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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Not und Elend

Kai Butterweck | Montag, 6. Dezember 2010 4 Kommentare

Im unteren Teil der Tabelle tummeln sich kurz vor der Winterpause Mannschaften, mit denen vor der Saison nicht unbedingt gerechnet werden konnte

Roland Zorn (FAZ) sieht noch viel Lernbedarf bei den derzeitigen Kellerkindern der Liga: „Da sich auch das übrige Bundesliga-Establishment mit Ausnahme von Bayer Leverkusen in dieser Spielzeit eine kostspielige, teils auch riskante, weil mit Abstiegsgefahr verbundene Auszeit gönnt, scheint der Weg ziemlich frei für ein Solo des BVB. Blicken wir also lieber in den Abgrund – dorthin, wo der Horror vacui zu Hause ist. Beim Sechzehnten VfB Stuttgart ist es Fans und Verantwortlichen längst mulmig wie lange nicht zumute, beim genauso bedrohten 1. FC Köln kann die Entlassung von Manager Michael Meier keinerlei sportliche Folgen haben, und beim Letzten Borussia Mönchengladbach ist die Lage auch deshalb desaströs, weil inzwischen schon eigene selbstverliebte Spieler wie am Samstag der Rot sehende Nachtreter Raúl Bobadilla ihrer Mannschaft schwer schaden. Was Teamgeist und Mannschaftsdienlichkeit bedeuten, muss der vermeintliche Star aus dem Kellerloch noch lernen – am besten von den derzeitigen Spitzenensembles Borussia Dortmund, Mainz 05 und Hannover 96.“

Wie lange hält die Ausdauer noch?

Benjamin Knaack (Spiegel Online) bewundert die Treue der HSV-Anhänger: „Nun ist der Hamburger SV wieder da, wo er eigentlich nie mehr hinwollte: Im Mittelfeld, gestrandet im langweiligen Teil der Tabelle, auf Platz neun. Hier passiert einem Team nicht viel, mal gewinnt man, mal gehen Spiele verloren. Mal klettert man ein, zwei Plätze, dann fällt man wieder. Die Bilanz der Hamburger nach 15 Spieltagen: sechs Siege, drei Unentschieden und sechs Niederlagen. Durchschnittlicher geht es nicht. Auf die Fans kann sich der HSV noch immer verlassen. Das Stadion ist meist voll, weniger als 50.000 Zuschauer waren es in dieser Saison nie. Doch der Verein wird aufpassen müssen, dass er die als kritisch bekannten Anhänger nicht vergrault. Noch pilgern sie nach Hamburg-Stellingen, vielleicht aus Treue, vielleicht im guten Glauben, dass es doch noch besser wird. Vielleicht einfach aus Gewohnheit. Doch bei einem Rückfall in die Tristesse der späten achtziger und neunziger Jahre, als ein Uefa-Cup-Platz 1989 das höchste der HSV-Gefühle war, wird sich das wohl ändern.“

Für Sven Flohr (Welt Online) spricht derzeit vieles für einen neuerlichen Trainerwechsel beim HSV: „Unter der Woche trat Armin Veh die Flucht nach vorne an. Die Anstellung beim Hamburger SV werde sein letzter Trainerjob in Deutschland sein, kündigte er an. Zudem müsse noch in der Winterpause geklärt werden, ob er über die Saison hinaus in der Stadt rund um die Reeperbahn arbeiten werde. Armin Veh ist ein besonderer Trainer, weil er sich nie an seinen Arbeitsplatz gekettet hat. In Rostock ging er einst freiwillig, in Stuttgart bestand er selbst in Zeiten großer Erfolge auf Einjahresverträge. Alles andere sei in diesen schnelllebigen Zeiten unzeitgemäß. Nun scheint der Realist Veh zu spüren, dass es wie schon zuvor in Wolfsburg schwierig wird, mit dem HSV erfolgreich zu sein. Im Gegensatz zu manchem Kollegen gönnt er es sich, diese Zweifel öffentlich zu machen. Und träumt sogar ein wenig vom Ausland oder einem Posten irgendwo als Sportdirektor. So scheint es, als sollten die Hamburger in absehbarer Zeit den nächsten Trainer verlieren. Denn derzeit gibt es kaum gute Gründe, im Winter den Vertrag mit Veh zu verlängern. Zum einen wäre eine solche Entscheidung angesichts von Vehs Aussagen ohnehin schwierig zu verkaufen. Zum anderen irrlichtert die Mannschaft nach dem erneut blutleeren Auftritt am Samstag in Freiburg durch das Nirvana der Bundesliga.“

