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Das Märchen von der Leine

Martin Hauptmann | Freitag, 10. Dezember 2010 Kommentare deaktiviert für Das Märchen von der Leine

Gegen den VfB Stuttgart winkt der fünfte Sieg in Folge für die Überraschungsmannschaft aus Hannover; die Vertragsverlängerungen von Trainer und Sportdirektor stehen bevor

Hannover ist die Nummer 1 im Norden. Dass man zahlungskräftige Vereine wie Hamburg, Wolfsburg und auch Bremen selbst nach gespielten 15 Ligaauftritten deutlich hinter sich lässt, ist sehr beachtlich. Im Schatten der jung-dynamischen Spitzenreiter Dortmund und Mainz neigt man dazu, das Überraschungsteam aus Hannover zu vergessen. Die Mannschaft, bestehend aus dem neuen Erfolgsduo Schmadtke-Slomka, pirscht sich in der Tabelle vorweihnachtlich leise und klammheimlich nach oben. Nur vier Teams besitzen einen niedrigeren Etat. Und trotzdem: Was ist mit dieser Mannschaft nach 34 Spieltagen möglich? Mit einem Sieg über Stuttgart am Freitag rückt man sogar schon auf Platz 2 vor.

Kind hält diese Mannschaft für „unglaublich selbstbewusst, willensstark-, zweikampf- und konditionsstark. Sie ist unglaublich hoch motiviert, sie hat Charakter und ist für Überraschungen gut“, verrät er im Gespräch mit der FR. Die insgesamt ausgeglichene Mannschaft profitiert im Moment am meisten vom Torerfolg des bulligen Stoßstürmers Didier Ya Konan (sieben Treffer), erst im Frühjahr gekommen, von der Wendigkeit und Übersicht des erfahrenen Mittelfeldmotors Sergio Pinto, sowie von der entschlossenen Kampfstärke der Defensivleute Konstantin Rausch und Christian Schulz. Dazu hat man mit Superjoker Mike Hanke den derzeit effektivsten Stürmer der Liga (drei Toren in insgesamt 86 Einsatzminuten) und in dem angriffslustigen Techniker Jan Schlaudraff wohl endlich den Mannschaftsspieler, den man bisher nicht erleben durfte.

Für Lars Gartenschläger (Welt Online) sind die beiden Kölner Psychologen Andreas Marlovitz und Michael Grunwald zwei ganz wichtige Stützen des Erfolgs des aktuell Tabellenvierten: „Das Duo war im Februar engagiert worden, um den Spielern neue Impulse zu geben. Eine Maßnahme, die sich ausgezahlt hat. Das Team, das auseinander zu fallen schien, weil jeder mit sich beschäftigt war, ist homogen geworden. Die Spieler sind leistungswillig und glauben an sich. Die negativen, traurigen Erlebnisse haben die Sinne geschärft. Für Slomka ist das ein Zeichen von Qualität. Seine Mannschaft spielt zwar nicht den schönsten Fußball und profitiert auch von den Schwächen vermeintlicher Topvereine, aber sie ist wieder bereit und fähig zu kämpfen. Es zeichnet sie aus, dass sie den Gegnern nur wenig Zeit und Raum für eigene Aktionen lässt. Hannovers Spieler attackieren früh und aggressiv. Zusammengefasst ist das für den Trainer das Ergebnis eines großen Reifeprozesses.“

Christina Otto (Stuttgarter Zeitung) stellt den Wert guter Zusammenarbeit heraus: „Die Entwicklung bei dem Verein, der im Mai knapp dem Abstieg entronnen ist, gilt als Beleg für die Schnelllebigkeit des bezahlten Fußballs. Vor der Saison hatte der Präsident Martin Kind sein Führungspersonal frustriert, weil er nur ein sehr schmales Budget für neue Spieler bewilligt hatte. Der Trainer Mirko Slomka und der Sportdirektor Jörg Schmadtke waren lange Zeit mehr damit beschäftigt, sich gegenseitig zu beharken, als produktiv zusammenzuarbeiten. Aber die Not hat die beiden erfinderisch gemacht und zusammengeschweißt. Schmadtke gelang es, nach dem Ivorer Didier Ya Konan auch den Norweger Mohamed Abdellaoue und den Österreicher Emanuel Pogatetz zu verpflichten. Das erfolgreiche Trio aus der europäischen Spielerfundgrube wird Schmadtke wie Slomka bald die Verlängerung des Arbeitsvertrages bescheren.“ Slomka wirkt nach außen sehr friedliebend, in Wahrheit aber ist auch er ein großer Freund der harten Konsequenz. Die Autorin schreibt: „Was den früheren Schalker Cheftrainer auszeichnet, ist die Fähigkeit, seine Spieler auch vor den Kopf stoßen zu können. Die Großverdiener Jan Schlaudraff und Mike Hanke hatte er öffentlichkeitswirksam degradiert. Die beiden Exnationalspieler aus dem Kader zu streichen oder in die Amateurelf zu verbannen, war ein schlaues Signal. Slomka erwartet, dass sich seine Spieler frei von Egoismen in ein Kollektiv einbringen, das seine wenigen Chancen nutzt.“

Volker Wiedersheim (HAZ) blickt deshalb mit Genugtuung auf die Geschehnisse: „Schade eigentlich, dass es darüber keine Statistiken gibt: verlorene Wetten auf den Niedergang des Fußball-Bundesligisten Hannover 96. Aber so viel dürfte klar sein: Entgegen den Vorhersagen vermeintlicher Experten und anders als von vielen besorgten Fans befürchtet kleckern die ‚Roten‘ nicht, sie klotzen. Wahrscheinlich wechseln schon jetzt in der Vorweihnachtszeit Bier und Wein hektoliterweise den Besitzer – eingelöste Wettschulden. Mit einem Sieg gegen den VfB Stuttgart kann 96 die bisherige Marke von fünf Siegen in Folge (in der Bundesliga) aus dem ‚Goldenen Herbst‘ der Meisterschaftssaison 2004/2005 einstellen.“

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