Champions League
Das Comeback des Uli H.
| Donnerstag, 4. November 2010Uli Hoeneß kehrt nach seiner öffentlichen Kritik wieder in die innersten Bayern-Zirkel zurück. Außerdem: Schalke zittert um die Champions League, Bremen darf nur noch träumen.
Bei Zeit Online liefern sich Oliver Fritsch (Pro) und Christian Spiller (Contra) ein Pro und Contra über den Streit zwischen der Bayern-Führung: „Van Gaal gewinnt aber dank einer Spielidentität, nicht dank wirtschaftlicher Potenz. Teure Stars verlangt er nicht, lehnt sie gar ab, wenn sie Zicken machen. Van Gaal hat sein eigenes Modell, man könnte auch sagen, er versteht mehr vom Fußball als Hoeneß. Und er zeigt das offen.Van Gaal mag ein skurriler, autokratischer Trainer sein. Luca Toni soll er buchstäblich an den Ohren gezogen haben, um ihm Tischmanieren beizubringen. Unter Jürgen Klinsmann durfte sich die italienische Stürmerdiva noch beim Vorstand ausheulen, van Gaal lässt das nicht zu. Doch kann er im Umgang mit seinen Spielern nicht viel falsch gemacht haben. Seine Spieler nehmen seinen schrägen Humor in Kauf. Dass er der Presse, aber auch dem Vorstand und dem Präsidenten die Stirn bietet, wird seine Autorität unter den Profis zusätzlich stärken.
„Es gibt da diese nicht belegte Geschichte. Als er in der vergangenen Spielzeit Luca Toni, damals noch eine Art Star, zur Halbzeit auswechselte soll Louis van Gaal mit heruntergelassener Hose vor seiner Mannschaft in der Kabine gestanden haben. „Wisst ihr warum ich Luca Toni ausgewechselt habe?“ Schweigen. „Weil ich Eier habe“, sagte er und zeigte nach unten. Schweigen. Ein Irrer. Wer kann einen solchen Trainer noch ernst nehmen? Die Krisen von Louis van Gaal und Felix Magath und der gleichzeitige Erfolg des Jürgen Klopp und Thomas Tuchel zeigen: Die autoritären Trainer haben sich überlebt. Der Fußball braucht keine Generäle, keine Diktatoren, sondern Trainer, die die Zwischentöne treffen. Was auf Spielerebene schon durch die Ausbootung vermeintlicher Leitwölfe wie Michael Ballack oder Thorsten Frings begonnen hat, wird sich auch im Trainergeschäft durchsetzen. Ein moderner Trainer überzeugt durch Einfühlungsvermögen, Kommunikation, nicht durch archaische Gesten aus der Zeit des Werner Lorant.“
Hoeneß rückt wieder ins operative Geschäft
Andreas Burkert (SZ) beleuchtet die Hintergründe für den offenen Bayernzwist: „Wie van Gaal nun weiter mit dem Vorfall umgeht, ist offen. Vor sechs Jahren hat er mal seinen Posten als Direktor von Ajax Amsterdam rasch niedergelegt, weil er die Unterstützung der Klubspitze vermisste. Diesmal sei ein Rücktritt seit Beginn des Streits am Sonntag niemals zur Debatte gestanden, sagt ein Beteiligter. Dafür schätze der Trainer zu sehr die Arbeit mit dem Team, das mehrheitlich hinter ihm steht. Ob er nun seinen kürzlich bis Juni 2012 verlängerten Vertrag erfüllen wird, hängt vielleicht auch von der internen Aufarbeitung des Vorgangs ab. Wer das Kleingedruckte des Friedensabkommens von Cluj liest, dem erschließt sich bereits eine gravierende Änderung, die Hoeneß womöglich beabsichtigte: Er, der – nach drei Jahrzehnten als Manager – vorigen Herbst ins Ehrenamt und Kontrollorgan wechselte, er rückt wieder näher an das Geschehen heran. ‚Es wurde vereinbart, künftig öfter sich genau in diesem Kreis zu treffen und alle anstehenden Themen zu besprechen‘, heißt es in der Bayern-Depeche zur Aussprache. Hoeneß soll offenkundig wieder an den ‚Montagsgesprächen‘ zwischen Vorstand und Trainer, die alle zwei, drei Wochen stattfinden, teilnehmen. Er wäre somit zurück im operativen Geschäft.“
Schalke ist einsturzgefährdet