Matthias Linnenbrügger (Welt Online) beschäftigt sich mit der Anzugsordnung von HSV-Coach Armin Veh: „So langsam wird es eng für Armin Veh. Der Trainer des HSV macht kein Geheimnis daraus, ein abergläubiger Mensch zu sein, und er hat es sich nun einmal zu seiner Angewohnheit gemacht, die Klamotten nach einem Sieg nicht zu wechseln. Im Verlauf dieser Bundesligasaison stand Veh im feinen Zwirn an der Seitenlinie, später in Jeans und Freizeitjacke, ehe er sich zuletzt für Trainingshose und Fleecepullover entschied. Doch auch diese Kombination hat seit Sonnabend, 17.20 Uhr, bereits wieder ausgedient. Nach dem Abpfiff war Veh völlig bedient. Dass sein Kleiderschrank kaum noch Variationsmöglichkeiten hergibt, dürfte in diesem Moment keine Rolle gespielt haben. Viel mehr ärgerte sich der 49-Jährige über die Art und Weise, wie die Hamburger Profis aufgetreten waren.“

Es wird darum gehen, die Klasse zu halten

Jürgen Schmieder (SZ) freut sich gemeinsam mit Bremern und Wolfsburgern über den Erhalt von Klarheit hinsichtlich der Saisonziele beider Vereine: „Der Deutschen Fußball-Liga ist ein peinlicher Fehler unterlaufen an diesem Wochenende. Im Plan für den 15. Spieltag der Bundesliga war die Partie VfL Wolfsburg gegen Werder Bremen vermerkt, was natürlich nicht stimmte. In der Wolfsburger Arena fand ein Zweikampf statt zwischen Diego und der Bremer Defensive. Sowohl in Wolfsburg als auch in Bremen wissen die Verantwortlichen nicht so recht, was sie anfangen sollen mit dieser Spielzeit. Schöne Siege wechseln sich ab mit grotesken Niederlagen – und dieser 15. Spieltag sollte ein Indiz für beide Vereine liefern, ob diese Saison griffig wird oder aus den Händen zu gleiten droht. Es blieb bei einem 0:0, das - bis auf die drei Elfmeter-Minuten - genauso schrecklich war wie es klingt. Immerhin wissen beide Vereine nun, was sie mit dieser Saison anfangen sollen. Es wird eine ganz knifflige Spielzeit, in der erst zuvorderst darum geht, die Klasse zu erhalten.“

Daniel Müksch (Focus Online) zeigt sich erschüttert das momentane Auftreten von Wolfsburg und Bremen: „Edin Dzeko, Diego oder Marko Marin: Namen, die für prickelnden Offensiv-Fußball stehen. Spieler, die bei den meisten europäischen Topvereinen zum Stammpersonal zählen würden. Jedoch nur, wenn potenzielle Interessenten am Samstag beim Spiel zwischen Wolfsburg und Werder Bremen Tomaten auf den Augen hatten. Unglaublich, was für spielerische Magerkost beide Teams in der VW-Stadt boten. Leistungsgerecht tummeln sich die Teams weiter in der unteren Tabellenhälfte – weit weg von den eigenen Ansprüchen. Und wieder einmal der Beweis: Talent alleine reicht nicht. Erst recht nicht in der Bundesliga.“

