Bundesliga
Kölner Chaos, Mainzer Sinkflug und Bremer Bescheidenheit
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| Montag, 15. November 2010Der Fußball-Gott hat derzeit wahrlich keine Narrenkappe auf. Während sich die Situation bei den Kölnern nach der Schmach gegen Gladbach immer weiter zuspitzt, befinden sich die Mainzer im vermeintlich freien Fall; In Bremen setzt derweil ein neues Anspruchsdenken ein
Daniel Theweleit (Spiegel Online) richtet seinen Blick auf die kommende Mitgliederversammlung in Köln: „Am Mittwoch ist Jahreshauptversammlung, seit Wochen fordern Anhänger Meiers Absetzung. Unter den Mitgliedern formiert sich eine Gruppe, die der Führung um Präsident Wolfgang Overath die Entlastung verweigern möchte. In Bochum führte diese Form des Widerstands vor einigen Wochen zum Rücktritt von Clubchef Werner Altegoer. Overath starrte während Podolskis Regenmeditation ähnlich reglos auf den Rasen. Niemand weiß, wie er sich aus dieser Situation wieder herauswinden wird. Wahrscheinlich weiß Overath selbst noch nicht, was er machen soll.“ Sportlich sähe er derzeit wenig Grund zur Hoffnung: „Die Schwachstellen der Kölner wurden gnadenlos aufgedeckt: Die Außenverteidiger sind nur an guten Tagen bundesligatauglich, dasselbe gilt für den Torhüter. Die Offensive hatte sich gegen die schwächste Abwehr der Liga gerade mal eineinhalb Torchancen erarbeitet. Das ist einfach zu wenig. Diesen und einige andere Vorwürfe werden sich die Verantwortlichen bei der Jahreshauptversammlung anhören müssen, denn die jüngste Bilanz ist in fast jeder Hinsicht desaströs. Köln ist jetzt Tabellenletzter, die Transferrechte der wertvollsten Spieler wurden teilweise verramscht, und in dieser Woche hat der Club besorgniserregende Geschäftszahlen präsentiert.“
Ein unrunder Kader
Christian Löer (Frankfurter Rundschau) erkennt in der Arbeit von Manager Meier wenig Positives: „ Im Fall der Kölner ist es allerdings so, dass die Millionen ausgegeben wurden, ohne dass eine Mannschaft mit Substanz geschaffen wurde. Zur Ehrenrettung ihres Managers Meier haben dessen Geschäftsführerkollegen neulich zwar darauf hingewiesen, dass der 1.FC Köln auch schon vor Meiers Dienstantritt vor fünf Jahren nicht frei von Schulden war. Fest steht jedoch, dass die Kölner in den vergangenen fünf Jahren mindestens 20 Millionen Euro geliehenes Geld ausgegeben haben. Verantwortlich für die Entwicklung des Kölner Kaders ist Michael Meier, der einst Borussia Dortmund an den Rand des Zusammenbruchs führte. In Köln wirkte der 60-Jährige mit ähnlicher Stoßrichtung: Erst holte er Christoph Daum zurück, später noch Lukas Podolski. Ein starker Manager hätte die Podolski-Millionen genommen, auf alternde Gehaltsmillionäre wie Maniche, Womé oder Petit verzichtet und mit den Mitteln des Großvereins 1.FC Köln eine Mannschaft mit Entwicklungspotenzial konstruiert. Bei der Verpflichtung des umstrittenen Wanderarbeiters Womé verzichtete Meier sogar auf Warnungen seines Bremer Kollegen Klaus Allofs. Meier gab lieber einfach weiter Geld aus; in diesem Sommer etwa für den vollständig unbekannten Rumänen Alexandru Ionita. Wie unrund der Kader zusammengestellt ist, zeigt sich auf drastische Weise am Samstag. Von der Bank kamen ein paar überforderte Nachwuchsleute, mehr hatte Schaefer nicht zu bieten.“
Philipp Selldorf (SZ) zeigt Mitleid mit Lukas Podolski: „Die Fankurve rief im Chor nach Lukas Podolski, aber es war die andere Fankurve. Die Anhänger von Borussia Mönchengladbach, viele Tausend, schwelgten in Hohn und Spott über den Kölner Nationalspieler, der traurig und allein auf dem Rasen saß. Dann kam demonstrativ, in eiligen Schritten wie ein Sanitäter, der Trainer zum Trösten hinzu, aber es war der andere Trainer. Michael Frontzeck griff Podolski bei den Händen und zog ihn nach oben, er musste sich anstrengen, bis er den lethargisch trauernden Mann aufgerichtet hatte und an die Brust nehmen konnte. Schließlich übergab er ihn an einen Mitspieler. Einen Gladbacher Mitspieler. Tobias Levels legte den Arm um Podolskis Schultern und führte ihn sanft vom Spielfeld.“
Die Mannschaft kapituliert