Philipp Selldorf (SZ) fürchtet sich um den FC Schalke 04: „Die Abwehr, die nach herrschender Meinung das größte Problem für Magaths einsturzgefährdetes Umbauprojekt darstellt, hat in den vergangenen fünf Spielen nur zwei Gegentreffer zugelassen. Daraus ergibt sich, dass Schalke schon jetzt eine Zukunft im Europacup besitzt, auch 2011 werden Gäste aus dem Ausland nach Gelsenkirchen reisen. Vorerst ist allerdings lediglich das Fortleben in der Europa-League gesichert, und hier enden schon die erfreulichen Tatsachen. Wie kritisch es um den Zustand des Teams bestellt ist, das gab auch in Tel Aviv beispielhaft Benedikt Höwedes zu erkennen. Der Innenverteidiger hat auf dem Spielermarkt einen guten Ruf und hohen Wert, deshalb hat die Klubführung, die damals noch nicht Magath hieß, seinen Vertrag bei der Verlängerung vor anderthalb Jahren teuer vergoldet. Er ist ein ruhiger und besonnener Spielertyp, und er ist in Schalke groß geworden, der Verein ist ihm nicht egal. Man sieht das jetzt an seiner Spielweise und seinem Verhalten auf dem Platz, das keine Ruhe und Besonnenheit mehr ausstrahlt, sondern Hektik, Erregung und emotionale Überanstrengung. Er begeht Stellungs- und Konzentrationsfehler, die seine Qualitäten verhöhnen, und man kann dafür nicht mal Christoph Metzelder einen Vorwurf machen. Metzelder hat längst aufgehört, ein Sündenbock oder Problem für Schalkes Fans zu sein. Es herrschen zwar weiterhin Sehnsüchte nach dem alten Abwehrregenten Marcelo Bordon, aber das wird nicht mehr Metzelder angelastet, der sich sportlich verbessert hat. Das wird anerkannt, und seine dunkle Dortmunder Vergangenheit ist ohnehin längst unwichtig im Verhältnis zur bedrohten Schalker Gegenwart.“
Jörg Strohschein (Tagesspiegel) vermisst Selbstbewusstsein: „Das 0:0 bei Hapoel Tel Aviv erhält den Königsblauen zwar alle Möglichkeiten, das Achtelfinale der Champions League aus eigener Kraft zu erreichen. Doch das Ende der Krise ist auch nach dieser Begegnung noch lange nicht in Sicht. Zumindest in diesem Wettbewerb sollten Attribute wie Verunsicherung, Misstrauen in die eigenen Fähigkeiten oder kollektive Angst bei der Mannschaft von Felix Magath keine Rolle spielen. Der Trainer hatte wie in einer Dauerschleife darauf verwiesen, dass die Leistungen seiner Mannschaft sowohl im internationalen Wettbewerb als auch im heimischen DFB-Pokal stets vorzeigbar waren und auch ein Maßstab für die Leistungsfähigkeit seiner neu zusammengestellten Mannschaft gelten können. Doch die anhaltenden Misserfolge in der Bundesliga dürften dazu geführt haben, dass selbst dieses Selbstverständnis große Risse bekommen hat. Viel zu geringe Laufbereitschaft, ideenloses Aufbauspiel und kaum vorhandene Durchsetzungsfähigkeit kennzeichneten die ungenügenden Bemühungen der Schalker Profis. Sie arbeiteten wie ein schwerfälliger Güterzug.“
Bremer bejubeln Frings‘ Notbremse
Jörg Marwedel (SZ) sieht Bremen in einer tiefen Krise: „Das über Jahre von wunderbaren Ballstafetten verwöhnte Bremer Publikum ist neuerdings schon mit weniger zufrieden. Als in der 75.Minute der geniale Twente-Spielmacher Bryan Ruiz den Ball so gekonnt wie einst die Werder-Regisseure Johan Micoud, Diego oder Mesut Özil mit der Hacke mitnahm und aufs Bremer Tor zustürmte, als ihn Torsten Frings nur noch aufhalten konnte, indem er ihn am Trikotärmel zog, da folgten zwei Reaktionen: Die erste kam von Schiedsrichter Alain Hamer, der dem Werder-Kapitän die rote Karte zeigte; die zweite kam von den Rängen, wo die Fans den bestraften Übeltäter mit so viel Beifall überschütteten wie jemanden, der gerade mit einem Fallrückzieher das Siegtor erzielte. Sie sind inzwischen dankbar auch für Arbeitseinsätze mit weniger Kultur. Obmann Frings hatte sich ja, wie er später sagte, ‚geopfert‘, um das 0:1 zu verhindern. Es fehlte nur noch, dass er sich mit einer Verbeugung bedankt hätte für den Applaus. Genützt hat der unzulässige Eingriff des langsamer gewordenen Recken gegen diesen Dribbler der neuen Tempogeneration aber nichts. Er hatte zwar so das Führungstor der Niederländer vorerst verhindert, aber eben nur sechs Minuten lang.