Der Hang zum Verlieren

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) rät dem „Mensch Borussia“ zum Gang auf die Couch: „Wäre die Borussia ein Mensch aus Fleisch und Blut, müsste man ihr den Besuch eines Psychiaters empfehlen. Wenn die Bayern das Sieger-Gen haben, dann ist dem genetischen Code der Gladbacher der Hang zum Verlieren eingeschrieben. Der Klub besitzt die Neigung, sich selbst das Leben schwer zu machen. Was schief laufen kann, läuft schief. Garantiert. Die Fans haben ja schon Angst, ihre Mannschaft könnte in Führung gehen – weil sie wissen, dass ihr Leiden dadurch nur noch potenziert wird: Gegen Schalke (2:2 nach 2:0), Hoffenheim (2:3 nach 1:0), Bayern (3:3 nach 1:0 und 3:2), Mainz (2:3 nach 1:0 und 2:1) und Dortmund (1:4 nach 1:0) lag die Borussia vorn, nie reichte es zum Sieg. Gegen Hannover auch nicht – weil Raul Bobadilla kurz vor der Pause meinte, seinen Gegner in einem Akt der Selbstjustiz körperlich züchtigen zu müssen. Es folgte der fünfte Platzverweis dieser Saison, der zweite für eine Tätlichkeit. Man kann hinter all dem natürlich böse Mächte des Schicksals am Werk wähnen. Man kann aber auch versuchen, den Widrigkeiten mit Macht zu trotzen. So wie 1952/53, als die Borussen am Ende noch den Klassenerhalt schafften.“

Peter Ahrens (Spiegel Online) befasst sich mit den Schwachstellen der Gladbacher: „Aber die Hinrunde hat die Schwächen des Kaders auf grausame Weise offenbart. Die verletzungsbedingten Ausfälle von Brouwers und Dante konnten nicht einmal im Ansatz kompensiert werden, Torben Marx und Michael Bradley sind auf der Sechser-Position weder in der Lage, das Spiel aufzubauen noch eine Defensivabsicherung zu gewährleisten. Kapitän Filip Daems ist in die Jahre gekommen und läuft seinen Gegenspielern immer öfter hinterher. Torwart Logan Bailly sitzt mittlerweile auf der Ersatzbank. Frontzeck und Eberl haben den Kader zusammengestellt – mit einem Überangebot an offensiven Spielern, die ihre Arbeit bisher auch mehr oder weniger zufriedenstellend erledigt haben. Es gibt nur fünf Teams, die in der Liga häufiger getroffen haben als die Borussia. Das Problem der Mannschaft liegt in der Abteilung Defensive, hier verfügt die Borussia über mehrere Profis mit nur bedingter Bundesliga-Reife.“

Verlust des Glaubens in die eigene Stärke

Peter Stolterfoht (Stuttgarter Zeitung) vermisst den Glauben beim VfB: „Beim VfB Stuttgart fehlt zurzeit wirklich überall die Überzeugung in die eigene Stärke. Das wurde rund um das 1:1 gegen 1899 Hoffenheim am Samstag überdeutlich. Es deutete wirklich alles auf den vierten Stuttgarter Heimsieg der Saison hin: ein schwacher Gegner und ein schwacher Schiedsrichter (Jochen Drees), der zur Abwechslung einmal nicht die Stuttgarter benachteiligte, sondern die Gäste – in Form der nicht nachvollziehbaren Roten Karte für Isaac Vorsah und eines fälschlicherweise nicht gegebenen Hoffenheimer Elfmeters nach einem Foul an Boris Vukcevic. Wer solche Vorlagen ungenutzt lässt, der glaubt nicht mehr richtig an sich, obwohl doch allein schon der Spielverlauf mit Martin Harniks Ausgleich dem VfB schon genug Selbstvertrauen hätte geben müssen. Dieser verpasste Sieg könnte weitere Spuren im ohnehin durcheinandergeratenen Stuttgarter Nervenkostüm hinterlassen.“

