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Deutsche Elf

Trainer Sorgenlos

Matthias Nedoklan | Freitag, 8. Oktober 2010 Kommentare deaktiviert für Trainer Sorgenlos

Löw glaubt nicht an eine goldene Generation, sieht jedoch keine Probleme Schweinsteiger zu ersetzen. In der Türkei ist Guus Hiddink unter Druck

Michael Horeni (FAZ) stürzt sich in den Kampf um die deutsch-türkischen Talente: „Man wollte Özil ein bisschen schützen, und so trat der 21 Jahre alte Fußballspieler, der Deutschland bei der Weltmeisterschaft begeisterte und den der türkische Fußball schmerzlich vermisst, nur einmal bei einer offiziellen Pressekonferenz auf. Was er da sagte, klang zurechtgelegt, wie aus dem Handbuch für Fußball-Integration. Er lebe in der dritten Generation in Deutschland und er habe immer für Deutschland spielen wollen, sagte Özil. Aber so harmlos, wie Özil spricht, und so treuherzig, wie der deutsche und der türkische Verband tun, wenn es um Spieler mit türkischen Wurzeln und um ihre Entscheidung geht, für welches Land sie spielen, geht es in der Wirklichkeit längst nicht zu. Es gibt einen Kampf um diese Spieler, um die Ressource Talent. Seit Özil in und für Deutschland Karriere macht, wird dieser Kampf auch wieder härter geführt.“

Sven Goldmann (Tagesspiegel) entlastet Mesut Özil, der im Moment viele Fragen abseits des Fußballs beantworten muss: „Als die deutschen Nationalspieler für ihre Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland mit Kreuz und Lorbeerblatt geehrt wurden, da steckten die Frau Merkel und der Herr Özil kurz die Köpfe zusammen. Es ist wohl davon auszugehen, dass es in diesem Gespräch weniger um Fußball ging denn um Integration und die dritte Generation der ausländischen Gastarbeiter. Diese dritte Generation wird im Deutschland des Herbstes 2010 so ausführlich diskutiert wie früher das dritte Tor, wahlweise das von Bern oder Wembley. Das liegt auch und gerade an Fußballspielern, die wie Mesut Özil die multikulturelle Nationalelf als ‚bestes Beispiel für erfolgreiche Integration in Deutschland“ beschreiben.‘“

Die Revolution überholt Löw

Philipp Selldorf (SZ) verfolgt die Evolution der Nationalelf, die zur Zeit im Schnelltempo verläuft: „Aus der Mannschaft, die damals in Basel ein wenig vom alten deutschen Wettkampfgeist zur Hilfe nehmen musste, um die Türkei doch noch 3:2 zu besiegen und ins EM-Finale einzuziehen, werden beim Wiedersehen am Freitag in Berlin nur noch vier Spieler dabei sein. Philipp Lahm, Per Mertesacker, Miroslav Klose und Lukas Podolski sind der Rest der 13 Männer, die in der Schweiz eingesetzt wurden. Dafür, dass die Partie erst zwei Jahre und drei Monate zurückliegt, ist das eine ziemlich hohe Verlustquote, doch der Gang der Evolution in der Nationalelf hat sich stark beschleunigt. Wenn Joachim Löw erklärt, dass sein bei der WM gefeiertes Team keinen Wandel brauche, weil sie den Wandel durch den Einbau von Spielern wie Müller, Khedira oder Özil ja gerade erst exerziert habe, drückt er zwar seine volle Überzeugung aus – aber die ganze Wahrheit ist es nicht. Die ganze Wahrheit ist, dass der Wandel nun schon unerbittlich fortschreitet und in gewisser Weise sogar den Meisterplaner Löw zu überholen scheint.“

Thomas Hummel (sueddeutsche.de) erwartet eine goldene Generation des deutschen Nachwuchses: „Weil der Deutsche Fußball-Bund (DFB) nach den düsteren Jahren zwischen 1998 und 2004 sein Jugendkonzept komplett umgestellt und verbessert hat, spuckt dieses System nun jedes Jahr die schönsten Fußballbegabungen aus. Doch während ein Holtby, ein Schürrle oder ein Götze wohl schon zehn Länderspiele hinter sich hätten, hätten sie ihre Karriere im Jahr 2004 begonnen, bremst Löw heute die Euphorie.“