Frank Heike (FAZ) verabschiedet Bremen aus der Champions League: „Schaaf hatte wegen einige Verletzungen und einiger Formschwächen die Mannschaft ziemlich durchgemischt – dass Torsten Frings auf seine alten Tage noch einmal Innenverteidiger würde spielen müssen, mag der Bremer Kapitän selbst kaum erwartet haben. Auch Wesley als linken Verteidiger und Prödl hinten rechts hatte man so nicht erwartet. Als stabilisierendes Element im Mittelfeld durfte sich Daniel Jensen versuchen. Er tat dem Bremer Spiel mit Aggressivität und Ballsicherheit gut. Die viel kritisierten Silvestre und Arnautovic ließ Schaaf erstmal draußen.Trotz einer ihrer besten Saisonleistungen haben die Bremer Fußballprofis am Dienstag ihre Hoffnungen in der Champions League begraben müssen.“
Lähmende Stille im Weserstadion
Frank Hellmann (Tagesspiegel) lauscht der Reaktion der Bremer Fans: „Selten hat im Weserstadion so eine lähmende Stille geherrscht wie am Dienstagabend. Schweigend nahm die hanseatische Stammkundschaft hin, dass sich die Talfahrt des SV Werder Bremen ungebremst fortsetzt. Nach den Aussetzern in der Liga und dem Scheitern im DFB-Pokal sind die Grün-Weißen auch in der Champions League komplett vom Kurs abgekommen. Manko der Hausherren: zu wenig herauskombinierte Torchancen, obwohl vor allem der später so unglücklich agierende Däne Jensen gemeinsam mit Aaron Hunt und Marko Marin unermüdlich das Spiel vorantrieb. Die beste Gelegenheit vergab ausgerechnet Torgarant Claudio Pizarro, der nur den Pfosten traf – beim anschließenden Nachschussversuch gab Sturmkollege Hugo Almeida nicht gerade die beste Figur ab.“
Andreas Lesch (Berliner Zeitung) sieht Bremen am Scheideweg: „Das 0:2 gegen Twente Enschede hat die Bremer gewaltig geschmerzt. Es hat nicht nur ihr erneutes Vorrunden-Aus in der Champions League fast besiegelt. Es hat ein bisschen ausgesehen, als gehe an der Weser etwas zu Ende. Nur so ist zu erklären, was nach dem Schlusspfiff geschah: Manager Klaus Allofs versammelte die Mannschaft zu einer mehrminütigen Spontansitzung in der Nähe des Mittelkreises, Schaaf sprach später in der Kabine außergewöhnlich lange zu den Spielern. Vor Jahren sind Schaafs Spieler in der Champions League an begeisternden Auftritten gegen europäische Spitzenteams wie den FC Chelsea und Real Madrid gewachsen. Nun sind sie an der Niederlage gegen Enschede geschrumpft. Schaafs Spieler entwickeln sich langsam zum Fall für Chaosforscher, so wild wirkt ihr Stil. Die These, sie spielten den frischesten, pointiertesten, modernsten Fußball der Bundesliga, ist überholt. Emporkömmlinge wie Borussia Dortmund, FSV Mainz und TSG Hoffenheim haben stimmigere Ensembles. Die Bremer leben ein wenig von ihrem Ruf der Vergangenheit. Eine Idee vom Spiel, die sie in guten wie in schlechten Zeiten trägt, haben sie zurzeit nicht. Von einer Jugendarbeit, die regelmäßig Talente im A-Team etabliert, ganz zu schweigen. Die Bremer werden sich neu ordnen und ihren Kader auffrischen müssen, wenn sie in der Zukunft bestehen wollen.
