Bundesliga
Von Ruhe keine Spur
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| Dienstag, 23. November 2010In München geht es momentan drunter und drüber. Die Presse beschäftigt sich mit Uneinigkeiten innerhalb der Führungsriege, der Hysterie um Schweinsteiger und sportlichem Stillstand
Jan Reschke (Spiegel Online) sieht Louis van Gaal derzeit in einer einsamen Position bei den Bayern: „Die gegensätzlichen Ansichten zeigen vor allem eines: Beim FC Bayern ist man sich in wichtigen Fragen uneins. Durch seine forschen Aussagen hat sich van Gaal angreifbar gemacht. Die geballten Zurechtweisungen belegen, dass es um das Binnenklima nicht gut bestellt – und van Gaal im Club derzeit sehr allein ist. Van Gaals größtes Faustpfand ist derzeit noch das gute Abschneiden in der Champions League. Vier Siege aus vier Spielen sind eine optimale Bilanz, schon vor dem Spiel beim AS Rom haben sich die Münchner für das Achtelfinale qualifiziert. Andernfalls würde dem im Sommer noch hymnisch verehrten „Feierbiest“ wohl noch größere Kritik zuteil werden. Zumal die zuletzt so starken Leistungen von Torjäger Mario Gomez mit acht Toren in sechs Spielen und die ansehnlichen Darbietungen von Anatoly Timotschuk Hoeneß in seiner Kritik bestätigt haben dürften. Er wähnte die beiden Spieler durch van Gaal nicht genügend gewürdigt. Harmonie ist vorerst nicht in Sicht.“
Der Nachdemütigungs-van-Gaal hat bereits innerlich gekündigt
Ambros Waibel (taz) befürchtet einen frühzeitigen Abschied: „Doch seit van Gaals Bayern am 24. Spieltag der vergangenen Saison erstmals nach über eineinhalb Jahren wieder an der Spitze standen, seit er das Double gewonnen und das Finale der Champions League erreicht hat und schließlich als erster Ausländer zum Trainer des Jahres gewählt wurde, war der Holländer so etwas wie der Heilsbringer und große Modernisierer des deutschen Fußballs geworden – bis Bayern-Manager Uli Hoeneß Ende Oktober dem von ihm engagierten Rotweinliebhaber kräftig in die späte Blüte seiner Karriere grätschte. Seitdem scheint es äußerst zweifelhaft, dass van Gaal seinen bis Juni 2012 laufenden Vertrag erfüllen wird. Denn er macht überhaupt nicht den Eindruck, als habe er Spaß daran, dass jedes Match für ihn zum Schicksalsspiel wird; in der Champions League darf er es einmal etwas entspannter angehen lassen, weil die Bayern ja schon mit vier Siegen in vier Partien in der Zwischenrunde sind. Der Nachdemütigungs-van-Gaal sieht im Gegenteil aus wie jemand, der innerlich gekündigt hat und nur noch auf die richtige Gelegenheit wartet, dem Bayernboss zum Abschied kräftig einen einzuschenken – ein Abschied, der ja erklärtermaßen einer vom Vereinsfußball sein wird. Sieht man es so, dann geht die Ära van Gaal an der Säbener Straße schon wieder ihrem Ende entgegen – und die nun erschienene, um das Bayernabenteuer erweiterte deutsche Ausgabe seiner Lebens- und Fußballbilanz darf als sein Bundesligavermächtnis gelten.“
Wohin führt der Weg von Schweinsteiger?