Müller als Schweinsteiger-Ersatz

Matti Lieske (Berliner Zeitung) fahndet nach einem Schweinsteiger-Ersatz: „Der Bundestrainer liebt jedoch Herausforderungen und ist sowieso der Meinung, dass eine wirklich gute Mannschaft den Ausfall jedweden Spielers verkraften kann. Daher hatte Löw gestern schon mehrere Lösungen für sein Personalproblem im Zentrum des Spiels parat. Eine naheliegende Variante ist die mit dem Bayern-Spieler Toni Kroos, der den Part schon mehrfach zur Zufriedenheit bekleidet hat und dessen Nominierung die rationalste Lösung wäre. Christian Träsch wiederum hat mit Sami Khedira beim VfB Stuttgart zusammengespielt, weshalb auch sein Einsatz für Löw in Frage kommt. Überraschenderweise nannte der Bundestrainer aber auch noch Thomas Müller als Alternative, ein Modell, das ihn besonders zu verlocken scheint, weil es seinen ausgeprägten Sinn für das Unkonventionelle anspricht.“

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) freut sich auf den VW-Käfer der deutschen Innenverteidigung: „So blickt Mertesacker nun ausgeruhter als mancher Kollege dem EM-Qualifikationsspiel an diesem Freitag gegen die Türkei in Berlin entgegen. Er wird den Abwehrchef der deutschen Nationalmannschaft geben, als sei nichts gewesen – und er wird, dank seinem Sinn für Timing, kein einziges Länderspiel verpasst haben. Seit Jahren ist Mertesacker einfach immer da, wenn er gebraucht wird. Er funktioniert. Er ist verlässlich. Er erträgt all die Irrungen und Wirrungen um sich herum mit bemerkenswerter Gelassenheit. Bei Werder Bremen muss er mal wieder damit leben, dass hinter ihm sein Torwart ständig Bälle aus dem Netz holen darf und er danach die Frage beantworten soll, woran das liegt.“

Emre als Symbol für die Türkei

Tobias Schächter (SZ) blickt auf den Kapitän der Türkei: „Seit Galatasaray Istanbul Ende der neunziger Jahre unter Trainer Fatih Terim internationale Erfolge feierte, prägt der mittlerweile 30-jährige Emre den Fußball in seinem Land. Schon mit 17 debütierte er im Europacup, gewann mit Galatasaray viermal nacheinander die Meisterschaft und 2000 den Uefa-Cup. Der kleine Techniker war auch einer der besten Spieler der WM 2002 in Japan und Südkorea, wo die Türken überraschend als Dritter das Turnier beendeten. Er spielte zudem sieben Jahre lang im Ausland, bei Inter Mailand und Newcastle, bevor er 2008 heimkam, zu Fenerbahce. Aber Emre Belözoglu steht wie sein Förderer Terim auch für all die negativen Auswüchse der türkischen Fußballkultur. Als die Türken in der Qualifikation für die WM 2006 an der Schweiz scheiterten, verprügelten nach dem entscheidenden Spiel türkische Spieler Schweizer Profis und Verantwortliche. Auch Emre war einer, der die Niederlage nicht akzeptieren wollte: Er wurde damals für vier Spiele vom Weltfußballverband gesperrt.“

Thomas Seibert (Tagesspiegel) beobachtet die türkischen Zeitungen: „Die Debatte über die Verletzung von Spielmacher Arda Turan geht weiter, der für das Spiel am Freitag ausfällt. Turan, der sich Anfang September einen Bänderriss zugezogen hatte, verletzte sich während der Vorbereitung auf das Spiel gegen Deutschland erneut. Nationalspieler Emre Belözoglu, ein ehemaliger Mannschaftskamerad von Turan bei Galatasaray, machte den Kunstrasen auf dem Trainingsgelände für die vielen Verletzungen der Galatasaray-Spieler verantwortlich, was ‚Hürriyet‘ als ‚schreckliche Wahrheit‘ bezeichnete.“

Hiddink muss die Türken zur EM führen

Timur Tinc (FR) fordert Erfolge von Guus Hiddink: „Bislang gewann die Türkei zwar alle drei Spiele unter der Leitung Hiddinks, konnte aber spielerisch noch nicht überzeugen. Dem 2:0 gegen ein schwaches rumänisches Team folgten ein glanzloser 3:0-Sieg gegen Kasachstan sowie ein mühsamer 3:2-Erfolg gegen Belgien. Gerade im Spiel gegen die Belgier kamen erste Zweifel auf, weil Hiddink mit nur einer Spitze agieren ließ -− mit Tuncay Sanli vom englischen Premier-League-Klub Stoke City, der aber kein Mittelstürmer, sondern offensiver Mittelfeldspieler ist. Hiddink erkannte seinen Fehler, wechselte zur Pause Semih Sentürk (Fenerbahce) ein, zog Tuncay ins zentrale offensive Mittelfeld zurück und prompt kam mehr Tempo in das Spiel der Türken, die alle drei Treffer im zweiten Spielabschnitt erzielten. Solche taktischen Fehler darf sich Hiddink, der rund vier Millionen Euro verdient, gegen eine Spitzenmannschaft wie Deutschland nicht erlauben. Denn seine Vorgabe ist klar: Die Türken wollen 2012 in Polen und der Ukraine dabei sein.“

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