Bundesliga
Dickköpfige Beharrlichkeit
| Dienstag, 14. Dezember 2010In Gladbach steht das Konzept der Kontinuität am Pranger und in Freiburg tauchen mit dem Erfolg plötzlich Probleme auf. Außerdem: Dieter Hoeneß plagt sich in Wolfsburg mit Altlasten herum
Philipp Selldorf (SZ) tadelt die sportliche Führung in Gladbach: „Die seit zwei, drei Jahren methodisch praktizierte Harmonie zwischen den Führungskräften im Verein kann nicht länger der Maßstab einer gesunden Vereinspolitik sein.“ Vor allem trage die Transferpolitik Mitschuld am derzeitigen Tabellenstand der Borussia: „Kritiker, die anders als Vogts und Netzer ständig im Stadion sind, haben sich bereits damals gewundert, warum Borussia nicht die Deckung verstärkt, die schon in der vorigen Saison nicht das Prunkstück der Mannschaft war und die sich nun, zumal unter dem Einfluss der Verletzungen von Abwehrchef Dante, als dauerhafter Krisenherd erweist. Das gilt nicht nur für notorisch überforderte Kräfte wie Linksverteidiger Schachten oder Kapitän Daems, sondern auch für das defensive, in seinen Mitteln limitierte Mittelfeld-Duett Bradley und Marx. Wenn Trainer Frontzeck seiner Besetzung jedes Mal aufs Neue Vertrauen schenkt, weil er meint, die Mannschaft sei `genug durchgerüttelt worden`, dann beweist er damit eine standhafte Haltung. Aber die Standhaftigkeit, die man im Umgang mit Team und Trainer hat walten lassen, die lässt die Borussia nicht mehr nur wie einen seriös geführten Verein aussehen, sondern wie einen Klub, der seiner Selbstvernichtung zuschaut.“
Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) sieht die Hauptverantwortlichen der Gladbacher Situation ebenfalls in Max Eberl und Michael Frontzeck: „Königs hat den Klub saniert, doch er erlag der Versuchung, auch ohne fußballerischen Sachverstand auf sportlicher Ebene mitreden zu wollen. Erst Trainer Hans Meyer hat eine klarere Trennlinie zwischen sportlichem und wirtschaftlichem Segment etabliert. Und deshalb ist nicht das Präsidium, sondern die sportliche Führung mit Eberl und Trainer Michael Frontzeck für die desaströse Hinrunde verantwortlich. Das wäre auch nicht anders, wenn die Geschäftsführung ohne Einfluss des Präsidiums agieren würde. Denn bei allem Verletzungspech kann niemand bestreiten, dass Fehler in der Personalplanung passiert sind. Es gibt keinen überzeugenden Linksverteidiger, es fehlt ein defensiver Mittelfeldspieler, und Offensivkräfte, die in der Lage sind, mit Fleiß und taktischem Geschick nach hinten zu arbeiten, sucht man vergeblich. Trainer und Sportdirektor haben sich einfach geirrt, sie haben auf Konstanz gesetzt. Erstmals seit Jahren wurde die Mannschaft im Sommer nur punktuell umgebaut, denn die Altersstruktur des Teams erschien ebenso günstig wie die individuelle Besetzung. Marco Reus galt als designierter Nationalspieler und die Innenverteidiger blickten auf eine brillante Saison zurück. Mit Besonnenheit wollte man auch schwierige Phasen überstehen. Aber vielleicht haben sie die Sache mit der Geduld übertrieben.“
Mehr Populismus geht kaum
Stefan Hermanns (Tagesspiegel) bringt eine vermeintliche Verstärkung für die Defensive ins Gespräch: „Vogts, Borussias Rekordspieler, ist bei seinem früheren Klub im Moment nicht besonders beliebt. Er hat sich in der vorigen Woche – wie immer eigentlich, wenn die Borussia kriselt – besorgt zu Wort gemeldet, bei dieser Gelegenheit den Trainer kritisiert, Sportdirektor Max Eberl Flucht aus der Verantwortung vorgeworfen, die Klubführung der Vetternwirtschaft bezichtigt, zugleich aber auch seine Hilfe angeboten. Warum also nicht auf dem Platz? Sehr viel dämlicher dürfte sich Borussias Abwehr selbst mit dem inzwischen fast 64-Jährigen kaum anstellen. Die Bilanz des Tabellenletzten ist zum Weglaufen: Seit acht Spieltagen liegen die Gladbacher auf einem Abstiegsplatz, Borussia hat die schlechteste Defensive der Liga. Die Bilanz des Schreckens macht es Sportdirektor Eberl zunehmend schwieriger, sein Konzept der Kontinuität durchzuziehen. Für Michael Frontzeck ist darin immer noch eine Schlüsselrolle vorgesehen; deshalb blieb er vor einem Jahr wider Erwarten im Amt, obwohl er zwischendurch sechs Spiele hintereinander verloren hatte. In diesem Jahr fällt Frontzecks Leistungsnachweis noch dürftiger aus. Die einzige Kontinuität der Gladbacher ist der Misserfolg. In der vorigen Woche meldete sich plötzlich eine ominöse `Initiative Borussia` zu Wort, die für eine tiefgreifende Satzungsänderung kämpft, weil der Klub wie ein Kaninchenzüchterverein geführt werde. Wie es um die Seriosität der Initiative bestellt ist, zeigt ihr Vorhaben, Klaus Allofs als Geschäftsführer zur Borussia zu holen. Mehr Populismus geht kaum. Pikant wird die Angelegenheit jedoch dadurch, dass einer der Initiatoren Aufsichtsrat von Borussias Hauptsponsor ist.“
