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Abgewirtschaftet

Kai Butterweck | Mittwoch, 1. Dezember 2010 Kommentare deaktiviert für Abgewirtschaftet

Die Presse beschäftigt sich intensiv mit den Enthüllungen um Korruption bei der Fifa

Lars Wallrodt (Welt Online) empfindet hinsichtlich der morgigen WM-Vergaben alles andere als Vorfreude: „Donnerstag wird kein guter Tag für den Fußball, obwohl es eigentlich ein Freudentag werden sollte. Der Weltverband Fifa vergibt zum ersten Mal überhaupt zwei Weltmeisterschaften gleichzeitig, für 2018 und 2022, und bei solchen Terminen sonnt sich die beliebteste Sportart der Welt gern im Jubel der Gewinner. Doch die Stimmung ist mies, und das wird sie auch bleiben, da können die beiden erwählten Austragungsländer jubeln, wie sie wollen.“

Die Schweiz braucht harte Gesetze

Thomas Kistner (SZ) redet den Eidgenossen ins Gewissen: „Die Fifa ist zur Selbstreinigung außerstande, weil die in eine Art Selbstauflösung der Chefetage münden müsste. Abhilfe kann nur von außen kommen. Die Schweiz, wo bis 2006 passive Bestechung nicht strafbar war, ist das Eldorado für gut 30 Weltverbände. Nun muss das Land zeigen, dass es ein Rechtsstaat ist. Die Schweiz braucht harte Gesetze, die Vertreter von Milliardenkonzernen wie Fifa, IOC, Uefa nicht wie Hasenzüchter jeder Verantwortung entheben – weil sie formal nur Privatvereine führen. Der autonome Sport ist in zentralen Teilen zur Schattenindustrie verkommen, Wege ans Licht führen nur über elementare Gesetzesvorstöße: Sportfunktionäre müssen, wie UN-Vertreter, als Amtsträger behandelt werden. Dann wäre Betrug kein Antragsdelikt mehr, Sündenfälle gingen direkt zum Staatsanwalt – der bei der aktuellen Gesetzeslage gar nicht ermitteln kann. Übersteht Blatters Fifa auch diese Affäre ungeschoren, wird sie künftig alles überstehen.“

Vermutlich nur die Spitze des Eisbergs

Ralf Sotschek (taz) vermutet weitere düstere Machenschaften: „Wenn Fifa-Präsident Joseph Blatter nachts von Andrew Jennings träumt, ist es mit Sicherheit ein Albtraum. Jennings prangert seit rund zehn Jahren hartnäckig die Korruption im Weltfußballverband an. In der Fifa-Zentrale in Zürich hat er längst Hausverbot. Am Montagabend legte Jennings in einer BBC-Sondersendung neue Beweise für Korruption im Fußballverband vor. Was Jennings öffentlich gemacht hat, ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs: Erhebliche Summen gingen laut ISL-Liste an Sicuretta Invest, eine weitere Tarnfirma in Liechtenstein, deren Eigentümer ihre Spuren besser verwischt haben. So mancher Fifa-Funktionär hat sich auf andere Weise Geld zur Seite geschafft: Jack Warner aus Trinidad und Tobago, Fifa-Vizepräsident und Chef vom nord- und mittelamerikanischen Fußballverband, hat eine Million Dollar kassiert, indem er Eintrittskarten für die WM 2006 auf dem Schwarzmarkt verkaufte. Als das herauskam, wies ihn die Fifa an, eine Million an eine Wohltätigkeitsorganisation zu spenden. Doch bei der WM in Südafrika versuchte Warner erneut, Karten auf dem Schwarzmarkt zu verhökern. Ob die vier korrupten Funktionäre am Donnerstag in Zürich mitbestimmen, wo die WM-Turniere 2018 und 2022 stattfinden werden, ist noch unklar; England buhlt um den Zuschlag für 2018. Der englische Fußballverband hofiert Warner bereits seit 2008.“

Ein Hauch von Camorra

Artur vom Stein (derwesten.de) zeigt sich erschüttert: „Joseph Blatter spricht immer so gerne von der großen Fußball-Familie, die zusammen halten muss. Und für Außenstehende, die seit vielen Jahren mit Spekulationen über eine korrupte Fifa leben müssen, hat dieser Satz längst einen negativen Beigeschmack: Er klingt nach Camorra. Gerade erst sickern wieder Nachrichten an die Öffentlichkeit, die die Glaubwürdigkeit des Fifa-Exekutivkomitees, wenn man so will der Fußball-Weltregierung, nur deshalb nicht erschüttern, weil sich ein ruinierter Ruf nicht mehr erschüttern lässt.“ Die Fifa sei „ein schlecht beleumundeter Männerbund um einen Präsidenten, der abgewirtschaftet hat und der nun wieder ungerührt versucht, den Skandal für beendet zu erklären. Das hat immer geklappt. Blatter, von dem es heißt, er habe bereits 1988, in der Nacht vor seiner ersten Wahl zum Fifa-Chef, Briefumschläge mit Geld verteilen lassen, sieht jedenfalls keinen Anlass, die Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 zu verschieben. Die große Show wird am Donnerstag in Zürich über die Bühne gehen. Und wer glaubt, dass bei dieser Veranstaltung alles mit rechten Dingen zugeht, der wird auch glauben müssen, dass Blatter ein Ehrenmann ohne Fehl und Tadel ist.“

James Corrigan, Sportjournalist aus Wales (FR) stellt sich vor wie es wäre ein Fifa-Mitglied zu sein: „Die Engländer und ihre verdammte freie Presse haben diese gesegnete Organisation aussehen lassen wie eine Bande eigennütziger Schufte. Eine ihrer Zeitungen hat ein paar Führungskräfte der Fifa so ausgetrickst, dass die nach Schmiergeld fragten. Und ihr staatlich finanziertes Fernsehen entschließt sich, drei Tage vor der Fifa-Entscheidung, einen Beitrag zu zeigen, in dem die alten Geister der Korruption beim Weltverband beschworen werden. Sind die Engländer verrückt? Wäre ich ein Fifa-Mitglied, so wäre das für mich, als stimmten die Truthähne für Weihnachten, als stimmen die Banken für die Sozialisten. Es würde mich nicht die Bohne interessieren, dass der Fußballverband oder die Regierung dort keinerlei Kontrolle über die englischen Medien ausüben. In meinen Augen hätten es die Engländer mit ihrem frommen Grundsatz der Redefreiheit vergeigt. Wie dumm, wie naiv. Wäre ich ein Fifa-Mitglied, würde ich schließlich die marmornen Flure von Zürich betreten und mich an Figuren wie Blatter und Jack Warner ranmachen. Und hätte ich erst die höheren Weihen der Fifa erhalten, würde ich auch die Methoden verstehen, mit denen solche Koryphäen operieren. Ich hätte begriffen, wie der einstige Lehrer Warner, der Fifa-Vizepräsident, zu Reichtum gelangt ist. Ich hätte miterlebt, wie er von der Fifa öffentlich dafür getadelt wird, in den Verkauf von Eintrittskarten für die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland zum Dreifachen ihres Wertes verwickelt zu sein, um ihn dann wieder aufblühen zu sehen im zweithöchsten Amt des Verbands. Ich hätte verstanden, dass es bei der Fifa nur das Talent zum Vergessen mit der Fähigkeit zur Vergebung aufnehmen kann.“

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