Bundesliga
Die Rückkehr der Abteilung Attacke
Kommentare deaktiviert für Die Rückkehr der Abteilung Attacke
| Dienstag, 2. November 2010In München fährt Bayern-Präsident Uli Hoeneß schwere Geschütze auf und geht auf Kollisionskurs mit Louis van Gaal. In Dortmund prophezeien die Statistiken große Feierlichkeiten im nächsten Jahr
Peter Ahrens (Spiegel Online) wittert Kalkül hinter den Worten des Bayern-Präsidenten: „Hoeneß hat in seinen 30 Jahren als Manager unzählige Attacken geritten, er hat Spieler kleingemacht, Trainer brüskiert, Vorstände von Gegnermannschaften bis an die Grenze des Erträglichen beleidigt. Aber ein solch massiver Angriff auf den eigenen Trainer, ist auch für Hoeneß etwas neues – wobei er betonte, dass er sich diese Worte über Wochen genau überlegt habe. Die Theorie, hier seien mit dem leicht entflammbaren Hoeneß die Gäule durchgegangen, kann man also getrost vergessen. Vielmehr war Hoeneß‘ Attacke kalkuliert, womöglich gar inszeniert. Der FC Bayern ist vor Jahren als FC Hollywood bezeichnet worden, und immer noch wird vieles, was die Vorstandsetage in der Öffentlichkeit veranstaltet, wie auf einer Theaterbühne aufgeführt. Ein Trainer, den man gerade erst mit einem neuen Vertrag ausgestattet hat, desavouiert man nicht kurze Zeit später. Ein solcher Anfängerfehler würde Hoeneß niemals unterlaufen. Intern ist van Gaal noch unumstritten – trotz der deutlichen Worte. Hoeneß und van Gaal – das sind zwei von ähnlichem Schlag. Von sich überzeugt und von dem, was sie tun. Rechthaberisch sind sie beide, Selbstzweifel sind ihnen fremd. Dass Hoeneß nach Monaten der Beobachtung, wie er sagt, jetzt zu der Erkenntnis gelangt sein soll, bei dem Holländer handele es sich um einen schwierigen Charakter, ist geradezu erheiternd.“
Hoeneß stellt sich vor den Klub wie eine Löwin vor ihre Jungen
Lars Wallrodt (Welt Online) stärkt Hoeneß den Rücken: „Der Zeitpunkt der Attacke überraschte auf den ersten Blick. Da zeigt der kriselnde Meister und Pokalgewinner beim Sieg über Freiburg einen Hauch von Formsteigerung, und Hoeneß trampelt über das zarte Pflänzchen der Hoffnung hinweg wie der Anführer einer Elefantenherde. Zu einer Unzeit? Mitnichten! Hoeneß ist nie mit dem Strom geschwommen, und sein Nonkonformismus hat ihn zum erfolgreichsten Fußballmanager Deutschlands, wenn nicht der Welt gemacht. Kritik äußert er eben nicht, wenn die Heerscharen der Experten ohnehin mit spitzem Stift oder gespitzten Lippen auf die Bayern losgehen. Im Gegenteil: Dann stellt er sich vor den Klub wie eine Löwin vor ihre Jungen. In Zeiten der Krise, wo Stars wie Franck Ribery, Arjen Robben oder nun auch Ivica Olic ausfallen, müssen die Geschassten in die Bresche springen. Van Gaal aber hat den Erfolg gefährdet, indem er stets nur die ihm genehmen Spieler stärkte. Auf diesen Missstand hinzuweisen, ist das Recht und die Pflicht des Vereinsoberhauptes Uli Hoeneß.“
