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Champions League

Schalke reift zu großer Mannschaft

Martin Hauptmann | Freitag, 26. November 2010 8 Kommentare

Die Königsblauen finden ihre Formation; der grandiose 3:0 Erfolg in der Champions League über Lyon sichert den frühzeitigen Einzug ins Achtelfinale; im letzten Vorrundenspiel in Lissabon will man nun die Gruppenführung behaupten

Peter Müller (Der Westen) freut sich mit den Schalker Fans: „Dieses Lied war lange nicht mehr in der Arena zu hören. Schalkes Fans waren aus dem Häuschen, ein paar Minuten stimmten sie den Euro-Fighter-Song an, die akustische Erinnerung an den Uefa-Cup-Triumph von 1997. Kein Wunder, dass die in dieser Saison nicht gerade häufig verwöhnten Anhänger so ausgelassen feierten: Die Königsblauen zogen mit einem 3:0-Sieg über den französischen Vizemeister Olympique Lyon erstmals vorzeitig ins Achtelfinale der Champions League ein, weil parallel Hapoel Tel Aviv mit 3:0 gegen Benfica Lissabon gewann. Im letzten Gruppenspiel in Lissabon geht es für Schalke nur noch darum, ob Schalke sogar als Tabellenerster weiterkommt.“

Spielerische Klasse erkennbar

Die Schalker Spieler, so Richard Leipold (Tagesspiegel), seien längst keine spielerisch limitierten „Fighter“ wie einst, sondern clevere Kicker, die vor Spielfreude strotzten, ohne aus Sinn für Kunst ihre Sicherheitsinteressen zu vernachlässigen: „Dass Ausnahmespieler wie Raul oder die beiden Torschützen Jefferson Farfan und Klaas-Jan Huntelaar, der zweimal traf, ihre Klasse früher oder später ausspielen würden, kommt letztlich nicht überraschend, die Umgestaltung der Abwehr aber schien Schalke nachhaltig geschwächt zu haben. Doch das deutsch-japanische Verteidigungsbündnis hat sich eingespielt und bleibt immer häufiger ohne Gegentor. In der Champions League ließ Schalke in fünf Partien nur insgesamt zwei Gegentreffer zu. Die Viererkette gesundet von innen nach außen. Erst hatten sich Christoph Metzelder und Benedikt Höwedes im Zentrum stabilisiert, mit ihnen gewannen auch Atsuto Uchida und Lukas Schmitz auf den Außenpositionen an Widerstandskraft.“ Torhüter Manuel Neuer sehe inzwischen „durchaus Parallelen zu der Abwehr, die wir mal hatten.“ Zu Bordons und Westermanns Zeiten sei sie die beste der Bundesliga gewesen. „Wächst in Schalke etwas zusammen, was vielleicht doch zusammengehört? Erstmals hat die neu formierte Mannschaft einen Eindruck von dem vermittelt, was in ihr steckt – nicht gegen harmlose Bundesligavereine wie St. Pauli oder Bremen, die sich zuletzt als Aufbaugegner zur Verfügung gestellt hatten, sondern gegen Lyon, eine seit Jahren in der Champions League etablierte Fußballgröße, die in der vergangenen Saison bis ins Halbfinale gekommen war.“

Daniel Theweleit (Spiegel Online) kommt beim Anblick der Schalker Spielweise zunehmend auf den Geschmack: „Die Art und Weise, wie Schalke 04 Lyon in der ersten halben Stunde mit Aggressivität, Ballsicherheit, Ideenreichtum und defensiver Ordnung beherrschte, kann tatsächlich als Versprechen auf eine große Zukunft betrachtet werden.“ Es seien nicht allein die Tore gewesen, die das Publikum verzückten: „Es war der Auftritt des Teams. Peer Kluge etwa avanciert mehr und mehr zu einem scharfsinnigen Umschaltspieler, die Defensive strahlt zusehends die Sicherheit eines souveränen Spitzenteams aus, und Raul spielte wunderbare Pässe. Nach einer halben Stunde versuchte der Spanier wieder einen seiner genialen Heber, Torhüter Hugo Lloris konnte ihn nur mit Mühe aus dem Winkel kratzen.“

Was ist mit dieser Mannschaft eigentlich möglich?