Martin Beils (RP Online) stellt mit großer Sorge eine aufkommende Resignation bei den Kölnern fest: „Es fehlt an Substanz, an Qualität und – das zeigte die 0:4-Niederlage in Derby überdeutlich – auch an der grundlegenden Bereitschaft, an die Leistungsgrenze zu gehen. Wenn nicht im Derby vor 50 000 Zuschauern auf knöcheltiefem Platz, wann dann will sich die Mannschaft überwinden? Auch die Einwechselspieler setzen keine Impulse. Das Band zwischen Mannschaft und Anhängern, dem höchsten Gut des Klubs, ist gerissen. `Eine Beleidigung für die Fans` war die Vorstellung, stellt Podolski fest. Der hat seine stärksten Szenen, als er vor Spielbeginn ein paar übergeschnappte Zuschauer vom Rasen zurück auf die Tribüne schickt und im ersten Abschnitt die Eckfahne abgrätscht. Doch ansonsten geht er genauso wie die anderen 13 eingesetzten Profis im Dauerregen unter: vom unsicheren Torhüter Miro Varvodic bis zum kaum sichtbaren Angreifer Milivoje Novakovic. Die Mannschaft kapituliert.“
Carsten Oberste-Kleinbeck (derwesten.de) erkennt die Schwere der Kölner Krise vor allem im Ausmaß der Fanreaktionen: „Ein weiser Mann hat einmal gesagt: Große Sorgen reden – ungeheure schweigen. Und wie gewaltig die Sorgen des Fußball-Bundesligisten 1. FC Köln nach der 0:4-Niederlage im Rheinderby gegen Borussia Mönchengladbach sein müssen, lässt sich an der Reaktion der Fans auf der Südtribüne ermessen: Die Stille nach dem Schlusspfiff war beklemmend, das Schweigen laut an diesem schaurig-nassen Herbstabend, an dem das Sturmtief Carmen über das Land gefegt war. Keine Trainer-raus-Rufe und auch keinerlei Schickt-den-Vorstand-in-die-Wüste-Tiraden. Bloß blankes Entsetzen über die Derby-Schmach in der 111. Auflage und den Absturz auf den letzten Tabellenplatz. Allein als sich die Kölner Mannschaft ihrer Anhängerschaft stellen wollte, schlug ihr ein Pfeifkonzert wie ein Keulenschlag entgegen. Ein einzelner rot-weißer Fan-Schal flog als Zeichen des stummen Protests Richtung FC-Trainerbank. Das Team trollte sich und entschwand rasch in den Katakomben.“
Lernprozess für die Mainzer
Für Peter Ahrens (Spiegel Online) stecken die Mainzer nicht in einer Krise, sondern vielmehr in einem wichtigen Lernprozess: „Im Oktober waren sie schon Titelanwärter, so wie Borussia Dortmund jetzt im November. Während allerdings der BVB unter Jürgen Klopp nun im dritten Jahr gereift ist, ist Tuchel in Mainz erst mittendrin, ein Ensemble zusammenzustellen, das sich in der Liga auch oberhalb des Mittelmaßes festsetzen könnte. Mittlerweile ist man auf Platz drei abgerutscht, der veritable Vorsprung auf die Konkurrenz ist hinweggeschmolzen, und wenn es schlecht läuft, dann ist man in der Winterpause wieder da, wo ohnehin viele die Mainzer erwartet haben. Im breiten Mittelfeld der Tabelle, irgendwo zwischen Platz sechs und Rang 13. Für das Team ist das keine Katastrophe, vielmehr ein pädagogischer Prozess. Spitzenmannschaft zu sein ist ein Lernvorgang. Oben zu bleiben, mit den gestiegenen Erwartungen von Fans und Öffentlichkeit umzugehen und sich ihnen auch mal zu versagen, das braucht zuweilen Jahre.“
Uwe Martin (Tagesspiegel) sieht die Tuchel-Elf im freien Fall: „Im ersten Moment wollte niemand etwas sagen. Fast alle Profis nicht, der Präsident und der Manager schwiegen ebenfalls, auch Cheftrainer Thomas Tuchel und weitere Verantwortliche durchschritten zunächst wortlos die Mixed Zone im Bauch des Bruchwegstadions. Schnell in die Mannschaftskabine, sammeln, nachdenken. Das 0:1 gegen Hannover 96 war, inklusive der Pokalniederlage in Aachen, die vierte Niederlage in Folge für Mainz 05. Und seit drei Spielen hat der Klub kein Tor mehr geschossen. Der Höhenrausch zu Saisonbeginn mit acht Siegen in Folge ist zu einem Sinkflug für den einstigen Tabellenführer geworden; langsam geht es abwärts für Mainz 05.“
Daniel Meuren (FAZ) vermisst die Mainzer Gelassenheit: „Den Mainzern ist die Lockerheit aus den ersten, so bemerkenswert erfolgreichen Wochen der Spielzeit mit sieben Siegen zum Auftakt und fünfmaliger Tabellenführung abhandengekommen. Am deutlichsten zeigte sich das an den Auftritten der beiden erstmals für die deutsche Nationalmannschaft nominierten Talente Lewis Holtby und André Schürrle. Holtby wurde zur Pause ausgewechselt, und das `sicher nicht, weil er einer meiner Besten heute wa`, wie es sein Trainer sagte. Schürrle kam `aufgrund der Trainingseindrücke` erst zur Halbzeit für Holtby. Die beiden passten freilich in eine Mainzer Elf, in der nur wenige überzeugten.“
Wie viel Qualität bleibt am Ende der Euphorie übrig?