Jörg Hanau (FR) sieht zwei Alphatiere auf Kollisionskurs: „Die Seismologen rund um die Säbener Straße registrieren seit Wochen böse Schwingungen. Seit sechs Monaten beiße er sich schon auf die Zunge, sagt der Beckenbauer-Erbe. Die Eruption war also überfällig. Sie ist nicht nur seinem Temperament geschuldet. Hoeneß, das Alphatier, sieht nicht länger zu, wie aus dem FC Bayern der FC van Gaal wird. Der Klub ist größer als alle, die ihm dienen. Das war und ist Hoeneß’ Credo. Dass die Marke van Gaal den Arbeitgeber in den Schatten stellt, stinkt diesem gewaltig. Für „Mister Bayern“ ist der Mann aus Amsterdam, der sich zur bayerischen Gottheit erklärt hat, auch nur ein weiterer Angestellter. Fragt sich, wie lange noch.“
Peter Müller (derwesten.de) ist gespannt auf einen möglichen Konter des Holländers: „Es wird darüber spekuliert, dass van Gaal an diesem Dienstag im Vorfeld des Champions-League-Spiels am Mittwoch beim rumänischen Meister Cluj kontern könnte. Die Reaktion des Niederländers wird zukunftsträchtig sein. So oder so. Für das künftige Arbeitsverhältnis sah Hoeneß `kein Problem`. Tatsächlich? Der alte Profi muss mögliche Folgen dessen, was er angerichtet hat, berücksichtigt haben. Der Trainer, vor wenigen Monaten als Meister und Pokalsieger gefeiert, ist unabhängig. Auch Uli Hoeneß wird wissen, dass Louis van Gaal Bayern München nicht nötig hat.“
Die Gefahr der Isolation
Thomas Hummel (SZ) sieht Uli Hoeneß in einer gefährlichen Situation: „Dass der stolze Niederländer und der stolze Schwabe nicht das allerbeste Verhältnis pflegen, klang zwar mitunter durch. So wehrte sich van Gaal gegen die Einmischung des Präsidenten, weil er dessen Fußball-Sachverstand bei weitem nicht so hoch einschätzt wie dieser selbst. Das ärgert Hoeneß offenbar mehr als bislang vermutet. Der FC Bayern München ist das Lebenswerk des ehemaligen Managers. Dass nun der niederländische Trainer die Entscheidungsmacht an sich zieht, passt dem alten Patriarchen nicht. Kommt es nun zum Machtkampf in München? Hoeneß dürfte Van Gaal richtig einschätzen, dieser dürfte mit einer derart harschen Kritik nicht einverstanden sein. Doch Hoeneß läuft Gefahr, sich zu isolieren: Weite Teile der Mannschaft stehen zum Niederländer, selbst die Aussortierten wie Timoschtschuk, Gomez oder Demichelis haben bislang noch kein schlechtes Wort über den Trainer verloren und schätzen seine zwar bisweilen harte aber ehrliche Art. Sportdirektor Christian Nerlinger, Nachfolger von Hoeneß, gilt ebenfalls als Van-Gaal-Befürworter.“
Christian Eichler (FAZ) fasst die Bayern-Philosophie in einem Reim zusammen: „Es ist, als müsse ein neuer Bayern-Trainer erst einmal ein Gebet auswendig lernen: `Ich bin klein, mein Herz ist rein, nur dann kann ich hier Trainer sein`. Van Gaal hat sich so nie verhalten, im Gegenteil: Noch nie gab es dort einen Trainer, der sich so demonstrativ unabhängig zeigte. Man ließ es ihm durchgehen, weil gerade noch rechtzeitig der Erfolg einsetzte. Eines aber darf auch ein erfolgreicher Bayern-Trainer nie: allzu eigenmächtig mit dem zur Verfügung gestellten Humankapital umgehen. Das nämlich, der kostbare Kader und die wirtschaftliche Basis, die ihn erst ermöglicht, sind das Lebenswerk von Hoeneß. Und das schützt er gegen jeden Angestellten.“
Irgendwann läuft das Fass halt über