Roland Zorn (FAZ) schneidert Schalke ein größeres Gewand: „Gab es mal eine Krise auf Schalke? Seit Mittwochabend ist alles anders. Der Klub ist nicht mehr der schmähliche 15. der Bundesligatabelle, sondern einer der 16 Top-Klubs in Europa. 51.000 Zuschauer erlebten am Mittwoch ein Festspiel und eine Premiere. Auf dem Programm stand ein Stück, das noch zum Renner der Saison werden soll: Das neue Schalke. Geboten wurde eine rasante, furiose, funkelnde Revue, zelebriert von einem Ensemble, das endlich miteinander harmoniert und sein kreatives und kooperatives Potential ausschöpft. Nie hinterließ eine Schalker Aufführung während der ersten Monate der Spielzeit 2010/11 derart viel Eindruck wie die 45-Minuten-Show der ersten Hälfte gegen Lyon.“ Das neue Schalke erinnere an schnelle Motoren: „Kollege Magath genoss diesen Abend, der aller Welt vor Augen führte, wohin der Fußballlehrer mit seinem Team strebt: zum schönen, offensiven, effektiven Fußball. Gruppendynamische Defensivarbeit, hart erkämpfte Balleroberungen, das prompte Umschalten von Abwehr auf Angriff, temporeich inszenierte Spielzüge, gefühlvolle Pässe in die Tiefe des Torraums und das kluge Freilaufen der international wertvollen Spitzenfachkräfte Raul und Huntelaar – all diese Ingredienzien machten das Schalker Fußballspektakel zu einem großen Vergnügen, solange der Formel-1-Fußball gegen Lyon nötig war.“ Endlich formatiere sich auf Schalke eine Mannschaft: „Mit dem Peruaner Farfan als Vorläufer, dem Spanier Raul als Vorkämpfer, dessen Landsmann Jurado als Ideenproduzent, mit Huntelaar als Vollstrecker, Kluge und dem aus dem Abseits zurückgeholten Jones als Nachschublieferanten, den Außenverteidigern Uchida und Schmitz als Antreibern aus dem Hintergrund, Metzelder und Höwedes als Innenverteidigern mit der Gabe zur Spieleröffnung sowie Nationaltorwart Neuer als Rückhalt. Magath hat seine Stammformation und sein Spielsystem nach allerlei Irrungen und Wirrungen gefunden.“

Anerkennung von allen Seiten

Andreas Morbach (FTD) geht bei den Hauptdarstellern auf Stimmenjagd und sieht dabei einen Mann ganz vorne: „Besonders wertvoll für Magath ist Farfan, der auf durchgehend hohem Niveau herumschwirrt und seine Mitspieler damit beeindruckt: ‚Im einen Augenblick war er noch vorne, im nächsten kam er von links hinten angegrätscht – ich weiß gar nicht, wie er da hingekommen ist’, staunte Metzelder, ehe er die vitale Aggressivität der Mannschaft allgemein lobte: ‚Im Moment machen alle unglaublich diszipliniert mit.’ Magath sagte: ‚Nach dem ersten Bundesliga-Heimsieg über den FC St.Pauli geht alles leichter. Jetzt kommt mehr Sicherheit in die Mannschaft, die Spieler werden freier.’ “ Weil die Schalker eine beeindruckende erste Halbzeit lang ihren Gegner aus Lyon über den Rasen gescheucht hätten, zitiert Morbach auch dessen Trainer Claude Puel: „Wir waren nicht in der Lage mitzuhalten, Schalke hat alles mitgebracht, was es für guten Fußball braucht: Präsenz, Aggressivität und das spielerische Element.“ Für den Journalisten Morbach ein Zustand, der den erweckten Freiheitskämpfern in der Champions League ein ungeahntes Luxusgefühl beschere: „Bei einem Sieg im abschließenden Spiel bei Benfica lockt der Gruppensieg. Keeper Neuer verspricht in der Hoffnung auf einen etwas leichteren Gegner im Achtelfinale: ‚Das wird keine Kaffeefahrt nach Lissabon. Denn jetzt wollen wir natürlich auch Erster werden.’“

Guter Rat ist teuer – bleibt Neuer?