Kopflose Angriffe
Ralf Lorenzen (taz) sucht nach positiven Aspekten einer katastrophalen Bremer Woche: „Nach allen drei Niederlagen dieser englischen Woche, im Pokal bei den Bayern sowie gegen Nürnberg und Enschede, verbreiteten die Bremer die Gewissheit, eigentlich die bessere Mannschaft gewesen zu sein. Die Bremer Notabwehr, in der Frings den Innenverteidiger gab und Wesley den zuletzt desolaten Silvestre vertrat, konnte sich mehrfach bei Torwart Mielitz bedanken, dass es noch 0:0 stand. Auch dieses Unentschieden hätte Werder noch im Rennen gehalten, doch die Mannschaft rannte in Unterzahl kopflos in zwei Konter. Unter dem Strich steht eine englische Woche, an deren Beginn die Bremer noch in allen drei Wettbewerben vertreten waren und an deren Ende sie sich nun als Tabellen-Elfter auf die Aufholjagd in der Bundesliga konzentrieren können. Die Hoffnung, mit zwei Siegen gegen Tottenham Hotspur und Inter Mailand in Europa weiter mitspielen zu dürfen, erfordert neben viel Rechenkunst auch ‚viel Fantasie‘, wie selbst Optimist Schaaf einräumen musste.“
Kai Niels Bogena und Patrick Krull (Welt) sorgt sich um eine Ära: „Kurz nach dem Schlusspfiff geschah höchst Ungewöhnliches. Noch auf dem Platz trommelte Manager Klaus Allofs die Bremer Spieler zusammen. Sie sollten einen Kreis bilden und ihm Gehör schenken. Das hatte es in der Ära Allofs noch nie gegeben. Überhaupt ist so was in Werders Klubhistorie eine Rarität. Kapitän Torsten Frings hatte es mal nach einem 6:0 beim VfL Bochum vor vier Jahren getan; die Mannschaft solle nicht abheben, war damals seine Botschaft. Doch das war noch zu guten Zeiten. Weil diese Tage für die Bremer weit beschwerlicher sind, war Allofs Ansinnen, dass jeder den anderen bitteschön aufrichten solle. Allofs war ja schon dadurch auffällig geworden, dass er den Spielern wegen schlechter Leistungen einen Teil des Gehaltes vorübergehend gestrichen hatte. Doch er war am Mittwoch zu einer Stellungnahme nicht zu erreichen. Er sei außer Haus, hieß es. Dabei hätte es der Klärung bedurft, warum Werder Bremen erneut keinen Schritt weiter gekommen ist. Das Aus in der Champions League scheint besiegelt zu sein, die Bremer sind mit zwei Punkten Gruppenletzter und müssen noch das schwere Auswärtsspiel gegen Tottenham Hotspur und das Heimduell mit Titelverteidiger Inter Mailand über sich ergehen lassen.“
Kommentare
5 Kommentare zu “Das Comeback des Uli H.”
Donnerstag, 4. November 2010 um 14:35
Es wird mir zeitlebens ein Rätsel bleiben, wie sich Leute, die sich beruflich Gedanken über Fußball machen, zu solchen absoluten Aussagen hinreißen lassen. Nachdem Van Gaal gerade noch Meister und Pokalsielsieger wurde, nachdem er mit einer (im europäischen Vergleich) Billig-Mannschaft ins CL-Finale eingezogen ist.
Meine einzige Erklärung: Ihnen ist die eigene Aussage nicht wichtig, es geht nur um den Satz, um die „Starken Worte“ im Augenblick.
Donnerstag, 4. November 2010 um 16:13
Sehr guter Punkt, Herr Wieland: Es geht in dieser Art Journalismus offenbar immer nur darum, eine gänzlich überzeugend klingende Aussage zu haben. Dabei kommt dann so ein lächerlicher Absolutismus heraus.
Donnerstag, 4. November 2010 um 20:18
Warten wir halt wieder ein paar Monate ab, bis es heißt, dass „Spielerversteher“ als Trainer nicht gefragt sind und man doch nur mit harter Hand Titel einfahren kann. Und weiter geht es in der Achterbahn…
Donnerstag, 4. November 2010 um 21:08
sehe ich genauso. Letzte Saison waren van Gaal und Magath (1+2) das Maß aller Dinge, jetzt sind Klopp und Tuchel eben die Vorbilder.
Mich würd mal mehr über die allgemeine Trainingslehre und derartige Hintergründe interessieren, leider greift ein Journalist selten das Thema auf.
Christoph Biermann hat im Buch „Die Fußball-Matrix“ mal ein längeres Kapitel für Guus Hiddink reserviert, doch der ist nach den Türkei-Misserfolgen wohl auch nicht mehr gefragt.
Montag, 8. November 2010 um 08:10
Leider braucht die Presse immer was zum Schreiben. Und da es immer um Aufmerksamkeit geht und die Presse befürchtet, dass bei sinnvoller und qualitativer Analyse die Verkaufszahlen sinken, schreien sie halt mit.
Und dazu gehört, dass Trends in den Himmel gelobt werden und das Übrige totgeschwiegen oder niedergeschrieben wird.
Angesichts dessen ist es schon seltsam, dass keiner Hannovers Slomka in den Himmel gelobt hat, als er sein Team auf Platz 3 geführt hat, oder?
Nun, nachdem man ihn bei Schalke totgeschrieben hat, eignet er sich halt nur noch als medialer Boxsack.
Anstatt die Schwächephase der Vereine mit WM – Nationalspielern als das zu betrachten, was es ist, nämlich als logische Folge, ist eben nicht einträglich genug.
Die Pharmaindustrie verkauft ihre Produkte auch nur, wenn Panik herrscht.