Bundesliga
Münchner Stagnation und Bremer Verfall
| Montag, 22. November 2010Während bei den Bayern nach dem Remis in Leverkusen das Saisonziel korrigiert wird, schreitet der Bremer Niedergang weiter voran
Roland Zorn (FAZ) freut sich über beste Unterhaltung: „Ein wunderbares Entertainment-Angebot, das die Bundesliga ihrem Millionenpublikum an diesem novembergrauen dreizehnten Spieltag feil bot. Es rappelte derart heftig und häufig im Karton, dass für kühle Analytiker bei dieser wilden Fußball-Rallye über neun Stationen kein Platz blieb. Diesmal durften die einen staunen, während die anderen, etwa die tief gesunkenen Bremer, sich nur noch wundern konnten. Alles ist in dieser Liga der permanenten Überraschungen im reißenden Fluss – bis auf eine Konstante: Borussia Dortmund. Die Westfalen siegen, siegen und siegen, und das auch noch mit hohen Haltungsnoten. Inzwischen sind sie, so Beckenbauers Verdikt, `Lichtjahre` von der Konkurrenz entfernt. Doch Vorsicht, im Fußball sind schon Fixsterne abgestürzt. Deshalb tun sie in Dortmund vorerst so, als hätten sie keine himmlischen Ziele. Glauben muss man das nicht. Warum auch? Die Bundesliga ist auch ein herrliches Illusionstheater.“
Es geht nur noch darum den Besitzstand zu wahren
Jörg Hanau (FR) verabschiedet Münchner Meisterschaftsträume: „Der FC Bayern München tritt weiter auf der Stelle. Und so langsam merken es auch die Großkopferten aus dem Süden: das ewige Saisonziel Meisterschaft können die Rekordmeister bereits im Spätherbst 2010 abschreiben. Eine Münchner Meisterfeier auf dem Marienplatz ist im Mai so wahrscheinlich wie ein Engagement für Lothar Matthäus als Greenkeeper an der Säbener Straße. Es geht nunmehr nur noch darum, den Besitzstand zu wahren. Die Qualifikation für die nächste Champions-League-Saison ist jetzt erste Profipflicht für die gut Betuchten, die es sich zwar leisten können, ihre hochbezahlten Kicker ein Jahr ohne zweistelligen Millionen-Zuschuss aus der Zasterliga zu füttern, dafür müssten sie allerdings ans Festgeldkonto. Eine Vorstellung, die Uli Hoeneß’ Wangen zweifelsohne puterrot leuchten lässt.“
Daniel Theweleit (Spiegel Online) vermisst die Unbeschwertheit beim Rekordmeister: „Der Abpfiff lag noch keine Stunde zurück, da hatte Philipp Lahm schon `zwei Bier` getrunken. Dabei gab es für den Verteidiger keine Meisterschaft, ja noch nicht einmal einen Sieg zu feiern. Weil ein Profi wie Lahm seinen sportlichen Frust inmitten einer englischen Woche nicht mit Alkohol bekämpfen sollte, wechselte er irgendwann das Getränk. Nach dem Bier sei er auf `viel Tee` umgeschwenkt, erzählte der Nationalspieler, der noch bei der Dopingprobe war. Seine Mitspieler befanden sich längst auf dem Weg zum Flughafen. Lahms Warten wurde zu einem Sinnbild für die Situation des FC Bayern, der ebenfalls wartet. Auf die Genesung verletzter Spieler, auf den zweiten Auswärtssieg dieser Saison, vor allem aber auf die Rückkehr der Leichtigkeit. Es läuft eben einfach nicht. Der Club muss langsam froh sein, wenn er sich für die Champions League qualifiziert. Der Gewinner von Leverkusen war eindeutig Borussia Dortmund.“
Philipp Kreutzer (SZ) erkennt derzeit eklatante Schwächen in nahezu allen Mannschaftsteilen der Münchner: „Für Leverkusen war die Gelegenheit günstig, die schwarze Serie von nun zwölf sieglosen Bundesliga-Partien gegen den Rekordmeister zu beenden. Denn obwohl er kein schlechtes Spiel machte, läuft dieser Rekordmeister seiner Form der grandiosen Vorsaison weiter hinterher. Das verdeutlicht beispielsweise der Blick auf die Innenverteidigung, in der in Abwesenheit von Holger Badstuber weder van Buyten noch der erstmals von Beginn an eingesetzte Breno den Ansprüchen genügten, weil sie in der Eröffnung zu viele Bälle verloren und so ihrem Keeper Jörg Butt unfreiwillig einige Möglichkeiten verschafften, sich auszuzeichnen. Das Problem setzt sich unmittelbar vor der