Bis 2012 steht der 24jährige Nationaltorwart Manuel Neuer, neben Casillas der wohl derzeit kompletteste Torhüter weltweit, noch bei den Königsblauen unter Vertrag. Andreas Ernst (Der Westen) lauscht interessiert der Karriereempfehlung von Jens Lehmann bei Sky: „Mir haben die Wechsel immer viel gebracht. Unter dem Strich habe ich sehr viel gesehen im Fußball. Irgendwann kommt sicher die Entscheidung für dich. Konkurrenz ist immer wichtig, dann muss man die Konsequenzen seiner guten und weniger guten Leistungen tragen, was eine wichtige Erfahrung ist.“ Mit einer Aussage über seinen Nachfolger Manuel Neuer habe Lehmann in der Arena für Aufregung gesorgt: „Ich kenne drei Vereine, die ihn gerne hätten. In England gibt es sicherlich zwei große Vereine, die ihn permanent beobachten. Von Manchester United habe ich auch gehört.“ Schalke-Trainer-Manager Felix Magath habe die Augen verdreht, als er die Worte „Lehmann“ und „Sky“ hörte. Er sagte: „Die Vertragssituation ist uns bewusst und klar. Man wird irgendwann an einen Tisch kommen.“ Nur wann „irgendwann“ sei, verriet Magath nicht.

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Neuer gehts nicht! (via Amazon)

Kommentare

8 Kommentare zu “Schalke reift zu großer Mannschaft”

  1. tafelrunde
    Freitag, 26. November 2010 um 20:09

    Sieht so der Traum vom Felix aus, wenn er glücklich ist?

    Die Komposition der seit dem Krieg (eigentlich seit immer) erfolgreichen Fußballauffassungen schlechthin.

    Zur einen Hälfte die Kunst der südländisch geprägten Fußballkultur (Raul, Farfan, Jurardo, Huntelaar), zur anderen das teutonische Wertebollwerk mit Eigenschaften wie Kampfkraft, Siegeswille, Robustheit, etc. (Kluge, Jones, Höwedes, Uchida, Schmitz). Und als zentralen Anker ganz hinten einen, der von beidem beeinflusst ist: Metzelder.

    Wenn das Felix‘ Traum vor der Saison war, dann hat er und alle anderen ihn am Mittwoch das erste Mal live gesehen.

    Hat was.

  2. anderl
    Freitag, 26. November 2010 um 22:52

    @tafeldrunde:
    Uchida gehört ins teutonische Abwehrbollwerk?

    Naja, Japan war ja mal Teil der Achsenmächte, da kann man einen Japaner schon mal zum Teutonen machen. *lach*

  3. lateral
    Samstag, 27. November 2010 um 07:10

    Richard Leipold (Tsp): „[…] das deutsch-japanische Verteidigungsbündnis […]“

    Geht’s noch?! Ich glaube es hackt…

  4. Marvin Nash
    Samstag, 27. November 2010 um 21:52

    Das heute gehörte dann wohl auch zum Reifeprozess 🙂 .

  5. Manfred
    Sonntag, 28. November 2010 um 10:42

    Magath blufft doch nur.

  6. roseeffe
    Montag, 29. November 2010 um 12:56

    Jetzt warte ich auf die Zusammenfassung der Berichte vom letzten Wochenende und schaue mal, wie die hier so euphorischen Autoren die Schalker Mannschaft niederschreiben.
    Wieder einmal wird sich bestätigen: Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern und der Euphorie von Mittwoch wird der absolute Horror vom Samstag gegenüberstehen. Was für ein Spaß!

  7. anderl
    Montag, 29. November 2010 um 21:45

    @roseeffe
    Irgendwer sollte eine zweispaltige Kolumne machen, in der Die selben Autoren nach dem 3:0 und nach dem 0:5 zu Wort kommen. Parallel natürlich. Das wird bestimmt zum Schreien komisch.

  8. Manfred
    Dienstag, 30. November 2010 um 08:54

    Real Madrid ist das neue Schalke, Magath auf einem Level mit Mourinho und der 1. FC K hat ja sogar irgendwann mal den FC Barcelona besiegt.
    Ich persönlich glaub ja, beide Verlierer haben sowas ganz dringend gebraucht.
    Advent, Advent, der Baum, er brennt…

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