Thomas Becker (taz) sorgt sich um den vorläufigen Verlust gemütlicher Münchener Rituale: „Hoeneß Dynamitsätze platzen mitten in eine Phase, in der die Tendenz sportlich Richtung München zu kippen scheint. Fragt sich, warum der Präsident ausgerechnet jetzt mit Erkenntnissen wie dieser rausrückt: `Es ist ähnlich wie bei Felix Magath: Ein Fußballverein darf heutzutage keine One-Man-Show mehr sein.` Die Antwort: Hoeneß hielt es einfach nicht mehr aus. Mit dem Wechsel auf den Präsidentenposten verordnete er sich ein Redeverbot in der Erregung unmittelbar nach dem Spiel. Aber irgendwann läuft das Fass halt über. Wenn Hoeneß vom Leder zieht, dann richtig. Schwer vorstellbar, dass die zwei Super-Egos vor der Champions-League-Partie am Mittwoch in Cluj gemütlich beim Rotwein sitzen, wie das mit dem braven Unterordner Ottmar Hitzfeld jahrelang zelebriert wurde.“
Feierliche Aussichten in Dortmund
Torsten Schabelon (derwesten.de) mit Zahlen, Fakten und besten Aussichten für die Dortmunder: „Das 2:0 in Mainz war der fünfte BVB-Auswärtssieg seit Saisonbeginn in Serie, Bundesliga-Rekord. Dortmund ist Tabellenführer, hat die meisten Tore erzielt, die wenigsten kassiert und hält einen Zehn-Punkte-Vorsprung auf die Bayern. Mit sieben Siegen in Serie waren die Bayern (1995) und Kaiserslautern (2001) gestartet. Beide Male hieß der Meister BVB. Dieses Jahr hat Mainz 05 sieben Siege zum Saisonstart hingelegt. Bei der Borussia genießt man den Moment. Und wird ernst, wenn es um das Thema Meistertitel geht. Eine Aussicht, über die die Dortmunder so gerne reden wie die FDP nach Wahlen über eine große Koalition.“
Tobias Schächter (SZ) schwärmt vom Dortmunder Mario Götze: „Der größte Hingucker bei der Borussia neben dem dynamischen Kevin Großkreuz und dem gewitzten Shinji Kagawa war der erst 18 Jahre alte Mario Götze. Dieser Junge hat alles im Repertoire, was ein Offensivspieler haben muss und ist mit seiner fantasievollen Art Fußball zu spielen fast schon unverwechselbar. Bleibt Götze gesund, sind seiner Entwicklung kaum Grenzen gesetzt. Das gilt wohl auch für die Borussia, die in der Form von Mainz ein ganz heißer Titelanwärter ist.
Dortmund mit bestem Angriff und bester Abwehr der Liga
Christoph Bierman (Spiegel Online) teilt die Beurteilung der Situation von Mainz 05-Manager Christian Heidel: „Die zutreffende Einschätzung zur Lage lieferte der Manager von Mainz 05. Er trompetete laut durch die Katakomben des Stadions am Bruchweg, dass die Bayern aus München ganz schön was zu tun hätten, wollten sie diese Dortmunder noch einholen. Zehn Punkte liegen die Münchner als Tabellensiebter zurück – sind gefühlt aber immer noch erster Verfolger der Dortmunder. Das ist eine Menge, denn der BVB hat acht von zehn Spielen gewonnen und nur den Saisonauftakt gegen Leverkusen verloren. Klopps Mannschaft hat mit 23 die meisten Tore geschossen, mit sieben die wenigsten kassiert. Und die Partie in Mainz legt nahe, dass die Tendenz nachhaltig ist. Beide Vereine haben moderne Mannschaften, die ihr Spiel sehr geplant anlegen. Im Vergleich zu den Mainzern aber verfügt die Borussia über eine größere Zahl individuell außergewöhnlicher Spieler. Beim Sieg in Mainz glänzte vor allem der 18-jährige Mario Götze als Matchwinner. Er schoss das erste Tor und bereitete das zweite vor.“