Abwehr fort. Zwar unterbanden Anatoli Timoschtschuk und Andreas Ottl durch ihre Laufarbeit und Zweikampfhärte manche Leverkusener Offensivbemühung frühzeitig. An Ideen und spielerischem Vermögen aber mangelt es auf dieser Position, seit Schweinsteiger wegen der Verletzungen von Arjen Robben und Franck Ribéry hinter die Spitze versetzt worden ist. Auch dort zeigt Schweinsteiger seine Klasse, er ist zurzeit das einzige für den Gegner unberechenbare Moment im Bayern-Spiel. Thomas Müller hielt in Leverkusen stur den rechten Flügel besetzt statt wie der WM-Müller überall herumzulaufen, und Ribéry unterlief nach seiner Einwechslung für die letzten 30 Minuten seine schwächste Vorstellung, seit er für die Bayern kickt.“
Bremen kam gegen Schalke noch glimpflich davon
Benjamin Schulz (Spiegel Online) zeigt sich erschrocken über Bremens desolates Abwehrverhalten: „Werder kam mit vier Gegentoren auf Schalke noch glimpflich davon. Leicht hätte es für den Champions-League-Teilnehmer doppelt so viele geben können. Offenbar hatten Schaaf und Allofs ein fatales Zeichen gesetzt, als sie das 0:0 gegen Frankfurt vor einer Woche als Fortschritt verkauften. Jahrelang war Bremen der Club, der dank seiner offensiven Spielweise für attraktiven Fußball und viele Tore stand. Damals glich die Mannschaft mit ihrer brillanten Offensive um Spitzenspieler wie Diego oder Mesut Özil die auch damals schon eklatante Abwehrschwäche aus. In dieser Saison funktioniert das nicht mehr. Wo die Spiele früher 4:4 endeten, heißt der Endstand nun eben 0:4.“
Philipp Selldorf (SZ) macht sich Sorgen um die Marke Schaaf: „Dieses Spiel war zweifellos eine Offenbarung, allerdings nicht für die frohen Schalker, sondern für die Bremer, deren Auftritt das Zeugnis eines fortgeschrittenen Verfalls zu sein schien. Anderntags setzten sich die Verlierer zur Klausur zusammen und hinterher mit Fragen auseinander, die in Bremen seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gestellt wurden. Es geht jetzt wirklich ums Ganze, um den Erhalt des Markenzeichens Schaaf, das erst vor zwei Wochen durch ein 0:6 in Stuttgart erschüttert wurde. Jene schreckliche Niederlage trug die gleichen Züge wie das Debakel in Schalke, das lässt die Zweifel an Schaafs Griesgram-Regime wachsen.“
Unerklärlich Blackouts in der Abwehr
Daniel Müksch (Focus Online) warnt vor dem freien Fall: „Nach dem 13. Spieltag ist für Werder Bremen die Saison gelaufen – legt man die Bremer Ansprüche zu Grunde. In der Bundesliga unter fernen liefen auf Platz zwölf, in der Champions League so gut wie ausgeschieden und der DFB-Pokal geht auch längst ohne Bremer Beteiligung in die nächsten Runden. n den letzten Wochen nährten die Bremer Verantwortlichen unerschrocken stets die Hoffnung, die Liga von hinten aufzurollen. Nach dem 0:4 auf Schalke muss man konstatieren: Werder muss aufpassen, nicht nach ganz hinten durchgereicht zu werden. Der Relegationsplatz ist nur mehr vier Punkte entfernt. Unerklärliche Blackouts in der Abwehr paaren sich mit ungekannter Harmlosigkeit in der Offensive. Auch in den letzten Jahren musste die Mannschaft von Thomas Schaaf schlechte Perioden durchstehen, so schlecht wie derzeit agierte das Team indes selten: 2:3 zu Hause gegen Nürnberg, 0:6 in Stuttgart, 0:4 jetzt in Gelsenkirchen.“
Keine Unterstützung aus den eigenen Reihen