Moritz Kielbassa (SZ) blickt mit Spannung in die Zukunft: „Im Fußball von heute sind Grundkonzepte und schlaues Coaching Faktoren, die kleine Klubs groß machen können, allerdings nur auf Zeit, nicht 34 Spieltage lang – darauf können sich die Etablierten der Liga verlassen (wie zuletzt bei Hoffenheim 2008). Mainz muss jetzt zeigen, wie viel Qualität am Ende der Euphorie übrigbleibt, und das Prognosen eines unvermeidlichen Absturzes nun ebenso übertrieben sind wie die Hymnen vor Wochen. Eine gesunde Mitte zwischen Großspurigkeit und Understatement, ohne vermessene Ziele: Dafür standen die Mainzer auch im Erfolg. Sie reklamierten für sich keine Neuerfindung des Fußballs, sie waren keine vorlauten Oberlehrer, die nun Schadenfreude verdient hätten. Und der der dritte Platz ist noch immer ein hohes Niveau für Klagen. Dahinter liegen Teams mit weit schlechterem Preis-Leistungsverhältnis.“
Bescheidene Bremer
Frank Hellmann (Frankfurter Rundschau) wundert sich über die neue Bescheidenheit an der Weser: „Interessant an der Nullnummer gegen eine überraschend verschreckte Frankfurter Eintracht war ja vor allem, mit welcher Konsequenz alle Beteiligten diese Resultat als „neuen Start“ (Cheftrainer Thomas Schaaf) oder „Kehrtwende“ (Vorstandschef Klaus Allofs) verkauften. So als werde nach den desaströsen Darbietungen dieser wankelmütigen Spielzeit einfach ein Resetknopf betätigt, und alles werde schon wieder gut. Defensiv boten die Bremer in der Tat eine grundsolide Vorstellung, was an der Weser so selten ist wie Sonnenschein im November. Die von Schaaf arg intensivierte Arbeit unter der Woche zahlte sich also aus.“
Christian Kamp (FAZ) freut sich über kleine Fortschritte bei den Bremern: „Wenn dieses mäßige Spiel einen Sieger verdient gehabt hätte, dann waren es die krisengeplagten, aber immerhin engagierten Bremer. Doch in Abwesenheit ihrer besten Stürmer, Claudio Pizarro und Hugo Almeida, fehlte es vor des Gegners Tor an der nötigen Bissigkeit. Insgesamt war es natürlich ein Schritt nach vorn nach dem 0:6 gegen Stuttgart, von Spitzenfußball aber war auch Werder weit entfernt.“
Über Saisonziele mag niemand mehr reden
Nach Ansicht von Ralf Wiegand (SZ) geht es für die Bremer in dieser Saison nur noch um Elementares: „Für Werder Bremen geht es in der Bundesliga im Grunde nur noch darum, Zeit zu gewinnen – Zeit, um die tatsächlichen Probleme im Klub lösen zu dürfen. Über Saisonziele mag niemand mehr reden, es ist so ähnlichwie mit einer Aktie, deren Handel an der Börse wegen nicht mehr berechenbarer Turbulenzen ausgesetzt wird. Gegen harmlose Frankfurter, die geschickt verbargen, wie sie sich einen der vordersten Plätze ergattern konnten, rissen sich die noch bei 0:6 in Stuttgart vorgeführten Bremer immerhin zu einer konzentrierten Leistung zusammen. Allerdings ist nur schwer vorstellbar, wie ein Team, das am zwölften Spieltag beim Einmaleins des Fußballs anfangen muss, noch in der laufenden Saison wieder so auf die Beine kommen will, dass es den Gegner mit irgendetwas überraschen kann.“