabellenplatz 18 wird, unabhängig wie lang die Magath-Ära auf Schalke dauert und wie sie endet, eine Wegmarke bleiben: Entweder als Anfang vom Ende oder als der Tiefpunkt auf dem Weg zum Gipfel.“
Südwest-Dominanz
Christof Kneer (SZ) feiert die neue Bundesliga: „Noch bevor am 11.11. der Karneval beginnt, könnte in Mainz schon groß gefeiert werden. Am Wochenende zuvor wird der 11. Spieltag stattgefunden haben, und wenn das so weitergeht, werden die Mainzer nach diesem 11. Spieltag eine rauschende Klassenerhalts-Sause ausrichten. Vorausgesetzt natürlich, sie werden bis dahin alle Spiele gewonnen haben (woran inzwischen keiner mehr zweifelt), was dann 33 Punkte ergeben würde. 33 Punkte haben zuletzt fast immer gereicht.Der FSV Mainz 05 ist zurzeit besser als erlaubt, und er steht nicht allein mit diesem Verstoß gegen die Branchengesetze. Auch der SC Freiburg und der 1.FC Kaiserslautern haben es sich auf Tabellenplätzen bequem gemacht, auf die sie laut Marktanalyse nicht gehören. Dem Establishment zum Trost sei angemerkt, dass die drei Aufmüpfigen auf diesen Tabellenplätzen eher nicht bleiben werden; dennoch sollte sich das Establishment gut überlegen, warum sein kann, was nicht sein darf.“
Peter Heß (FAZ) erklärt die neue Südwest-Dominanz der Tabelle: „Das Prinzip, den Gegner mit dem Ziel der frühen Balleroberung unter Druck zu setzen, erfordert zweierlei: eine hart zu erarbeitende Laufstärke und ein überdurchschnittliches taktisches Verständnis der Spieler. Denn wer im falschen Moment attackiert, ohne die nötige Unterstützung von den Nebenleuten, der wird schnell ausgespielt. Wer sich aber auf das gewagte Spiel einlässt und es zu beherrschen lernt, kann im Kollektiv die individuelle Überlegenheit eines Gegners kompensieren. Kurz gesagt, es ist ein System für ehrgeizige, leistungswillige, am besten junge Außenseiter. Zwar bringt das Spiel „gegen den Ball“ auch den Bayern, Werder oder Wolfsburg Vorteile. Aber je größer die Dichte an etablierten Stars mit hohem Spielvermögen und ausgeprägtem Ego, je facettenreicher ihre Kombinationsmöglichkeiten sind, desto weiter rückt die unbequem aufwendige taktische Alternative in den Hintergrund. Dass die Außenseiter gerade jetzt so erfolgreich sind, hat auch mit der aktuellen Schwäche der Großen zu tun. Nach den Belastungen der Weltmeisterschaft und der drei Länderspiele, die der kurzen Pause schon folgten, sind die mit Nationalspielern durchsetzten Teams noch nicht richtig ins Rollen gekommen. Die individuelle Klasse wird sich im Saisonverlauf schon durchsetzen. Deshalb gehen die Bayern auch verhältnismäßig gelassen mit den sieben Punkten Rückstand zu Tabellenführer Mainz um. Stünden Schalke, Leverkusen oder Werder ganz oben, wäre das Lamento sicher größer.“
Bayern mit Geduld
Moritz Kielbassa (SZ) fragt sich, ob auch in München von einem Fehlstart gesprochen werden kann: „Die Bayern befinden sich im inneren Zwiespalt. Fünf Punkte aus vier Partien entsprechen exakt dem Stotterstart des Trainers Louis van Gaal 2009 – nur war damals das vierte Spiel eine befreiende Robben/Ribéry-Gala gegen Wolfsburg (3:0). Dreimal in Serie gar nicht ins Tor trafen die Söhne Gerd Müllers in der Liga zuletzt anno 1998, als Kaiserslautern Meister wurde. Auch jetzt muckt der Südwesten der Republik an der Spitze auf, zwei dieser Herausforderer treffen die Bayern im weiteren Wochenverlauf: Hoffenheim (Dienstag) und Mainz.“
Oliver Trust (Tagesspiegel) sorgt sich um Borussia Mönchengladbach: „Vor allem die Art und Weise der Niederlage dürfte in der Führungsetage am Niederrhein blankes Entsetzen ausgelöst haben. Zu keinem Zeitpunkt erweckten die Borussen-Profis den Eindruck, sie wollten sich wehren oder strebten zumindest einen Punktgewinn in Stuttgart an. Sie ließen sich bereitwillig auseinander nehmen und vorführen.“
Matti Lieske (Berliner Zeitung) sieht Diego in einer neuen Rolle: „Mit seinem spektakulären Tor und seinem theatralischen Abgang übertünchte Diego ein wenig die Schwere und Vergeblichkeit, die seinen Bemühungen, dem Wolfsburger Angriffsspiel Struktur zu verleihen, zuvor angehaftet hatte. Anders als früher Zvjezdan Misimovic, der das Spiel aus der Tiefe organisierte, wird Diego von McClaren fast auf einer Linie mit den Stürmern, diesmal Dzeko und Grafite, positioniert. Den Ball erhält er so meist weit vorn, seine Optionen sind dadurch begrenzt. Angesichts der Indisponiertheit von Grafite bleiben in der Regel nur zwei Varianten: Solo oder Dzeko. Das Wolfsburger Spiel ist statisch, berechenbar und hängt nahezu vollständig von der individuellen Klasse der Protagonisten ab. Gegen Hannover reichte das.“
Kommentare
1 Kommentar zu “Dem Schalker Puzzle fehlen Teile”
Montag, 20. September 2010 um 20:58
tja, da haben wir wieder den Zusammenhang zwischen Vereinsnamen und dem Resultat:
Schalke 04 = null Punkte, vier Spiele.
Jedoch: Wer hätte das gedacht?