Ralf Wiegand (SZ) findet einen Hauptgrund der Bremer Krise in der dritten Liga: „In Bremen scheinen sich zwei Entwicklungen zu überlagern. Die eine bestimmt die aktuelle sportliche Situation der Mannschaft. Die hat immer mal wieder Durchhänger gehabt und trotzdem zurück zum Erfolg gefunden, weil die spielerischen Mittel im Kader stets größer waren als taktische Defizite. Doch weil der Erfolg immer wieder, wenn auch wie im letzten Jahr nur durch einen unglaublichen Kraftakt, erzwungen worden ist, verlor die andere, tiefer liegende Fehlentwicklung an Bedeutung. Werder hat eine zweite Mannschaft, die als abgeschlagener Tabellenletzter der dritten Liga kaum selbstbewusste junge Spieler an die erste Elf liefern kann. Die Jugendteams spielen zwar im Norden oben mit, bundesweit aber holen andere die Titel. Werder hat aus dem eigenen Verein heraus kaum Möglichkeiten, das Denken zu verändern. Alle Verhaltensmuster sind seit Jahren eingeschliffen. Deshalb ist die Transferpolitik für Werder so überlebenswichtig, deshalb müssen alle Impulse von außen zugekauft werden. Geht das einmal schief, weil der Verein die Verluste von Özil und Diego innerhalb eines Jahres unterschätzt hat, müsste sich der Verein mit eigenen Mitteln helfen. Kann er aber, siehe oben, nicht: Die Spirale des Grauens kommt gerade erst in Fahrt.“
Kai Niels Bogena und Lars Wallrodt (Welt Online) beschäftigen sich mit dem Wandel des Thomas Schaaf: „Nun sind schwere Phasen den Bremern nicht fremd. Immer mal wieder hakte es in den vergangenen Jahren, doch immer schafften es die Verantwortlichen mit Ruhe und Besonnenheit, aus der Krise zu finden. Dabei setzten sie vor allem auf einen Mann: Thomas Schaaf. Seit elf Jahren lenkt er die Geschicke des SV Werder, das ist mit Abstand die längste Amtszeit der amtierenden Übungsleiter. Mit Manager Klaus Allofs, mit dem er 1999 gemeinsam in Bremen begann, ist er gar eine Art Symbiose eingegangen. Gemeinsam feilten sie an ihrem Werk und kultivierten ihre Andersartigkeit. Das wurde belohnt: Werder Bremer gehört seit der Jahrtausendwende zu den erfolgreichsten Klubs der Liga. Allerdings läuft seit geraumer Zeit auch ein Prozess ab, der sich heute als kontraproduktiv erweist. Thomas Schaaf, die unantastbare Lichtgestalt, entfernte sich von der Mannschaft, wurde unnahbar. Heute soll er nur noch mit Kapitän Torsten Frings, Abwehrchef Per Mertesacker und Clemens Fritz einen offenen Dialog pflegen. Der Rest der Truppe wird oft ebenso mürrisch abgespeist wie kritisch nachfragende Journalisten. Dieses Phänomen ist nicht neu, schon seit drei Jahren wird die Kluft zwischen Trainer und Spielern größer. Der Unterschied zu heute ist allerdings, dass in den vorangegangenen Spielzeiten die Mannschaft in sich so gefestigt war, dass sie sich selbst aus Krisen befreien konnten. Schaafs Ansprachen, die intern als wenig inspirierend bezeichnet werden, trugen dazu offenbar wenig bei.“
Kommentare
4 Kommentare zu “Münchner Stagnation und Bremer Verfall”
Montag, 22. November 2010 um 13:56
…erreicht der Bremer Niedergang seinen nächsten Höhepunkt…
Hallo, liebe Freunde, das klingt ja schon „Hohlspiegel-verdächtig“: der Niedergang erreicht den Höhepunkt. Da warte ich aber jetzt gerne, bis der nächste Bremer Höhenflug seinen Tiefstpunkt überwunden hat 😉
Beste Grüße
Dieter Kroh
Montag, 22. November 2010 um 14:12
sorry, mein Fehler. Danke für den Hinweis.
Dienstag, 23. November 2010 um 06:28
„Schaafs Ansprachen, die intern als wenig inspirierend bezeichnet werden, trugen dazu offenbar wenig bei.“
Seltsam, seltsam,welche Informationen im Falle des Misserfolges doch so an die Oberfläche geschwommen kommen.
Da hätte es doch eigentlich jahrelang heißen müssen: Angesichts einer Kommunikationsfähigkeit einer Amöbe, schafft Thomas Schaaf mit seiner Mannschaft überraschende Erfolge.
Dienstag, 23. November 2010 um 23:36
danke, anderl,
habe ähnliches Gedacht. Nach elf erfolgreichen Jahren, ist auf einmal alles Schlecht und es soll uns weiß gemacht werden: die Mannschaft hat trotz Trainer Schaaf über Jahre beachtliche Erfolge geleistet.
Dennoch, wenn es stimmt, so sollte es geändert werden. Ich erinnere mich noch an einen Auftritt Schaafs 2006, wo er erzählte, wie er Werder übernahm und das er die damalige Krise meisterte. Er hatte erkannt, was die Mannschaft brauchte und, weil er eben mit den Spielern redete, schaffte er die Wende in 3 Spielen. Er konnte das, was – wohl offensichtlich – sein Vorgänger nicht konnte.