Strafraum-Melancholiker

Rainer Schäfer (Spiegel Online) analysiert die Sturmproblematik beim FC St. Pauli: „Erst 14 Treffer hat der FC St. Pauli erzielt, zuletzt zeigten sich seine Profis als Strafraumfeiglinge, die sich den Ball aus bester Schuss-Position noch mal zuschieben. Nach dem Motto: Schieß du lieber mal, ich fühle mich heute nicht so gut. Der FC St. Pauli hat zu viele Stürmertypen im Kader, wie sie Volker Finke lange Jahre beim Sportclub Freiburg bevorzugt hat und die etwas mitleidig als „Strafraum-Melancholiker“ kategorisiert wurden. Marius Ebbers ist ein spielender Stürmer, der auch die Leidenschaft zeigt, die Stanislawski fordert. Aber ein Vollstrecker ist er genau so wenig wie Gerald Asamoah oder Fin Bartels. Zwei Tore haben Ebbers und Asamoah jeweils erzielt, so viele hat auch der defensive Mittelfeldspieler Fabian Boll vorzuweisen. In der Offensive der Hamburger tummeln sich die Vorbereiter, die den finalen Torschuss verweigern. Dass mit U21-Nationalspieler Richard Sukuta-Pasu nur eine ernst zu nehmende Sturmalternative im Kader steht, ist ein Mangel, der den Verbleib in der Liga nicht erleichtert.“

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Glanz und Elend (via Amazon)

Kommentare

4 Kommentare zu “Not und Elend”

  1. MS
    Montag, 6. Dezember 2010 um 19:45

    In welchem Paralleluniversum bewegt sich Focus Online?
    Diego hat es in Lissabon (zum Glück für „uns“) nicht gepackt und sich mit Juve überworfen. Bei Marko Marin muss es allmählich „knacken“, auch er muss einsehen, dass sinnfreie Dribblings in den Mann hinein nicht zu kleinen oder gar großen Titeln führen und neben Offensiv- auch Defensivaufgaben zu verrichten sind. Angesichts der Kaderentwicklung beim SVW steht er bei mir kurz vor dem Etikett „Fehleinkauf“ – denn was will man mit ihm spielen, was kann er denn? Raute geht nicht, als Spielmacher ist er überfordert. Alle Defensivvarianten in einem 5er-MF gehen auch nicht. Bleibt in meinen Augen ein System mit drei echten Spitzen, das wird zZ. eher selten gespielt.
    Ob sich für Dzeko zZ. ein europäischer Spitzenverein interessiert – ich weiß nicht…

    Fazit: Ich sehe nicht, wo Diego und Marin aktuell in einem europäischen Spitzenverein zur Stammformation gehören könnten, oder wo Dzeko Unterschlupf finden könnte, um aus diesem seit der Meisterschaft völlig überbewerteten Haufen herauszukommen.

    Immerhin kommt der Focus auch zur Erkenntnis, dass Talent allein nicht reicht. Widerspricht dann aber der Eingangsaussage.

  2. lateral
    Dienstag, 7. Dezember 2010 um 05:09

    Diego in Lissabon?! Das war Porto. Aber ja, die Aussage mit den Stammplaetzen in auslaendischen Spitzenclubs ist eine Plattituede der unsaeglichsten Art! Ich nehme liebend gerne den Focus in meine Liste „aus dem ind.freistoss zu entfernend“ auf… 😉

  3. Van Kuchen
    Dienstag, 7. Dezember 2010 um 12:33

    Schade, daß die SZ nicht näher darauf eingeht, was mit folgendem Satz gemeint ist:
    In der Wolfsburger Arena fand ein Zweikampf statt zwischen Diego und der Bremer Defensive.

    War Diego so gut? Auffällig ist doch, daß Wolfsburg trotz Diego, der seine Qualitäten ja bereits bewiesen hat, nur unter Ferner liefen in der Tabelle zu finden ist. Und das 1 1/2 Jahre nach der Meisterschaft!

    Zum Focus:
    Diese seit ca. 20 Jahren so erfolgreiche Zeitung lese ich äußerst ungerne, weil Focus-Artikel für mein Emfpinden immer dann aufhören, wenn es gerade interessant wird.

  4. Ulfert
    Dienstag, 7. Dezember 2010 um 13:58

    Nein, Diego war nicht gut. In der ersten Hälfte war er recht aktiv, hatte auch nen Freistoß und zwei Torschüsse (oder so), war aber auch kurz vor einer gelb-roten Karte wegen Meckerns (die gelbe war schon wegen Meckern). Insgesamt wirkte es als sei er total übermotiviert und wollte unbedingt was zeigen – was ihm dann aber nicht gelang. In der zweiten Halbzeit hab ich nix von ihm gesehen. Allerdings hat er auch nicht mehr gemeckert, außer bei dem Elfer den er nicht schießen durfte.

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