Es fehlen 4,5 Meter
Klaus Schütter (Welt Online) sieht bei weitergehendem Erfolg ein Problem auf die Freiburger zukommen: „Der Höhenflug der Südbadener geht also weiter, sie haben sich auf Platz vier eingenistet. So werden Erinnerungen an die Saison 1994/1995 wach, als am Ende sensationell Platz drei gefeiert werden durfte. Doch sollte auch diesmal wie damals die Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb herausspringen, gäbe es Probleme. Im Verein will niemand darüber reden, der Klassenverbleib ist weiter die erste Aufgabe. Aber in Freiburg ist zurzeit vieles möglich. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy waren da, auch der Papst hat sich schon angekündigt. Kann der SC weiter für Furore sorgen und Platz fünf halten oder sich sogar noch verbessern, muss er sich aber zwangsläufig mit den Statuten des europäischen Fußballverbandes Uefa auseinandersetzen. Und da wird es spannend, wenn es um die Abmessungen des Spielfeldes geht. Der Platz im Freiburger Stadion ist exakt 100,5 Meter lang und 68 m breit. Dieses Maß würde laut Uefa gerade noch genügen, die Qualifikationsrunden für die Europa League oder die Champions League zu bestreiten. Von der Gruppenphase an darf nur auf Spielfeldern von exakt 105 x 68 m gekickt werden. Ausnahmen lässt die Uefa nur zu, wenn es keine Alternative im Land gibt. Die aber gibt es. Im Fall der Fälle müsste der SC Freiburg also mit seinen Heimspielen nach Karlsruhe oder Stuttgart ausweichen, wo die Plätze den Uefa-Richtlinien entsprechen.“
Hoeneß steht in der Pflicht
Frank Schacht (Welt Online) gibt Dieter Hoeneß in Wolfsburg nicht mehr viel Zeit: „Dass es 2009 unter Erfolgstrainer Felix Magath gelungen war, selbst den FC Bayern München abzuhängen und erstmals die Meisterschale zu erobern, war ein Moment des Triumphes. Seither sind die Verantwortlichen damit beschäftigt, ein Fundament für langfristigen Erfolg zu schaffen. Von Verkrustungen redet der vor einem Jahr zu Hilfe gerufene Hoeneß, wenn er meint, dass der kaufmännische Bereich, die Nachwuchsarbeit oder das Scouting nach der Ära des Alleinentscheiders Magath neu sortiert werden mussten. Vielleicht gibt es hinter den Kulissen schon Erfolge zu verzeichnen. In der schnelllebigen und publikumswirksamen Welt des bezahlten Fußballs aber, mit der Werbung für einen ehrgeizigen Sponsor gemacht werden soll, laufen die VfL-Spieler ihren hohen Erwartungen bisher ratlos hinterher. Hoeneß, der von den VW-Bossen geholt wurde, um den Mangel an Fußballkompetenz in der Vereinsspitze zu beseitigen, steht in der Pflicht. Viele Wolfsburger wissen, dass sich bei ihnen eine gefährliche Zufriedenheit eingeschlichen hat. Grafite etwa, der brasilianische Torjäger, vergleicht seine Mannschaft mit einer Firma, in der sich die Angestellten nach guten Zeiten eben ein wenig ausruhen und zurücklehnen. Nach dem Titelgewinn waren er und zahlreiche andere Spieler mit viel Geld und langfristigen Arbeitsverträgen zum Bleiben bewegt worden. Was als Investment in die Zukunft gedacht war, entpuppt sich für Hoeneß nun aber als Altlast.“
Kommentare
5 Kommentare zu “Dickköpfige Beharrlichkeit”
Mittwoch, 15. Dezember 2010 um 11:37
Diesen Artikel fand ich gerade im Guardian. Fand ihn sehr interessant – auch den Fakt, dass ein englischer Journalist den Erfolg von Hannover (sprich ihren Konterfußball) logischer und anschaulicher erklärt als alles, was die deutschen Medien hier auf dem idf so an Erklärungen aufgetischt haben:
http://www.guardian.co.uk/football/blog/2010/dec/13/hannover-bundesliga-rarefied-spheres
Mittwoch, 15. Dezember 2010 um 14:12
Danke, guter Hinweis. Aber Raphael Honigstein ist Deutscher (wenn mich nicht alles täuscht).
Mittwoch, 15. Dezember 2010 um 14:18
Lieber Madder than Jens,
Raphael Honigstein ist beileibe kein englischer Reporter, sondern seiner Herkunft nach Deutscher. Und als solcher berichtet er für den Guardian eben über alles was mit Bundesliga zu tun hat. Er schreibt aber auch in der SZ. Nur so zur Info…
Gruß Kid
Mittwoch, 15. Dezember 2010 um 19:52
Wenn der Autor ein Deutscher ist, dann umso schlimmer: dass er solche fundiert analysierten Texte offensichtlich nur in englischen Zeitungen schreiben kann und nicht in deutschen.
Donnerstag, 16. Dezember 2010 um 06:03
ad #4: volle Zustimmung! Es ist sehr, sehr traurig, wie oberflaechlich die Fussballanalysen der deutschen „Qualitaetsmedien“ im Vergleich zu der angegebenen Blog-Analyse sind… 🙁 Das ist umso trauriger, als genau dieser Autor auch fuer deutsche Medien (nicht nur die SZ) schreibt. Fuer die analysiert er aber die Premier Leauge und eben nicht die Bundesliga.