Nach Ansicht von Maik Rosner (Berliner Zeitung) wird es für die Bayern schwer werden Schweinsteiger zu halten: „Noch hoffen sie zwar in München, dass der 26-Jährige Mittelfeldspieler seinen 2012 auslaufenden Vertrag verlängert. Doch sie wissen, dass er geneigt ist, im Ausland seine Karriere auf den Zenit zu führen. Zuletzt buhlte Inter Mailand um Schweinsteiger, zuvor Real Madrid und Manchester United. Präsident Uli Hoeneß kündigte an, nicht kleinlich zu sein. Doch vielleicht wird das nicht ausreichen. Denn Schweinsteiger könnte anderswo zu einem Weltstar aufsteigen, der diese Bezeichnung auch verdient. Manch ein Beobachter hat den Eindruck, dass Schweinsteiger genervt sei, wie sich Mesut Özil und Sami Khedira bei Real Madrid im Ausland profilieren, während er mit München im nationalen Mittelmaß feststeckt.“
Klaus Wille (derwesten.de) wundert sich über den Verlust von Diskretion an der Säbener Straße: „Louis van Gaal, Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß gelten als Freunde eines guten Rotweins. Im Moment panschen die Bayern allerdings reichlich Wasser in ihre Gläser. Es beginnt mit der Mannschaft. Sie ist ernsthaft in Gefahr, den Titel schon jetzt zu verspielen. Als ob das nicht genug wäre, beharken sich Trainer und Vorstand, als hätten sie sich beim letzten Treffen gegenseitig Essig ins Glas gemischt. Neuester Streitfall ist Bayerns Bester, Bastian Schweinsteiger. Was daran irritiert, ist erstens: Sollte sich Bayern mit Schweinsteiger nicht einigen, wird Rummenigge sich erfahrungsgemäß noch zweimal überlegen, ob er ihn zum Nulltarif verlieren will. Und zweitens: Sind das nicht alles strategische Überlegungen, die man hinter verschlossenen Türen anstellt und nicht auf den Markt trägt? Wie es scheint, ist Bayerns Troika weit davon entfernt, bei einem Glas Wein vernünftig miteinander zu reden. Kein gutes Zeichen.“
Keine Gefahr für Dortmund
Mathias Klappenbach (Tagesspiegel) befasst sich kritisch mit der aktuellen Tabellensituation des Rekordmeisters: „Nach dem Unentschieden in Leverkusen hat der neue Manager Christian Nerlinger nun als Erster gesagt, dass man die Plätze zwei und drei anvisieren solle. Das ist keine psychologisch verklausulierte Kampfansage an die Dortmunder, sondern eine realistische Einschätzung der Lage. Die Münchner werden sich steigern, sicher. Aber Dortmund ist kaum in der Gefahr abzustürzen. Die Mannschaft ist zwar jung, und sie spielt kraftaufwändigen Fußball, das sind zwei Risikofaktoren. Aber sie hat auch sehr viel Energie, gerade weil sie jung ist. Noch wichtiger ist, dass die Dortmunder Substanz haben. Auch auf der Bank. Sie können Lewandowski für Barrios einwechseln, Blaszczykowski für Kagawa, Dedé für Schmelzer und so weiter. Ihr Lehrjahr war die vergangene Saison, das Team ist weit genug entwickelt, um konstant zu sein. Und kommt doch noch ein Einbruch, sind nicht die Bayern mit 14 Punkten Rückstand ihr gefährlichster Gegner. Ein anderes Team hat auch verletzte Stars, kann noch viel besser spielen als derzeit und liegt nicht ganz so weit zurück: Bayer Leverkusen.“
Till Schwertfeger (Welt Online) stellt Vergleiche an: „Die Stimmung ist gedrückt in München, spätestens seit Klubchef Uli Hoeneß seine Unzufriedenheit mit Meistertrainer Louis van Gaal öffentlich machte. Denn natürlich kommt es auch auf den Trainer an. Und anders als van Gaal scheint Jürgen Klopp jeden seiner Spieler täglich besser zu machen. Zwar üben sich die Dortmunder noch in Bescheidenheit und vermeiden, das Ziel Meisterschaft auszugeben, doch der Erfolgshunger der jungen Mannschaft und ihres Trainers, der bisher nur Fernsehpreise gewonnen hat, ist riesengroß. Die bayerischen Double-Gewinner hingegen lassen die Gier in Spielen auf nationaler Ebene vermissen, bei einigen scheinen der unglückliche Ausgang von Champions League und Weltmeisterschaft noch nachzuwirken. Während Gruppendynamik und Teamgeist in Klopps Kader funktionieren, werfen die aufgeschobenen Vertragsverhandlungen mit Schlüsselspieler Bastian Schweinsteiger und das uninspirierte Comeback von Superstar Franck Ribery die Frage auf, ob auch in München alle an einem Strang ziehen.“